Aber das war Vergangen. | Kurzgeschichte

Aber das war vergangen.

Kleine Wellen verwandelten das Wasser in eine kriselnde Oberfläche, die untergehende Sonne färbte sie an manchen Stellen rot. Hoch über den Wellen kreisten Möwen, deren Geschrei sich mit dem Geplätscher des Wassers vermischte. Ein Anblick, der eine innere Ruhe hervorruft, Frieden.
Hoch oben auf der Brücke stand sie. Sog alles in sich auf, atmete tief ein und aus, wie jemand, der wusste, dass dieser Moment einer der letzten ist. Sie versuchte, die Stimmung der Umgebung auf sich wirken zu lassen, hoffte, ihr Innerstes beruhigen zu können. Was sie nicht schaffte, im Gegenteil. All dieses Friedliche, Glückliche, war ja alles nur ein Schein. Ein Trugbild, das verschwunden wäre, würde sie die Augen schließen. Das verschwinden würde, wenn sie sich umdrehen und es somit nicht mehr in ihrem Blickfeld wäre.
Sie schloss die Augen, um den Anblick nicht ertragen zu müssen. Früher hatten alle gesagt, sie seie mutig, noch heute hört sie dies oft. Aber wäre sie mutig, würde sie die Augen offen halten. Wäre in der Lage, die bereits gefällte Entscheidung auch auszuführen.
Aber sie war nicht mutig. Und was war überhaupt schon Mut? Das sie im Schwimmbad vom Zehnmeterturm gesprungen war, war sicherlich nicht mutig gewesen. Ebenso wenig wir ihr Abenteuer in den Alpen. Für die Anderen war es nur mutig, weil diese es nicht gemacht hatten, sich nicht getraut hatten. Aber für sie waren solche Dinge nicht schwierig. Es kostete sie keinerlei Überwindung, von einem hohen Bauwerk kopfüber in die Tiefe springt, nur an einem Gummiseil befestigt. Deshalb war es nicht mutig. Soweit sie zurückdenken konnte, war sie noch nie wirklich mutig gewesen. Denn Mut bedeutete, sich zu überwinden, etwas zu tun, vor dem man große Angst hatte. Und genau das hatte sie gerade vor. Sie würde mutig sein, zum ersten Mal in ihrem Leben. Zum ersten Mal in ihrem Leben würde sie etwas tun, vor dem sie Angst, vor dem sie sich fürchtete. Hatte sie sich sonst immer herum gemogelt, würde sie dieses Mal standhaft bleiben. Zumindest dachte sie dies noch bis vor wenigen Minuten.
War es wirklich der richtige Weg? Ihr letzter Ausweg?
Was würden sie Leute sagen?
In deren Augen würde sie bestimmt feige sein. Feige, unwürdig, ein Loser. Nicht stark genug, es mit ihrem eigenen Leben aufzunehmen, zu schwach für diese Welt. Und auf jeden Fall nicht mutig.
Dabei zeigte sie doch gerade hier Mut! Oder etwa nicht?
Er hatte ihr vorgeworfen, keinen Mut zu haben. Sich nichts zu trauen, nicht loszulassen, um etwas Neues herauszufinden. Sie wäre Bindungsunfähig, hatte er gesagt. Bevor er sie verlassen hatte.
Aber das war vergangen. Abgeschlossen. Er brauchte sie nicht zu interessieren, es brauchte sie nie wieder irgendjemand zu interessieren. Sie würde sich keinerlei Gedanken mehr machen müssen, was die Leute über sie sagen. Würde nicht mehr entscheiden müssen, was richtig, und was falsch ist. Würde nie wieder für etwas gehalten werden, was sie gar nicht war. Würde nie wieder beweisen müssen, dass sie doch Mut hatte.
Sie öffnete ihre Augen, den Blick starr nach vorne gerichtet, um ja nichts außer der rot glühenden Sonne sehen zu müssen. Und machte einen Schritt nach vorne, geradezu auf den Abgrund zu.






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Ich würde mich freuen, wenn ihr auch meine andere Kurzgeschichte lest! [...]

Dieser Beitrag wurde 1 mal editiert, zum letzten Mal von Alessa: 17.04.2010 14:54.