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Geschrieben von Zwerg am 03.12.2006 um 17:36:

  Letzter Ausweg

Dunkelheit erfüllte den kahlen Raum. Durch das einzige Fenster schien der Mond, sein fahles Licht tauchte die äußere Welt in einen dämmerigen Zustand. Das kleine Zimmer war spärlich möbliert, ein schmales Bett mit weißer Bettwäsche, daneben ein Kleiderschrank und ein Schreibtisch, auf dem ein einzelnes, beschriebenes Blatt Papier lag. Die weißen Wände wirkten kahl, keine Poster, keine Bilder, nur ein langer Spiegel.
Plötzlich öffnete sich die Tür und ein schmales Mädchen huschte hinein. Es hatte sich sorgfältig geschminkt, die Augen schwarz umrahmt, die dünnen Lippen schimmerten in einem verführerischen Rot. Lediglich mit einem schwarzen Nachthemd bekleidet stellte es sich vor den Spiegel, und nach einem kurzen Zögern streifte es auch dieses ab. Für einen Moment schloss es die Augen, bevor es seine Spiegelgestalt ansah. Das Mädchen zuckte zurück. Der Spiegel zeigte nicht sie, niemals! Die Person im Spiegel war dünn und ausgemergelt, jede einzelne Rippe zeichnete sich deutlich ab. Die langen Beine erinnerten an die eines Storches, lang, dürr und ungelenk, ebenso wie die Arme. Und das Gesicht! Eingefallen, blass, unter den großen Augen, die in tiefen Höhlen zu liegen schienen, zeichneten sich deutlich schwarze Augenringe ab, ihre Haare hingen stumpf und dünn herunter.
Das Mädchen drehte sich angewidert von dem Spiegel weg. Das war nicht sie! Sie lief zu ihrem Bett, hob das Kopfkissen hoch und nahm das Foto, das darunter lag. Das war sie! Das Bild zeigte sie im Urlaub vor zwei Jahren. Sie war schlank gewesen, ihre schöne Figur war gut zu sehen, weil sie nur einen knappen, schwarzen Bikini trug, der so gut mit ihrem schwarzen Haar harmonierte. Damals war es noch kräftig und füllig gewesen, es hatte in der Sonne geglänzt. Und ihr Lachen auf dem Foto! Sie wusste nicht mehr, wann sie das letzte Mal so glücklich und sorglos gelacht hatte.
Das Mädchen ging wieder zu seinem Spiegel und verglich seine nackte Gestalt mit dem Körper auf dem Bild. Was war nur aus ihr geworden? Tränen sammelten sich in ihren Augen, liefen ihr Gesicht hinunter, tropften auf ihren Oberkörper und zogen schmale, nasse Spuren auf ihrer Haut. Auf ihrer glatten, weißen Haut, die wie Porzellan schimmerte. Und war sie auch nicht so geworden? Glatt und kalt, wie Porzellan?
Sie hörte auf zu weinen, versuchte sich in einem letzten Anflug von Trotz die Tränen wegzuwischen, die ihr Kajal verschmiert hatten. Es gab keinen anderen Ausweg mehr. Und daran war nur er schuld. Nur er allein. Nur weil er sie verlassen hatte, hatte sie nichts mehr essen wollen, nur wegen ihm hatte sie all ihre Freunde vernachlässigt. Und nun war es zu spät! Keiner wollte mehr etwas von ihr wissen, jeder kehrte ihr den Rücken zu, und sie war immer allein. Sie wollte, nein, sie konnte nicht mehr leben.
Jetzt also war es soweit. Das Mädchen atmete tief durch, ein stiller Schluchzer schüttelte seinen ausgemergelten Körper. Entschlossen ging sie zu ihrem Schreibtisch, las noch einmal ihren Abschiedsbrief, der ihren Eltern die Erklärung geben sollte, die es eigentlich nicht gab, sollte Trost spenden, wo man nicht trösten konnte, wenn das einzige Kind sich umbringt. Aber es gab keine Alternative mehr. Vorsichtig öffnete sie eine Schublade unter ihrem Schreibtisch und zog ein scharfes, kleines Küchenmesser heraus, das sie dort versteckt hatte. Sorgsam schloss sie die Schublade wieder, dann wiegte sie das Messer in der Hand, bevor sie sich auf den Boden setzte und die scharfe Klinge an ihre Hauptschlagader legte, die bläuliche Linie auf ihrem weißen Arm damit nachzeichnete. Sie schloss die Augen, eine plötzliche Angst drohte sie zu übermannen. Das Mädchen biss sich auf die Lippen, es schmeckte Blut und ihm wurde schlecht.
„Ich kann es nicht!“
Ihr Flüstern hallte laut durch das Zimmer. Es ging einfach nicht. Enttäuscht ließ sie das Messer wieder sinken und in einem Aufwall von Zorn schlug sie auf den Boden. Bittere Tränen schossen aus ihren Augen hervor, fielen auf den Steinboden, doch plötzlich spürte sie auch Erleichterung in sich aufsteigen.
Wieder nahm sie das Urlaubsbild in die Hand. Vielleicht gab es ja doch noch einen anderen Ausweg als den Tod, vielleicht schaffte sie es wirklich, noch einmal so glücklich wein auf dem Foto zu werden. In diesem Moment fiel das helle Mondlicht in ihr Zimmer, hüllte sie ein und ließ sie aufblicken. Sie sah zu dem hellen Gestirn hinauf und lächelte.

Ich bitte um Kritik und Bemerkungen.



Geschrieben von Maina am 03.12.2006 um 17:42:

 

Super. Einfach nur toll. Endlich mal nix 0815, wo sie sich dann umbringt,
sondern Hoffnung schöpft.

Nur mehr Absätze wärn gut gwesn Augenzwinkern

KIG &lg

Maina
Gegenbewertung?



Geschrieben von .jinx am 03.12.2006 um 19:26:

 

Wow. Einfach nur Wow. smile
Echt, ich find den Text so hammer! <3
Das is soo schön geschrieben und man merkt ganz dolle, wie sie sich fühlt...
echt, riesenlob!
lg Nikki
gegenbewertung??



Geschrieben von Zwerg am 03.12.2006 um 21:40:

 

Danke schön, fühle mich echt geehrt^^.
Um die Gegenbewertung kümmere ich mich gleich mal.


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