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Kurzgeschichte: 11 Sekunden |
Startpost-Retter
Mitglied
 
Dabei seit: 24.01.2011
Beiträge: 12.246
Herkunft: Gegen Bilderklau, intern
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Kurzgeschichte: 11 Sekunden |
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Diese Kurzgeschichte habe ich vor einem knappen Monat geschrieben - für einen Schreibwettbewerb. Das Thema lautete '11 Sekunden' und darum ist der Titel dieses Textes einfach nur '11 Sekunden'.
11 Sekunden
Mit leerem Blick starrte ich auf die zierliche Gestalt des Mädchens, welches dort vor mir unter der steifen Krankenhausdecke lag. Es war keine Fremde, es war nicht meine Freundin – nein, es war meine kleine Schwester, die dort regungslos vor mir lag. Ich spürte die Tränen, die siedendheiß über meine Wangen flossen, ehe sie eine nach der anderen in Richtung Boden fielen. Wie lange war es her, dass ich so geweint hatte? Hatte ich jemals so geweint? Ich konnte es in diesem Augenblick nicht sagen. Es war nur gut, dass mein Vater nicht da war, er hätte gesagt, dass Jungen nicht weinen sollten. Aber er war nicht da, er musste nicht mit ansehen, wie seine Tochter hier lag, alleine und scheinbar ohne zu bemerken, dass wir da waren.
Ich wagte es nicht, auch nur einen Augenblick zu meiner Mutter hinüber zu sehen, doch ich wusste, dass auch sie weinte. Sophie war immer der kleine Sonnenschein gewesen, egal was geschehen war, sie hatte immer gelacht und damit unsere Mutter und auch mich angesteckt. Und nun bewegte sie sich nicht einmal. Ich konnte es kaum glauben.
Wie von weit weg hörte ich, wie der Regen gegen die Scheiben prasselte, als ob der Himmel so wie wir weinen würde. Die Ärzte hatten gesagt, dass es unwahrscheinlich war, dass sie jemals wieder aufwachen würde, aber ich hielt nicht viel von dieser Aussage. Sophie hatte bisher immer gekämpft, egal, was geschehen war, sie war immer wieder hoch gekommen, mit einem Lächeln auf den Lippen. Und nun war ihr Gesicht ohne Ausdruck, man konnte nicht sehen, was in dem jungen Wesen vor sich ging. Ob es Schmerzen hatte oder ob es froh war, dass wir bei ihm waren. Nichts ließ darauf schließen, dass sie überhaupt wusste, dass wir da waren, dass wir uns um sie kümmerten, uns Sorgen machten.
Unterbewusst bekam ich mit, wie meine Mutter schluchzte, ich wusste, dass es sie fast noch härter traf als mich. Und doch... Ich überbrückte die Distanz zu der Frau, die innerhalb von Minuten um Jahre gealtert zu sein schien und griff ihre Hand. Ich wollte etwas sagen, etwas aufmunterndes, aber ich wusste nicht was. „Es wird alles wieder gut? Sie wird schon wieder auf die Beine kommen?“ Nein, das klang alles viel zu klischeehaft und ich glaubte ja selber nicht mehr daran. Nicht nachdem, was die Ärzte erzählt hatten.
Innerlich verfluchte ich diesen Autofahrer, der es gewagt hatte, meiner kleinen Schwester so etwas anzutun. Er war mit einem Schock davon gekommen, doch sie, sie lag nun hier und wir mussten trauern. Das Leben war einfach nicht fair – aber war es das jemals gewesen? Krieg, Terroranschläge und Morde. Nein, das Leben war nich fair – und doch hatte ich niemals daran gedacht, dass mir so etwas geschehen würde, dass uns so etwas passieren könnte. Ich hatte vieles erlebt in den 22 Jahren, die ich nun auf dieser Erde weilte und doch hatte mich nichts so sehr berührt wie dieser Moment. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es in nicht einmal einer Minute Mitternach sein würde.
„Ich hol uns etwas zu trinken“, sagte ich mit rauer, belegter Stimme zu der Frau neben mir und ging langsam in Richtung Tür. Ich hatte noch 22 Sekunden bis Mitternacht, als ich den Raum in der Intensivstation verließ um einen Becher Kaffee für meine Mutter und mich zu holen. Meine Schritte waren klein, ich wollte nicht weg und doch konnte ich nicht in dieser drückenden Stille bleiben. Sie war, als ob ein zu hoher Luftdruck mich zusammendrücken würde.
Der Automat war nur wenige Schritte entfernt, so dass ich alles mitbekam. Nur kurze Zeit später hörte ich einen spitzen Schrei meiner Mutter, ich sah, wie die Ärzte in das Zimmer rannten und fast schon automatisch glitt mein Blick zur Uhr. Instinktiv wusste ich, dass es bedeutete, dass sie gestorben ist, dass sie davon geglitten war. Es waren noch 11 Sekunden bis Mitternacht, noch 11 Sekunden bis zum 18. Geburtstag meiner kleinen Schwester. Der schon gefüllte Kaffeebecher glitt mir aus der Hand, fiel klirrend auf den Linoleumfußboden – doch ich hörte es nicht mehr. Meine Schritte trugen mich raus in den Regen und auf einer Bank sank ich weinend zusammen. Ich hatte meinen kleinen Sonnenschein 11 Sekunden zu früh alleine gelassen...
P.S. Ich weiß, dass man alle Zahlen bis zwölf ausschreibt - aber in diesem Fall passte es mit der Zahl besser, da es mehr auffällt und sich eher einbrennt als das Wort 'elf'.
__________________ Dieser Beitrag gehörte zu einer Löschaktion von Beiträgen eines Users, er wurde diesem User überschrieben, damit der Thread nicht an Sinn verliert.
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24.08.2008 16:19 |
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nymphy

Zuckerschnegge
 

Dabei seit: 30.10.2005
Beiträge: 5.257
Herkunft: Von weit weg
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schreibtechnisch gut
allerdins bei dem titel hätte ich mir etwas dramatischeres gedacht... das fehlt mir irgendwie.. ja schön sie stirbt.. zack un weg.. aber nja... is was nettes
deine story
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24.08.2008 16:46 |
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Lady Blue

Prinzessin :]
 

Dabei seit: 05.05.2005
Beiträge: 2.452
Herkunft: nähe Bodensee Name: Dominique
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ich mags sehr gerne. Hat was tiefgründiges. Was zum überlegen.
Warum ist ihr Bruder gegangen und hat sie 11 Sekunden zu früh alleine gelassen?
Was ist genau passiert?
Am Anfang denkt man es wäre ein kleines Mädchen von 7 Jahre alt.
Aber am Ende kommt dann raus, das sie an ihrem 18 Geb. stirbt.
Alles im allem mag ichs sehr gerne
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27.08.2008 10:50 |
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dschinny
what to do?
 

Dabei seit: 07.02.2007
Beiträge: 182
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gefällt mir grundsätzlich gut, die umsetzung der '11 sekunden'
nur halte ich es für sehr unwahrscheinlich in 11 sekunden bis zum kaffeeautomaten zu kommen und den kaffee zubereitet zu bekommen.
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Not believe in Santa Claus! You might as well not believe in fairies.
Fotografie (:
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28.08.2008 15:04 |
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Katkatz

Freundschaft <3
 

Dabei seit: 30.04.2006
Beiträge: 2.768
Herkunft: BW
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Gefällt mir eigentlich gut xD
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Katkatz hat lüb: *Bianca* l Kosmos l Janüne l mandolina007 l Quadergirl l CocktailLady l .oOTinkerfanOo.
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28.08.2008 15:20 |
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123Mona321

Mitglied
 
Dabei seit: 14.05.2008
Beiträge: 303
Herkunft: AT Name: Dana
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Ich finde es schön, was du aus diesem Thema herausgeholt hast. Dein Schreibstil gefällt mir sehr gut. Hast du von der Wettbewerbs-Jury eine Antwort bekommen?
__________________ Dass mir das Pferd das Liebste sei,
sagst du, o Mensch, sei Sünde.
Das Pferd blieb mir im Sturme treu,
der Mensch nicht mal im Winde.
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28.08.2008 17:48 |
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Schady

Für Logik ist hier kein Platz.
 

Dabei seit: 09.02.2005
Beiträge: 389
Herkunft: Berlin
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gefällt
das Einzige, was mich stört: dass der Becher klirrend zu Boden fällt. Normalerweise sind das an solchen Automaten doch Pappbecher, die klirren nicht
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21.09.2008 01:39 |
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Felixx
Mitglied
 

Dabei seit: 30.05.2005
Beiträge: 2.321
Herkunft: Österreich / Wien
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Mir gefällt der Text sehr gut, nur das mit den 11 Sekunden zum Kaffee holen stört mich auch. Ich weiß, das ist doof, weil das Ganze sonst nicht funktioniert, hm, blöd. Aber sprachlich echt spitze <3
Liebe Grüße, Lisi
PS: Gegenbewertung in der Poesieecke?
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22.09.2008 10:45 |
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