Unruhig saß ich auf meinem Bett. Bildete ich mir das alles nur ein oder hatte er mich wirklich angelächelt, heute morgen, als ich fast in ihn hineingerannt wäre? Nein, wahrscheinlich hatte er mich nur ausgelacht, weil ich so dumm war und nicht aufgepasst hatte, wo ich hinlief. Ärgerlich schob ich den Gedanken beiseite und stand auf. Mein Weg führte automatisch zu meinem PC, welcher auf dem Schreibtisch am anderen Ende des Zimmers stand. Roboterhaft drückte ich auf den „ON“-Knopf und wartete einen Augenblick, bis mich das strahlende Lächeln von IHM empfing. Ja, da war er schon wieder. Von allen Ecken lächelte er mich an, vom Schreibtisch, vom Nachtisch, von der Decke, ja sogar von meinem heiligen Flachbildschirm. Doch der laute Signalton meines ICQs verkündete mir, dass auch dieses nun soweit war. Ich warf einen flüchtigen Blick auf die Anwesenheitsliste; nein, sein Name stand nicht dabei. Nur die üblichen eben, aber im Moment hatte ich keine Lust, mit ihnen zu reden. Seufzend klickte ich auf den Minimieren-Button und öffnete das Internetfenster. Als ich gerade dabei war, meine e-mails zu checken, drang das Standartgeräusch, welches ankündigte, dass eine neue Person angekommen war, aus meinen Lautsprecherboxen. Voller Hoffnung klickte ich auf die kleine grüne Blume…und mein Herz überschlug sich fast. Da stand er, SEIN Name in großen blauen Buchstaben; Jess. Wobei die „s“ als Dollarzeichen geschrieben wurden; Je$$. Mit zitternden Händen klickte ich auf seinen Namen. Sofort erschien ein viereckiges Fenster in der Mitte meines Bildschirmes. Langsam tippte ich ein „Hey“ ein. Doch bevor ich es abschickte, las ich es mir noch ein paar Mal durch, ob sich auch kein Tippfehler eingeschlichen hatte. Als ich schlussendlich davon überzeugt war, drückte ich auf „Senden“ und wartete, was passierte. Nach kurzer Zeit war ein weiteres „Hey“ auf dem Bildschirm zu erkennen. „Wie geht’s so?“, schrieb ich. „Ganz gut eigtl.“, kam es sofort zurück. „Schön schön“, antwortete ich nach kurzer Zeit, in der nichts geschehen war. Reglos saß ich vor der Mattscheibe und wartete, was geschah. Nach einiger Zeit kam ein „Jo“ zurück. Enttäuscht sackte ich in mir zusammen. Immer das gleiche; „jo“ oder „wenn du meinst“. Sein Wortschatz war ja wohl nicht besonders umfangreich. Doch diese bitteren Gedanken schob ich sogleich weg und richtete mich neuen Mutes auf. „Was machst heut noch so?“, fragte ich nun. Es geschah nichts. Wie versteinert schaute ich auf das kleine Kästchen, bis mir die Augen schmerzten. Kurz kniff ich sie zu, öffnete sie jedoch gleich wieder, um nachzuschauen, ob eine Antwort gekommen war. Ein Funken Hoffnung entflammte in mir, als ich ein kleines „Je$$ is typing“ zwischen dem Post- und den Schreibfenster entdeckte. Kurz darauf erschien auch schon ein etwas längerer Text, wie gewöhnlich: „Hm, keine Ahnung, wahrscheinlich geh ich nachher was mit Freunden unternehmen oder auf den Hartplatz.“
Schon begann ich zu tippen: „Fußball spielen oder was?“ Der „Senden“-Button leuchtete kurz auf, als ich darauf klickte und wieder saß ich kerzengerade auf meinem eigentlich bequemen Schreibtischstuhl. Doch diesmal kam schon nach einer Minute eine Antwort: „Nee, eher Basketball. Auf unserem Hartplatz hats so viele Löcher, da kann man nicht wirklich kicken.“
Ich schickte ein kurzes „achso“ hinterher und schon war der schöne Name auch schon aus meiner Buddy-Liste verschwunden. Leise seufzte ich. War nur er so oder konnten sich Jungs allgemein nicht verabschieden? Aber Markus aus seiner Klasse konnte das doch auch!? Oder war er nur mir gegen über so? Oder nervte ich ihn gar? Enttäuscht wartete ich noch einige Minuten, ob er nicht wieder zurückkommen würde und schaltete meinen PC dann mit mieser Laune wieder aus.

Wo segelst du hin?