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Jenna Jenna ist weiblich
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gEgeN DeN STrOm | Über das Leben... Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Ich habe mich inzwischen dazu durchringen können, den ersten Teil einer Geschichte hier im Forum zu veröffentlichen. Sie mag dem ein oder anderen vielleicht ein wenig fremd erscheinen, aber ich hoffe, dass sie dennoch in das Konzept passt. Und wer weiß? Vielleicht findet sich ein interessierter Leser und - was mich ganz besonders freuen würde - Kritiker. Ich gestehe ein, dass die Handlung anfangs ein wenig verwirrend erscheinen mag, aber ich hoffe, dass sich das Durchhalten lohnt. Erschafft euch am besten selbst einen Eindruck. Ich freue mich wirklich über Stellungnahmen:


ch hatte kaum die Tür berührt, als ich schon hinein gebeten wurde. Der Raum wirkte freundlich, das helle Gelb der Tapeten strahlte Freude aus. Als mein Blick über die schwarzen Polstersessel schwebte, die in gewollt symmetrischer Harmonie aufgestellt waren, wurde mir erst wirklich bewusst, wie errechnet der Gesamteindruck war. Jedes Möbelstück, jede Farbe, jede Position schien etwas ausdrücken zu wollen. Ich war zu nervös, um alles interpretieren zu können. Die junge Psychologiestudentin hatte schon die ersten Notizen auf ihrem Klemmbrett gemacht, bevor sie überhaupt mit mir gesprochen hatte. Am liebsten wäre ich sofort umgekehrt. Es wäre bestimmt ein interessantes Ergebnis für ihre Persönlichkeitsstudie geworden. Sie bat mich freundlich darum doch endlich Platz zu nehmen. Bestimmt notierte sie gerade ,,unsicher” auf ihrem Bogen. Sie stellte eine Schale mit Keksen auf den Tisch, ich könne mir ruhig nehmen. Sie zwinkerte. Den Gefallen wollte ich ihr nicht tun ,,unsicher und verfressen” - was ist das denn für eine Kombination? ,,Selbst schuld”, dachte ich und ließ mich auf ein interessantes Gespräch ein. Die Fragen erwiesen sich nicht als derartig zweideutig und kompliziert, wie ich angenommen hätte und die Sache begann mir Spaß zu machen. Ich entschloss mich doch nach einem Plätzchen zu greifen; wer so viel nachdenkt bekommt schließlich Hunger? Erwischt - umgehend huschte der Kugelschreiber über das Papier. Jetzt sah sie mich wieder an: ,,Was ist das größte Geschenk, dass Ihnen jemals gemacht wurde”? Ich glaube, dass ist eine dieser Fragen, die nur sehr wenige Menschen im Alltag überdenken. Weshalb das gerade die Psychologieabeilung unserer Universität bewegte konnte ich mir nicht erklären. ,,Das eigene Leben”, ich versuchte spontan zu klingen. Wieder machte sie Notizen: ,, Ist diese Person aus dem Leben getreten?” Ich lachte, es war nicht angebracht zu lachen, doch mich amüsierte ihre Ausdrucksweise. ,,Ich halte diese Reaktion nicht für angemessen”, ihr Blick wirkte streng und strafend. Wie sollte ich ihr erklären, dass ich keines Wegs über den Inhalt ihrer Aussage gelacht habe, sondern einfach nur versuchte, mich gedanklich abzulenken. Ich wollte diese Unbekannte nicht an meinem Erbe teilhaben lassen. An dem Geschenk, dass nur mir gemacht worden war. ,,Leukämie”, sagte ich, in der Hoffnung damit zur nächsten Frage übergehen zu können. ,,Welche Gestalt hatte dieses Geschenk?”, sie hatte offenbar entschlossen mich weiterzuquälen. Allerdings muss ich auch eingestehen, dass meine kurzen, ausweichenden Antworten zum Verlauf des Gespräches beitrugen. Nach einer Vielzahl an Fragen hatte sie es gerade einmal geschafft zu erfahren, dass ich sich hierbei um einen Karton mit ganz besonderem Inhalt handelte, der mich und meine Denkensweise beeinflusst hatte. Sie gab sich wirklich sehr viel Mühe, musste aber irgendwann um den zeitlichen Rahmen nicht zu sprengen unsere ,,Unterhaltung” beenden. Sie führte mich zum Ausgang, blieb plötzlich stehen und sah mich einige Zeit an. ,,Könnten Sie es sich vorstellen mir einen Einblick in dieses Leben zu gewähren? Mir als Menschen und nicht der Psychologin in deren Rolle ich manchmal schlüpfe?”, ihr Blick berührte mich. Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass dort, knapp einen Meter von mir entfernt, jemand stand, der verstehen würde… Wir verabredeten uns und setzten den kommenden Dienstag als Termin an. Ihr Gesicht strahlte Dankbarkeit aus, die vom Herzen zu kommen schien. Sie reichte mir die Hand und lobte distanziert meine freiwillige Bereitstellung für ihre Persönlichkeitsstudie.
Der Regen lief die Fensterscheiben herunter, als ich den so liebevoll bemalten Schuhkarton vorsichtig in eine Plastiktüte einhüllte. Ich hatte am Morgen kurz mit dem Gedanken gespielt sie anzurufen und ihr mitzuteilen, dass ich krank geworden sei. Sie hätte meine Lüge bestimmt bemerkt und wäre enttäuscht gewesen. Ich nahm meinen Regenmantel von der Garderobe und machte mich auf dem Weg. Ich würde viel zu früh erscheinen, wie es doch eigentlich ganz untypisch für mich war. Erstaunt stellte ich fest, dass sie bereits in einer Zeitung vertieft einen Kaffee zu sich nahm, als ich eintrat. Um ihren Mundwinkel bildeten sich kleine Grübchen: ,,Das nächste Mal setzen wir einfach einen früheren Termin an.” Nachdem ich um einen Früchtetee gebeten hatte, stellte ich den Karton auf die alte Nähmaschine, welche jetzt als Tisch diente. Sie strich nahezu liebevoll über den Deckel, bevor sie ihn zögernd abnahm. Ganz oben lag ein kleines Heftchen, handschriftlich eng gefüllt. ,,Sie gestatten?”, sie sah mich fragend an. Ich nickte ihr zu. Ihre Art zu lesen, so elegant und vertieft, faszinierte mich.

Immer fester tritt sie in die Pedalen, eine heiße Träne brennt auf ihrem Gesicht und der Papierknüddel in ihrer Hand beginnt unleserlich zu werden. Einen kurzen Augenblick lang sieht man ihren Handrücken über ihre Wangen fahren, um danach wieder regungslos am Lenker zu verweilen. Es ist noch früh am Morgen. Im benachbarten Wäldchen liegt Tau. Sie spiegelglatte Oberfläche des Kanals glitzert golden. Eine Entenmutter flüchtet mit ihren aufgeschreckten Küken ins Schilf. Die braunen Wesen wirken hilflos. Etwas abseits entdeckt sie ein gänzlich gelb gefärbtes Geschwisterkind, welches sich um eine Aufrechterhaltung des Kontakts bemüht. Abseits – sie würde auch abseits stehen.

,,Sie schreibt über sich in der dritten Person Singular?” - ihrer Stimme konnte ich keine Irritation entnehmen. Es klang beinahe so, als wenn sie damit gerechnet hätte; dabei hätte der Zusammenhang ihr doch völlig fremd sein müssen. Woher sollte sie wissen, dass dieses kein literarisches Werk und auch kein Tagebuch war, obwohl sie jedes Erlebnis, jedes Gefühl präzise darstellte?

Die Sonne heizt das Klassenzimmer unerträglich auf. Ihre Blicke streifen aus dem Fenster. Möwen umkreisen den alten Kornspeicher. „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“, halt es durch den Raum. Seit Wochen quält man sie mit Zahlen, Theorien und Staatssystemen. Immer wird Leistung verlangt, viele Wortmeldungen, Nachfragen, gute Noten – wie eine Maschine. Maschinen sind nicht lebendig.
Es klingelt, die ist erlöst, wenn auch nur für fünf Minuten. Weg von dem Druck, der auf ihr lastet, weg vom notenorientierten Denken – und doch mitten drin: „Du kannst doch immer alles, erklär mir den Unterschied zwischen einem Adjektiv und einem Adverb.“ Sie war kurz davor zu schreien, einfach „Nein“, zu rufen, „ich bin ein normaler Mensch!“ Doch etwas hält sie zurück, sie kann später nicht einmal genau sagen, was es gewesen ist. Vielleicht die Angst, die schon seit Tagen erdrückend auf ihren Schultern liegt. Der Angst ausgelacht, nicht akzeptiert zu werden. Langsam fängt sie an zu erklären, unbewusst, dass sie dabei dem Bild, das man von ihr hat gerecht wird.
Schweigend sitzt sie in der ersten Reihe. Ihre Augen verfolgen Christiane. Sie hatte das Buch schon oft gelesen, doch der unbekannte Film schien sie zu fesseln. Irgendwie fasziniert sie das Mädchen, er scheint – zu mindestens äußerlich – alles auszuhalten. Natürlich, sie weiß, dass der Weg der Kinder vom Bahnhof Zoo nicht der richtige ist und dennoch hätte sie manchmal gerne die Kraft Christianes. Ihr Handgelenk ist inzwischen blutrot, sie schafft es einfach nicht aufzuhören. Den Zettel noch immer in der Hand kratzt sie sich stärker, doch ihr Schmerz nimmt zu. Der ursprüngliche juckende Mückenstich ist kaum noch erkennbar. „ Es lohnt sich nicht, glaub mir! Ich habe schon so viele Sachen gemacht, die nicht in Ordnung waren und dachte es hilft mir. Letztendlich hat es alles nur noch schlimmer gemacht. Ich dachte ich müsste mich für alles, was in meinem Leben schief geht bestrafen. Ich tat es bewusst und empfand meine Schmerzen als gerecht. Es war ein Fehler, doch damals war ich wirklich am Boden zerstört.


,,Die sprachliche Eloquenz des Mädchens ist beeindruckend. Stört es dich, wenn ich fortfahre?”, sie wirkte ganz normal. War es ihr nicht aufgefallen, dass sie soeben ins Duzen übergegangen war. ,,Ganz im Gegenteil, wenn es DIR wichtig ist”, sie lachte und hob ihre Tasse an.

Ich wusste keinen Ausweg. Die Türen, die mir offen standen habe ich einfach nicht gesehen - und mich stattdessen in das Ritzen geflüchtet.” Sie schreckte auf, versucht zu erklären und nimmt dennoch den kritischen, Unglaube ausstrahlenden Blick Mariahs war. Diese, sich wieder dem Film zuwendend, nickt ihr zu: ,,Du wärst nicht die Erste…”


,,Mariah beschuldigt sie also unberechtigt denselben Fehler zu begehen, wie sie damals? Wie lautet eigentlich ihr Name?” - ,,Juli, sie heißt Juli.”

Die Ermahnungen des Lehrers hindern sie am Weitersprechen, sie beobachtet, wie ihre Kumpanin vorsichtig ihre Bluse über ihr Handgelenk zieht. Später wird sie mit ihren Freundinnen sprechen, sie von der Notwendigkeit einer Reaktion überzeugen und dabei die Anwesenheit derer, deren Zettel in der Jackentasche verschwunden ist nicht bemerken.
Irgendwie sind sie alle einfältig, der Entwicklung voraus, vielleicht teilweise gänzlich niveaulos. Manchmal, wenn sie auf ihrem Bett lag, ordnete sie ihre Wahrnehmungen derartig ein. Sie sah aber auch die Jungen ihrer Gemeinschaft, deren Verhalten als kindisch eingestuft wurde, die uninteressant waren, ihr aber durch ihre Erfahren- und Unkompliziertheit imponierten. Manchmal pflegte sie den geheimen, oft verdrängtem Wunsch zu ihnen zu gehören, so unsportlich sie auch sein mochte.
Er geht schnell, so schnell, dass selbst sie, die einen zügigen Schritt pflegt erstaunt über sein Tempo ist. Sie war ihre Sätze schon einige Mal durchgegangen, doch jetzt, wo sie den Weg über den Schulhof zurücklegten, erscheint ihr jedes einzelne Wort als unpassend. Die Zeit drängt, Felipe starrt zu Boden: ,,Nun, die anderen warten auf mich, sie können ohne mich nicht spielen.” Ihre Blicke streifen über sein Gesicht, in der Hoffnung Sicherheit zu finden. Langsam beginnt sie: ,,Ich hätte dir nicht schreiben sollen, es war zu früh. Ich bevorzuge übrigens auch den direkten Kontakt, aber ich musste dir all das irgendwie mitteilen. Welche Chance wäre mir verblieben?” Warum hatte sie ihn angelogen? Sie liebte Briefe, das knisternde, sich allmählich füllende Papier, das ihrer momentan äußerst starken Neigung zur Selbstkontrolle entgegen kommt. ,,Soll es das gewesen sein?” Auf ihr ,,Ich denke schon…”, rennt er davon. Sie geht alleine weiter. Mariah erwartet ihn bereits, sie albern im Tor herum, sprechen über das letzte Spiel im Fernsehen, das doch eigentlich zur Sendezeit ihrer Seifenoper lief.


,,Darf ich Sie bitten sich zu erheben? Wir schließen jeden Augenblick”, der Kellner strahlte trotz seiner freundlichen Ausdruckweise Dominanz aus. ,,Entschuldigen Sie bitte”, ich stand auf und half Lara in ihren rot-weiß karierten Mantel. ,,Hättest du Lust noch in den Park zu gehen? Um diese Uhrzeit sind nur sehr wenige Menschen dort anzutreffen.” - ,,Eigentlich hätte ich dich jetzt darum bitten wollen mit zu mir zu kommen, wäre dir das auch Recht?” Ich zwinkerte ihr zu: ,,Nur zu gerne, ich liebe die Emanzipation”.
Ihr vollbehangenes Schlüsselbund klimperte in ihren Händen, als wir die Treppenstufen zu ihrer Wohnung hinaufstiegen. Auf dem Flur stand eine große Kommode, die mich an einen Apothekerschrank erinnerte. Die grünen Pflanzen darauf schienen alle liebevoll gepflegt zu sein. An den Wänden reihten sich Bücherregale, die - soweit ich die Bücherrücken überblicken konnte - allesamt mit Werken über die Psyche des Menschen gefüllt waren. Dem schloss sich ein sehr hoch angelegter, weit ausgedehnter Raum, den man schon fast als Saal hätte bezeichnen können, an. Ess-, Wohn-, Arbeits- und Schlafbereich flossen elegant in einander über. Dieses Bild perfektionisierten die abgerundeten Fenster, die am Tag wahrscheinlich viel Licht in den Raum fluten ließen. Zu diesem Zeitpunkt genoss ich allerdings den Blick auf den sternenklaren Nachthimmel, der nur durch mein ,,akutes Hungergefühl” beeinträchtig wurde. Ich bot mich an eine kleine Mahlzeit zuzubereiten, denn ihre ordentliche Küchenzeile wirkte geradezu einladend. Widerwillig stimmte sie ein: ,,Bringst du es immer fertig deinen Gastgebern ein schlechtes Gewissen einzureden?”. Die Ironie in ihrer Stimme durchaus wahrnehmend entgegnete ich ihr, als ich nach einem geeignetem Kochtopf suchte: ,,Ich betrachte es als meinen persönlichen Auftrag den Menschen durch Perfektion ihre eigene Unzulänglichkeit vor Augen zu führen.” Sie setzte sich an die Theke und beobachtete mich eine Zeit lang fragend, als ich ihren Kühlschrank nach brauchbaren Zutaten durchsuchte. Die Stille hatte keinen negativen Beigeschmack. Ich nahm sie eher als angenehm war, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Sie begann erneut sich in das Heftchen zu vertiefen.

Sie erinnerte sich noch ganz genau an den Moment, wo sie sich gemeinsam am Bächlein sitzend die Sonne ins Gesicht scheinen ließen. Sie hatte ihre Augen geschlossen, ein Käfer krabbelte über ihre Wangen. Mariah lachte, schnipste ihn beiseite. Sie hatte ein wohlgeformtes Gesicht mit treuen Augen, die in gewisser Weise Zuneigung ausstrahlten. Manchmal hatte man das Gefühl ihr Körper würde nicht in dieses Bild passen. Jetzt sah sie Juli an: ,,Du magst ihn, oder?” Diese sprang ruckartig auf, klopfte die Erde ab und begutachtete Mariah: ,,Ein wenig…” Sie bereute diese Antwort, welche die Kraft hatte, die interessantesten Fernsehsendungen plötzlich unwichtig erscheinen zu lassen und die sie letztendlich zum Schreiben des Briefes gebracht hatte.
Sie liegt auf ihrem Bett, die Decke bis zum Gesicht gezogen. Ihr Handgelenk riecht anwidernd nach Mückensalbe. Sie hatte die Reaktion Mariahs tatsächlich mitbekommen. Würde sie jemand darauf ansprechen? Und wie konnte sie glauben, dass gerade SIE versuchte ihre Probleme durch Ritzen zu lösen? Dieser Gedanke wird von den Erinnerungen an das Gespräch mit Felipe verdrängt. Auf dem Nachtschrank liegen Papierfetzen, die zerrissenen Überreste seiner Antwort, die sie den ganzen Tag bei sich getragen hatte. Ihr Kopf dröhnt, ihre Gedanken kreisen, rufen immer wieder: Warum? Mit wem sollte sie sprechen?
Sie beißt sich auf die Lippen, beschließt hinauszugehen und einfach weit wegzulaufen. Die frische Luft tut ihr gut, sie schwitzt. Dieses ist einer der vielen Momente, in denen sie ihre Unsportlichkeit verfluchen könnte. Die Ordnung ihrer Gedanken fällt ihr schwer. Letztendlich läuft doch alles auf eine Frage hinaus: War die momentane Situation etwa das Gegenteil von Liebe? Zersetzend, quälend, hindernd… negatives Engagement, Nähe und Identifikation? Viele würden diesen Zustand als Hass bezeichnen. Irgendjemand Berühmtes hat einmal gesagt, dass das Gegenteil von Liebe eben nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit sei. Ihre Erklärungsversuche liefen darauf hinaus, dass Hass doch auch eine Form der - wenn auch negativen - Zuwendung ist; so besteht dennoch eine starke Bindung zum Subjekt. Müsste der Kontrast zur Liebe nicht eine gänzliche Lösung von diesem bedeuten? Müsste aus der Zuwendung nicht Ignoranz (keine Toleranz) werden, oder Isolation, Egoismus, Teilnahmslosigkeit, Abstand…? Ignorierte er sie? Oder war auch ihr eigenes enges Verbundenheitsgefühl etwas anderes, als ihre Umwelt annahm? Als das, wovon sie durch Mariah beeinflusst war?
Während des Wartens knetete sie nervös auf ihren Fingern. Vielleicht hatte sie auch Pausenaufsicht? Doch schließlich sieht sie sie die Schülermassen energisch beiseite schiebend auf sie zukommen. ,,Hallo Juli, zum wem möchtest du?” ,,Eigentlich möchte ich mit Ihnen sprechen.”,,Wieso denn nur eigentlich?”,,Okay, ich möchte mit Ihnen sprechen.” ,,Worum geht es denn? Warte Mal, wir stellen uns gerade ein wenig zur Seite, sonst werden wir noch erdrückt.” Sie zitterte ein wenig, während sie hektisch zu erklären versuchte, wie die anderen zur Annahme der Ritzerei gekommen sein könnten. Hätte sie auf die Reaktion ihres Gegenübers geachtet wäre ihr schon früher aufgefallen, dass diese mit der Situation nicht vertraut war, dass noch niemand sie informiert hatte - doch jetzt musste sie alles erklären. Schließlich sieht sie sie an und lacht: ,,Das hätte ich bei dir auch nicht anders vermutet.” Diese Reaktion bringt für sie in gewisser Weise Erleichterung mit sich. Sie ist autonom genug, um sich von der Meinung Mariahs zu distanzieren, doch an ihrer liegt ihr viel.
Am Eingang trifft sie Felipe. Er lehnt im Gespräch vertieft an der Tür. Über ihm hängt ein Plakat. Die Überschrift ,,Musik aus Leidenschaft” sticht hervor und fällt ihr sofort ins Auge. Auch das übrige Layout sagt ihr zu. Ihr Basslehrer hatte ihr eine Karte mit dem Kommentar ,,durchaus lohnenswert” überlassen. Vielleicht würde sie es sich dieses Mal ausnahmsweise doch anhören. Ob Luna auch spielen würde? Mo, Felipes Gesprächspartner, hatte sich inzwischen ihr zugewandt und versuchte ihre Registration zu erzielen. Sein wirklicher Name Mortimer ist den wenigsten bekannt. ,,Du interessierst dich dafür?” Ertappt blickte sie auf den Boden: ,,Mag sein”. Felipes Gesichtsausdruck ist deutlich ein Anlächeln zu entnehmen, doch als sie es zu erwidern versucht wendet er sich ab und spricht Mo gezielt auf die noch offen stehenden Musikhausaufgaben an. Viele beneideten ihn um die Leichtigkeit, mit der er sie erledigte. Eine Freistunde reichte ihm zu Genüge.
Auch sie genießt die freie Zeit, wenn sie auch aufgrund der Schwüle von der Verrichtung sinnvoller Aufgaben absieht. Stattdessen zieht sie es vor sich mit Luna im Schatten der vor ein paar Jahren neu gesetzten Bäumen auf dem Schulhof zu räkeln. Luna ist ein wenig älter als sie. Ihre südländische Herkunft ist deutlich zu spüren. Eigentlich kennt sie sie kaum, doch sie empfand schon bei der ersten zufälligen Begegnung eine gewisse Zuneigung zu dem Mädchen, deren Ansichten und Weltbild nur zu oft dem ihrigen ähneln. Deshalb versuchte sie auch jetzt mit ihrer verschwiegenen Identifikation mit Christiane auf Verständnis zu stoßen. Beide liebten es sich gegenseitig kurze Buchvorstellungen zu geben und über deren Inhalt zu diskutieren. Doch dieses Mal hatte Juli die Kenntnis des Lebenslaufes als selbstverständlich vorausgesetzt. Es gelang ihr nicht das Thema zusammenzufassen, während sie darüber nachdachte, ob in diesem Fall eine gravierende Wissenslücke vorläge. Plötzlich kam ihr das Plakat wieder in den Sinn: ,,Wirst du eigentlich am Wochenende spielen?” Sie nickte freudestrahlend. Einmal hatte sie sie gefragt, was es denn für die bedeuten würde zu spielen. Seitdem war sie fasziniert von ihrer Leidenschaft für Musik, die sie - wenn auch nur teilweise - teilte. Wenn ich spiele sitze ich in einem großem, hellem Raum, weit weg von all diesem, bin ich der Natur, den Tieren ganz nahe, bin ich, bin ich glücklich - auch unter Menschen.
Luna unterbrach ihre Gedanken. ,,Übrigens”, sagte sie, ,,ich habe ein Schwesterchen bekommen.” Sie lebte in einer kinderreichen Familie und ihre Eltern waren nach Ansicht der Mitschüler schon in die Kategorie ,,betagter” einzuordnen. Weshalb hatte sie nichts erzählt? Hatte sie Angst, dass gerade sie genauso oberflächlich reagieren würde?



Edit von Tiggin
Sonderzeichen im Titel

Dieser Beitrag wurde 3 mal editiert, zum letzten Mal von Jenna: 05.02.2006 22:08.

05.02.2006 19:38 Jenna ist offline E-Mail an Jenna senden Beiträge von Jenna suchen Nehmen Sie Jenna in Ihre Freundesliste auf
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@ Evi: Vielen Dank, ich habe die Fehler umgehend behoben. Ist wirklich sehr lieb von dir, dass du dich damit befasst hast *sich freut*

Es enttäuschte sie ihr Vertrauen nicht erwidert zu wissen. ,,Freust du dich denn gar nicht?” - ,,Doch, aber die Deutschen sind so kinderfeindlich”, sagte sie ins Schellen hinein. In derartigen Momenten wünschte sie sich, die Dampfmaschine, welche den Zeitrhythmus in das Leben der Menschen gebracht hatte, sei nicht erfunden worden.

Es war nicht leicht gewesen aus den vorhandenen Vorräten eine angebrachte Mahlzeit zuzubereiten. Um ehrlich zu sein, war ich fast ein wenig stolz auf mich, als mein Blick über den sorgfältig gedeckten Tisch streifte und Lara überraschte Anerkennung äußerste. Zu meiner größten Irritation war dieses Etwas aus Ketchup, Yoghurt, grüner Paprika und sonstigem Allerlei sogar noch genießbar. Ich betrachtete Lara. Betrachten mag einem an dieser Stelle zunächst als ungewöhnliches Verb vorkommen, aber ich muss eingestehen sie wirklich wie das Werk eines großen Künstlers begutachtet zu haben. Welche berechtigte Kritik man wohl an ihr üben konnte? Vorsichtig schob sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und tupfte ihre Lippen ab, bevor sie zum Wasserglas griff. Ich mochte nicht beurteilen, ob das Nicht-Vorhanden-Sein einer Weinflasche auf der Führung ihres Haushaltes oder einer Ablehnung gegenüber alkoholischen Getränken beruhte. ,,Es ist interessant, das Mädchen erwähnt nicht ein einziges Mal ihr Krankheit”, sie pustete leicht über ihre Gabel. ,,Ich habe den Eindruck es gehört für sie ganz normal dazu - ist nicht erwähnenswert. Außerdem scheint sie die Erlebnisse nicht direkt niedergeschrieben zu haben, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt ihre Handlungen ihren noch im Nachhinein anwährenden Empfindungen angepasst zu haben. Sie gewährt dem Leser Einblick in ihr gesamtes Weltbild. Wie alt mag sie gewesen sein, als sie all das niederschrieb?”,,Sie fertigte diesen Karton während ihres 14. Lebensjahres an, danach hat sie nie wieder ein Wort zu Papier gebracht.” Sie nickte verständnisvoll. Warum viel es ihr so leicht zu verstehen, weshalb musste sie sich nicht mühsam durch die Zeilen quälen, um sich deren Bedeutung bewusst zu machen? ,,Lass das Geschirr doch stehen. Magst du dich nicht mit mir aufs Sofa setzen? Ich hoffe es langweilt dich nicht zu sehr, dass ich meine Aufmerksamkeit zu einem Großteil in gewisser Weise einer anderen Person widme?” Sie warf mir ein Kissen zu. Ich war unaufmerksam, habe es zu spät bemerkt. Herausfordernd versuchte ich ebenfalls sie zu treffen. Nach einer anstrengenden Kissenschlacht, die nach einiger Diskussion unentschieden ausgegangen war ließen wir uns keuchend nebeneinander nieder. Als sie erneut das Heftchen aufschlug, dachte ich darüber nach, dass ich eigentlich erst durch diese ,,andere Person” den Kontakt mit ihr aufgenommen hatte.

Es war leicht gewesen Lunas Adresse zu ermitteln. Sie hatte zunächst gezögert das Telefonbuch aufzuschlagen und sich schließlich doch dazu überwinden können sie zu besuchen; mit ihr zu sprechen. Ihre Armbanduhr hatte sie Zuhause gelassen. Gedankenverloren streift sie an den Geschäften vorbei, jegliche Zusammenstöße unbeachtend. Hier waren sie also, all die so farbenfroh und lebendig geschilderten Menschen und Tiere - grauer Beton, eingegitterte Bäume, denen keine Zuneigung gegönnt wurde. Viele, viele hatte sie nach dem Weg gefragt, sich des Öfteren wehmütig umgeschaut, Kreuzungen gemieden, wenn nicht gar gehasst und oft Umwege gemacht. Und nun war sie hier.

,,Worauf bezieht sie sich? Spielt sie eventuell auch auf ihr Leben an?”, vorsichtig lehnte sie ihren Kopf an meine Schultern, ,,Darf ich?”

Nein, sie durfte nicht hier sein, sie hätte niemals suchen dürfen, denn nun musste sie eine Rast einlegen. Aber dennoch - hat nicht alles einen Grund? Selbst das empfindliche Leben muss doch einen Sinn haben…
Leere, unendlich tiefe Löcher und sie kurz davor. Die Unendlichkeit ist ein seltsames Gebilde, man kann sie nicht fassen, erfassen. In einem Hotel gäbe es unendlich viele Zimmer, von denen alle belegt seien. Dennoch gerate der Hotelbesitzer nicht in Verlegenheit weitere 100 Gäste bei sich aufzunehmen. Er solle die Bewohner gebeten haben das Zimmer, dessen Nummer sich aus der eigenen und hundert ergibt, zu beziehen, was zur Folge hatte, dass die ersten Zimmer frei wurden. Auch unendlich viele Ankömmlinge bewältigte er durch Umzug in die doppelte Zimmernummer.
Ein Teil der Unendlichkeit, des ungewissen Schwarz? Sich der Ideologie des Brahmans (oberstes göttliches Prinzip im Hinduismus) hingeben? Ist es wirklich das, was sie will?
Sie bleibt abrupt stehen. Ihre Lippen bewegen sich. Langsam formen sie ein Wort. Gelogen. Sich nicht umschauend geht sie jetzt entschlossen voran.
Lunas Finger fliegen über die Tastatur. Ein Stück - ihr Stück - erfüllt den stickigen Raum. Das verstimmte Klavier macht es ihr schwer sich ganz von der hiesigen Welt zu lösen und dennoch spielt sie mit selten gehörter Emotionalität. Sie schließt die Augen, genießt jeden Ton, verändert hier und dort einen Akkord.
Fasziniert steht sie noch immer in der offenen Wohnungstür
.

Unerwartet erhob sie sich. Das Heftchen wurde mit einer undefinierbaren Handbewegung auf den Tisch manövriert. Auf der einen Seite wirkte sie dominant und selbstsicher auf der anderen fast zärtlich… ich weiß nicht, ob man dieses wirklich als Gegensatzpaar im eigentlichem Sinne bezeichnen kann, aber es zeigte mir doch, wie gespalten sie in diesem Moment war. Sie ging auf und ab - immer wieder. Ich wünschte mir zu diesem Zeitpunkt nur, dass sie doch endlich stehen bleiben möge. Ich fühlte mich schuldig, konnte aber nicht einmal genau definieren wofür. Erst später wurde mir bewusst, dass sie dem Hier-und-jetzt-Denken entflohen ist. Ihr Leben ist dadurch um einiges komplizierter geworden, aber sie behauptet trotz allem glücklicher zu sein, auch wenn das für einen Großteil nicht nachvollziehbar ist. ,,Ich mag nicht mehr weiter lesen. Sie wird sich verändern und ich möchte zu denen gehören, die sie - wenn auch nur indirekt - als ,,sie selbst” kennen gelernt haben und nicht als den von einer Krankheit geprägten Menschen.” Ich verstand sie, konnte sie doch nicht ahnen, wie weit Juli schon zu denken fähig war. Doch mitgeteilt habe ich es ihr trotzdem nicht. Sie sollte für sich selbst entscheiden, wie weit sie gehen würde. Vielleicht war ich auch einfach nur neugierig… Ich überredete sie dazu doch zumindest den restlichen Inhalt des Kartons zu mustern. Zunächst erschien das mir sehr wohl bekannte rote Büchlein in dem das Heftchen seine Fortsetzung fand. Es war noch viel Platz darin. Juli hatte nur die ersten Seiten beschriftet. Doch auch dieses legte Lara entschlossen zur Seite. Stattdessen strich sie vorsichtig mit der Handfläche über den Umschlag einer Taschenpartitur. Symphonie Nr. 2 - die berühmte Auferstehungssymphonie von Gustav Mahler. Groß stand darauf: in fünf Sätzen für großes Orchester, Sopran- und Altsolo und gemischten Chor
Hatte ich doch einst ein Konzert besucht um den musikalischen, als auch religiös-programmatischen Spannungsborgen zu erleben.
In Julis Ausgabe waren einige Textstellen bearbeitet und mit gelbem Buntstift markiert. Sie schien nahezu jedem der fünf Sätze eine Aussage entnommen zu haben.
Lara wendete sich ihrem Sekretär zu. Mit grüner Tinte übertrug sie die Wörter sorgsam auf einen Briefbogen.

Erster Satz:
,,O glaube, mein Herz, o glaube:
Es geht dir nichts verloren!
Dein ist, ja dein, was du gesehnt,
Dein, was du geliebt,
Was du gestritten!”


Eine Träne lief über ihre Wangen und fiel auf das Papier. Sie schrieb dennoch tapfer weiter. Vielleicht wird manch einer die Formulierung ,,tapfer” unpassend finden, doch ich hielt Lara für stark. In meinen Augen sind die, welche fähig sind Leid wahrzunehmen und trotzdem nicht zerbrechen - Halt geben - viel stärker, als solche die autonom genug sind um einfach wegschauen zu können. Ich dagegen wandte mich dieser fremden Person zu und opferte mich auf. Ich hatte nicht aufhören können zu lesen und musste mich dann mühsam an den letzten Worten herausziehen. Sie dagegen setzte ihre Feder erneut auf den Bogen.

Zweiter Satz:
,,O glaube:
Du wardst nicht
Umsonst geboren!
Hast nicht umsonst
Gelebt, Gelitten!”

Dritter Satz:
,,O Schmerz!
Du Alldurchdringer.
Dir bin ich entrungen.
O Tod! Du Allbezwinger!
Nun bist du bezwungen!”

Vierter Satz:
,,Was entstanden ist,
Das muss vergehen!
Was vergangen, auferstehen!
Hör auf zu beben!
Bereite dich zu leben!”


Leben, Tod und Auferstehung. All das verband ich mit einer Religion. Wie sehr ich mich doch geirrt hatte. Sie blickte auf: ,,Der fünfte Satz! Er fehlt!” Was mir zuvor nicht aufgefallen war drängte sich jetzt in mein Bewusstsein - war die Symphonie doch bewusst als fünfsätzig gekennzeichnet. Weshalb fehlten die Seiten? Meine Gedanken wurden vom dumpfen Klang der alten Wanduhr unterbrochen. Ich zählte die Schläge. Es war Mitternacht. Ich verabschiedete mich. Wir gingen auseinander ohne Verpflichtungen und Erwartungen. Ich verschwand einfach. Draußen war es bereits kühl geworden. Das schwarz der Nacht hüllte mich ein. Hin und wieder kam ich an einem beleuchteten Fenster vorbei. Sonst gab es nicht außer dem Dunkel und mir. Luna hatte auf eine ganz andere Art und Weise den Karton betrachtet, als ich es damals tat. Sie war viel aufmerksamer gewesen und hatte mir dadurch Dinge gezeigt, die ich zuvor nicht wahrgenommen hatte. In meinem Kopf schwirrten neue Fragen. Schlafen konnte ich nicht während ich endlich in meinem Bett lag. Meine Wohnung war mir noch nie so leblos erschienen. Ich fühlte mich seltsam verlassen, meine Umgebung erweckte einen kahlen Eindruck. Ich muss ehrlich eingestehen, dass ich mich eigentlich nur noch ablenkte. Ich lernte und pendelte zwischen der Universität und meinem Zuhause. Ablenkung ist die beste Methode um vergessen zu können. Oder sollte ich besser sagen ,,verdrängen”?
05.02.2006 22:12 Jenna ist offline E-Mail an Jenna senden Beiträge von Jenna suchen Nehmen Sie Jenna in Ihre Freundesliste auf
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Erst der Brief mit den Ergebnissen der Studie erinnerte mich wieder an das Erlebte. Sie hatten sich dabei, wie mir erklärt wurde, an das Fünf-Faktoren-Modell gehalten. ,,Big-Five” erfreut sich in der wissenschaftlichen Psychologie großer Beliebtheit. Jemand hatte es einmal als Persönlichkeit in Scheiben bezeichnet. Ich muss eingestehen mich sehr mit der Bewertung identifizieren zu können. So viel hatte Luna über mich in Erfahrung bringen können. Und ich? Was wusste ich über sie? Wie mochte ihr Persönlichkeitsprofil aussehen? Und wie das von Juli? Ich überfolg noch einmal die einzelnen Aspekte:
1. Extraversion
2. Soziale Verträglichkeit
3. Gewissenhaftigkeit
4. Neurotizismus
5. Intellekt / Kultur / Offenheit für Erfahrungen
Frei nach Albert Einsteins ,,Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt“ versuchte ich mir selbst meine Antworten zu erschließen und vorzustellen. Der Gedanke, dass dieses die Grundlage für Vorurteile und nicht erfüllbare Erwartungen sein könnte kam mir nicht.
Auf der Rückseite entdeckte ich eine Bleistiftnotiz.

Wie wäre es, wenn wir heute deinem Vorschlag nachgehen? Um drei Uhr im Park an der großen Eiche?

Ich war gezwungen zu lachen. Allein die Tatsache durch Markierung die Uhrzeit besonders hervorzuheben war schon außergewöhnlich. Wer aber den Hintergrund kannte hätte erahnen können, dass beide eine halbe Stunde eher erscheinen würden. So saßen wir wieder nebeneinander, unsere Gedanken bei einer anderen Person und verhielten uns langweilig. Kann man sich eigentlich ,,langweilig” verhalten? Ich empfand es nicht als langweilig. Nein. Bestimmt nicht. Doch ein Außenstehender hätte hier erfolglos nach interessanter Handlung gesucht. Nur wir waren fähig diese wahrzunehmen, obwohl doch wieder alles nach demselben Schema verlief, sobald Lara sich dazu durchgerungen hatte mit der Lektüre fortzufahren.

Der lange Flur reit Klingel an Klingel und Nachbar an Nachbar. Eine Perlenkette - vielleicht denkt sie so - wie eine billige Perlenkette, deren schönen Perlen das schlechte Band nicht zu halten vermag. Das Klingeln vergessend näherte sie sich dem auch in der Unendlichkeit Einzigartigem. Lunas Finger zuckten zurück, holten sie zurück von dort, wo sie am liebsten ewig sein wollte. Hübsch war sie, so zierlich mit Sommersprossen. Sie kam in einer Mondnacht zur Welt - Luna. Ihre nackten Füße reibend mied sie jeden Blickkontakt zu ihr, die ihr schon so nahe stand. Nach Julis Empfinden hätte es kein besseres Bild zur Verdeutlichung der Beziehung zwischen ihr und Felipe geben können. Die roten Locken betonten Lunas rehbraunen Augen. Sie wirkte scheu. Es war schwer zu glauben, dass jene Melodie von ihr stammen sollte. Allein ihre Finger ließen eine derartige Schlussfolgerung zu. Wie sollte sie ihr jemals wieder vertrauen können?
Vor ihrem Schreibtisch sitzend betrachtete sie die Vielzahl an noch zu erledigenden Hausaufgaben. Sie blättert in ihrer Bibel. Einige der dünnen Seiten sind eingerissen. Ihre Schule ist sehr christlich, doch sie hat ihre ganz eigene Vorstellung von Gott. Sie verabscheut die Trennung der Religionen und denkt dabei an Nathan den Weisen. Sie selbst hat das Theater nie gesehen. Ihr sind nur die wenigen Abschnitte, die Luna als erwähnenswert empfand, bekannt. Sie versucht sich auf den Abschnitt der Bergpredigt zu konzentrieren.
,,Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seit eures Vaters im Himmel.”
Ihr Blatt füllt sich schnell. Ihre Interpretation der Feindesliebe ist keine Schwächlichkeit, vielleicht sogar das Gegenteil. Sie bedeutet nicht Gegensätze zu übertünchen, sondern Gegensätze zu überbrücken, sich in die Situation des anderen hineinzudenken.


,,Leben, Tod und Auferstehung” - hier waren sie also, die Gedanken eines jungen Mädchens, das sich wünscht glauben zu können. Nicht weil sie Erwartungen, Hoffnungen und Ängste dazu zwingen, sondern einfach nur, weil es ,,leichter” wäre.
Dabei sagt doch jeder Atheismus sei leicht. Glauben sei eine Leistung, unendlich Vertrauen… aber sie würde nur zu gerne sicher sein können, dass ein bestimmter Input einen bestimmten Output garantiert. Sie würde immer brav sein… Allein der Gedanke, dass Leben sei einem höherem Zweck dienlich wäre doch ganz angenehm?
Natürlich ist das eine oberflächliche Betrachtung. Ich werde mit diesen Worten ihrer Ansicht nicht gerecht. Ich bin mir aber sowieso nicht ganz sicher, ob man(n) das überhaupt kann.

Sie ist überzeugt davon die Kraft zu haben sie auch ausleben zu können. Sie schiebt ihren Stuhl ab den Tisch, sucht die Eintrittskarte in ihren Notenblättern und spannt ihr Sandalen auf ihren Gepäckträger. Sie liebt es trotz heftiger Kritik ihrer Mutter barfuss zu sein. Für sie bedeutet es ein Stück Freiheit. Erst am Fahrradständer streift sie sich die Riemchen über ihre Füße. Wenn sie noch einen Sitzplatz bekommen möchte muss sie sich beeilen. Dieses Jahr führt Ada die Kasse. Sie gehört zu denen, die freundlich lächelnd keine Gelegenheit auslassen sich ur Schau zu stellen. Sie entscheidet sich nach einer schnellen Musterung der Reihen für einen hinten gelegenen Eckplatz. Den Aushängen entnimmt sie das Programm des Abends. Luna ist ein Solo in der Mitte des Konzerts zugeteilt worden. ,,Wirklich äußerst viel versprechend”, Mo grinst sie an. Julis Blick scheint fragend zu wirken, sodass er ergänzt: ,,Wir müssen doch wissen, was für dich ,mag sein` bedeutet” Eigentlich hätte er genauso gut zum Pfeiler neben ihr sprechen können, denn ihr Aufmerksamkeit war auf Felipe gerichtet.
Mariah ist nicht gekommen - so viel Kultur konnte sie sich letztendlich doch nicht zumuten. Vielleicht mochte sie sich auch nicht eingestehen, dass zwischen Julis Handgelenken kein Unterschied mehr zu entdecken war, weshalb sie sich auch wieder traute kurzärmelige Oberteile zu tragen. Mo folgte ihr selbstverständlich, als sie auf ihren Platz zurückkehrte. Felipes Zögern ignorierte er. Sie setzten sich vor sie. Kurz nach Kassenschluss nähert Ada sich ihnen. Selbstbewusst schwingt sie sich auf den Platz neben Felipe. Juli kommt das ganze vor, wie ein Schauspiel mit musikalischer Untermalung. Adas Annäherungsversuche lassen ihn immer weiter in ihre Richtung zurückrutschen. Dieses Mal gibt er ihr die Chance sein kumpelhaftes Zuzwinkern zu erwidern.
,,Weil ich lernen muss den Menschen wieder zu vertrauen“, kündigt Luna ihr Stück an. Der lang andauernde Applaus zeugt von der Qualität ihres Spiels. ,,Venia“ – verzeih mir – verschwindet sie schließlich hinter dem Vorhang. ,,Durchaus verbesserungswürdig“, lässt Ada betont laut vernehmen. In anderen Momenten hätte es Juli gestört, doch jetzt versuchte sie Luna zu erreichen. Sie findet sie in der provisorischen Kulisse: ,, … und damit du lernst nicht falsch Zeugnis wieder deinem Nächsten zu reden.“ Jeder andere hätte die Anspielung nicht deuten können, doch Luna erwidert vertröstend: ,,Unser Missverständnis liegt in den zwei Welten, in denen ich lebe.“


,,Lara, was machst du denn hier?“ – der junge Mann, welcher plötzlich vor unserem Gesichtsfeld aufgetaucht war, fasste sich überraschend schnell und kehrte zu seinem, von ihr wahrscheinlich als ,,lässig“ definierten Verhalten zurück. Doch im ersten Moment hatte er irritiert gewirkt, eventuell sogar schockiert. Mein Blick wanderte immer wieder zwischen Lara und ihm hin und her. Sie reagierte nicht. ,,Ich gehe dann zur Bank, du scheinst ja beschäftigt zu sein“, ließ er fast trotzig vernehmen. Inzwischen hatte sie zum Lachen zurückgefunden und schwenkte amüsiert das Heft: ,,Ich lese, wie du siehst.“ ,,Solange es keine Liebesbriefe sind“, versuchte er krampfhaft lustig zu entgegnen. Ich mochte Lara nicht danach fragen, wer diese Person gewesen sei; irgendwie habe ich bereits gespürt, dass ich die Antwort nicht akzeptieren wollen würde. Sie nahm meine Hand, blickte aber dennoch demonstrativ in die andere Richtung: ,,Er brodelt, wie ein Vulkan, ist aber trotzdem kühl und verletzend distanziert zugleich. Ich befürchte, dass wir diese hochexplosive Mischung aufgrund seiner Dickköpfigkeit noch zu spüren bekommen werden.“ ,,Wir?“ ,,Ich habe mich in einem zu hohem Grad der Unterwerfung entzogen“ Ein imaginärer Hilfeschrei – doch ich versuchte krampfhaft meine Ohren davor zu verschließen. Mich quälte ein Gefühl, welches mir bis zu diesem Zeitpunkt gänzlich unbekannt gewesen ist. Ich urteilte dafür hart über mich selbst. Immer wieder verwarf ich den Gedanken, einer Person, die ich nicht kenne, solch negative Empfindungen entgegenzubringen. Ich schämte mich regelrecht für meine Eifersucht und konnte sie dennoch nicht verleugnen. Sie schien ihn zu lieben… das reichte mir. Wir sprachen nicht weiter.

Es ist spät geworden. Achtlos legt sie den Haustürschlüssel auf die Kommode. Entschieden vermeidet sie es ihre Blicke auf den Spiegel zu richten. Es war kühl geworden, als sie noch mit Luna spazieren gegangen war. Bestimmt würde sie morgen erkältet sein. Manchmal war sie sich nicht sicher, was sie weniger mochte: ihre Anfälligkeit für Krankheiten oder ihre Unsportlichkeit.
Ihr Vater sitzt am Küchentisch, in der Hand ein Glas Leitungswasser. Er lächelt sie an und scheint sich über ihren überraschten Gesichtsausdruck zu amüsieren. Im Regelfall zieht er es vor sich früh schlafen zu legen, um tiefgründigen Diskussionen zu entkommen, vielleicht empfand er sie als zu feminin. Doch jetzt sitzt er da und sagt ganz fest: ,,Manchmal wünsche ich mir jemanden, der genug Optimismus für uns beide hat, der in allem immer nur das Positive sieht.“ Sie ist zu müde, um ihm die erhoffte, aufbauende Antwort zu geben. Ob es wieder Archäologen gegeben hatte, die an seiner Theorie gezweifelt hatten? ,,So jemand wäre doch auf die Dauer langweilig und unglaubwürdig“, - Sie flüstert, will doch eigentlich nur eine Reaktion zeigen, bevor sie die Tür hinter sich zuzieht.
Die Schüler strömen aus dem Klassenraum. Es gibt wohl keine bessere Beschreibung für das Wort ,,Alltag“, als das Schulleben. Sie versuchte irgendwo in der Menge einen Platz zu finden, um sich an der im Eingang stehenden Lehrerin vorbeizuschieben. Sie fühlt sich beobachtet. Hatte sich deren Ansicht etwa geändert? Gleich würde sie im Flur stehen – endlich. Sie spürt in ihrer Hand einen Papierknüddel. ,,Lächerlich“, denkt sie spöttisch, ist der Versuchung nahe sich dessen am Papierkorb zu entledigen, nur um zu beweisen, dass er keine Bedeutung für sie hat. Doch dann entfernt sie sich von der Traube und begibt sich zielstrebig in die entgegen gesetzte Richtung.

Dir möchte ich dieses alte, isländische Gedicht schenken:
Es gab eine Zeit, da ich vorzog
Dem niedrigen Gespräch mit Menschen
Das Frohlocken der Turteltaube,
die über dem Teich flatterte.

Nein, gewiss hatte sie ihre Ansicht nicht geändert. Der Zettel gibt ihr das Gefühl von Sicherheit. Vielleicht war es doch richtig gewesen an sie nicht mit einer autonomen Betrachtungsweise heran zu gehen. Erheitert über ihre Parallele zu Felipe knüllt sie den Zettel erneut zusammen und wirft ihm diesen im Vorübergehen zu. Das er sie nicht verstehen würde, ist ihr egal.
Ada steht auf dem Schulhof, allein. Weshalb, kann sie sich nicht erklären. Ada pflegt es sich mit einem Pulk von Freundinnen zu zieren. Juli bleibt stehen. Felipe hatte sich bereits entfernt. Luna nähert sich, wendet ab, geht auf Ada zu, spricht mit ihr. Beide gehen freundlich miteinander um. Kannte sie Ada?
,,Du hast mit Ada gesprochen?“ ,,Ich verabscheue Fragen, die keine sind, weil die Antwort berechenbar ist.“ ,,Weshalb hast du denn mit ihr gesprochen?“, sie kommt sich vor, als würde sie ein Kreuzverhör führen. ,,Nur so“ ,,Du weißt nicht, wer sie ist?“ ,,Weißt du denn, wer sie ist?“, Luna sieht sie durchdringend an. ,, Ich kann schlecht von recht unterscheiden.“ ,,Achja, und wie bitte? Ein Jahr spielst du in einer Negercombo und hältst dich schon für eine Medizinfrau und kannst den Menschen in die Seele schauen? Und das von hinten? Durch den Rücken in die Seele?“ Juli lächelt ihr beschwichtigend zu und umarmt sie spontan mit den Worten: ,,Weil es auch mir manchmal viel zu schwer fällt zu vertrauen“.
Sie lässt die Zügel durchhängen. Freja würde ihren Weg finden. Frische Abendluft durchströmt ihre Lunge. Vorsichtig schlingt sie ihre Arme um den Hals des Tieres. Deutlich spürt sie dessen gleichmäßigen Herzschlag. Sie bevorzugt es trotz aller Warnungen auf dem nacktem Pferderücken zu sitzen. Während sie ihr Gesicht in der goldbraunen Mähne dreht, versucht sie sich an den Wortlaut des Gedichtes zu erinnern. Trotz ihrer Bemühungen gelingt es ihr nicht. War da nicht jemand gewesen, dem es schwer viel den Menschen zu vertrauen, der die Gegenwart von Tieren bevorzugt? Schon oft hatten sie Gedichte interpretiert und nur zu oft war Kritik an einem lyrischen Ich, welches nur sich und den Rest der Welt sieht, geübt worden. Wahrscheinlich hatte diese Person das erkennen können und gelernt nicht alle Menschen gleich zu kategorisieren. Wie viel Überwindung das gekostet haben mag? Das Gedicht sprach von der Vergangenheit. Lag das alles bei ihr schon so weit zurück? Oder war es noch immer aktuell? Sie versuchte ihre Gedanken eine derartige Entschlossenheit, wie der zur Feindesliebe, zuzuordnen, um einen endgültigen Schlussstrich ziehen zu können. Das ist das wahre Geschenk hinter dem Stück Papier – das würde sie Felipe irgendwann einmal erklären, so, wie es unter Freunden üblich ist.
,,Ich beende das Projekt. Ich gehe weg, ich kann nicht mehr…“, ihr Vater blickt gedankenverloren ins Leere. Vor ihm liegen Pläne. ,,Du willst doch nicht etwa eine Kur beantragen?“ ,,Was sollte ich denn deiner Meinung nach tun?“ ,,Das, was du angefangen hast, zu Ende bringen – das hilft am meisten“ Sie schweigen, sitzen lautlos am Küchentisch. Nur um die Stille zu durchbrechen, fügt Juli nachdenklich und kaum wahrnehmbar hinzu: ,,Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom…“


Ich drehte meine Knie vorsichtig zur Seite, unbewusst und ohne damit eine bestimmte Absicht zu verfolgen. Sie wurde rot: ,,Wahrung der Distanz durch Körperhaltung.“ Meine Bemühungen meine Verwunderung darüber nicht erkenntlich werden zu lassen, schienen vergeblich gewesen zu sein, denn sie ergänzte mit noch intensiverer Gesichtsfarbe: ,,Entschuldige, die Situation forderte eine Analyse und Interpretation geradezu heraus. Es hatte für mich persönlich eine hohe Wichtigkeit… da du anscheinend entschlossen hast zu schweigen, verbleiben mir doch nur die nonverbalen Kommunikationsmöglichkeiten. Verstehst du?“ Es viel mir schwer meine Mimik zu kontrollieren. Die zusammengekniffenen Lippen, der abgewendete Blick. Schluss. Ich sah sie an: ,,Ja, ja, ich verstehe. Aber vielleicht ist es auch besser so.“ Ich wendete meine Aufmerksamkeit kurz dem vorübergehendem Herrn im Anorak zu, bevor ich einen neuen Ansatz wagte: ,,Ich habe noch eine Überraschung für dich.“ Ich nahm ihr das Heftchen aus der Hand, für einen Augenblick berührten sich unsere Finger. Ich versuchte das aufkommende Gefühl zu ignorieren und streifte vorsichtig das schützende Pergamentpapier ab. Der Einband wurde sichtbar und mit ihm der Leitfaden der enthaltenen Einträge. Juli hatte ihr Schlusswort als Titel gewählt und mit liebevoll verzierten Buchstaben in den Deckel graviert. ,,Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom…“ Besonders war die unauffälligere Ergänzung: ,, … und nur dumme Fische kämpfen immer gegen ihn an.“ Auf der Rückseite fand sich ein sorgsam aus einer Zeitung ausgeschnittener Leserbrief. Ein Streifen Tesafilm am oberen Rand verhinderte sein Verlorengehen und demonstrierte dennoch deutlich, dass er nicht Teil der beschriebenen Seiten war. Ich fand es schade den Zusammenhang bisher nie in Erfahrung gebracht haben zu können, aber im Prinzip war er auch nicht von hoher Wichtigkeit. Viel mehr interessierte der quirlig, lebendige Fisch…

Lieber Herr Lehmann,
Sie fordern in Ihrer scharfen Kritik nach einer genauen Definition des von mir eingebrachten Verbs ,,denken“, um sich ein grundlegendes Urteil über meine Argumentation bilden zu können. Wenn Sie wirklich der Überzeugung sind, dass Ihnen dadurch geholfen sein könnte, möchte diesem Wunsch nur zu gerne nachkommen. ,,Denken“ meint, dass sich meine Meinung eventuell als falsch herausstellt, dass sie revidiert oder aufgegeben werden muss. Denken ermöglicht die Bildung einer eigenen Meinung und schützt den dazu nötigen Prozess vor Manipulationen.
Mit freundlichen Grüßen
Liselotte Morgenstern


Lara hob das Papier vorsichtig an und musterte die Rückseite. ,,Ein Horoskop“, stellte sie fest. Ich lächelte. Diese rosig klingenden Märchen fand man in jedem Klatschblatt. Nette Aussagen werden positiv zur Kenntnis genommen und sollte einem der Inhalt einmal nicht gefallen, beruft man sich darauf, dass das ganze sowieso nur Hokuspokus sei. ,,Nein, nicht, dass du denkst ich könne abergläubisch sein, aber ich finde es bemerkenswert, wie gut ich mich und mein Umfeld in der Charakterisierung der einzelnen Sternzeichen wieder finden kann. Du scheinst ein Krebs zu sein?“, sie sah mich eine Reaktion fordert an, doch schließlich gab sie sich mit einem überraschten Nicken zufrieden. ,,Deine Gedanken befassen sich wahrscheinlich immer noch mit ihm. Du wirst gespürt haben, wie unangenehm mir diese Begegnung war. Das unsichere Auftreten spiegelte meinen inneren Konflikt wieder. Jonathan ist mein Freund, übrigens ein Skorpion. Bitte betrachte es nicht als Vergehen, dass ich dir nicht von ihm erzählt habe. Ich hätte es tun sollen… ich weiß. Eigentlich habe ich nie beschlossen es nicht zu tun und dennoch ist es nicht dazu gekommen. Als ich gerade die Horoskope entdeckt habe, erinnerte ich mich plötzlich wieder an einen alten Artikel, welchen ich bereits vor langer Zeit gelesen habe. Mir ist bewusst geworden, dass Jonathan tatsächlich ein typischer Skorpion zu sein scheint. Gleichzeitig fühlte ich erneut die tiefe Abneigung gegenüber diesem Sternzeichen. Trotzdem liebe ich ihn… seine Charme ist verzaubernd. Wobei ich jedoch der Überzeugung bin, dass dieses Wort durch ,,Raffinesse“ ersetzt werden müsste. Er verfügt über außergewöhnliche Ausmaße an Temperament und Kraft. Sein Wissen in psychologischer Kriegsführung ist bemerkenswert, taktisch ist er ein Genie. Kombiniert mit ausgeprägten Rachegelüsten ist dieses breite Spektrum tödlich – zumindest indirekt. Er versteht es ausgezeichnet sich Freiräume zu verschaffen und lehnt im Gegensatz dazu Extravaganzen meinerseits kategorisch ab. Er ist es gewöhnt alles zu fordern. Häufig heißt es ,,ja oder nein“ – eine größere Auswahl hat man nicht. Ist dir eigentlich auch so kalt? Verzeih bitte, es war mir einfach wichtig dir diese langweiligen Informationen zu unterbreiten“, sie rieb sich die Hände. ,,Langweilig?!? Ich muss eingestehen, dass du kein unpassenderes Adjektiv hättest wählen können“, entgegnete ich ihr umgehend und freute mich, dass sie mir versicherte sich auch nicht weiter danach zu erkundigen, welches ich stattdessen an dieser Stelle eingesetzt hätte.
,,Janosch, ich möchte dich nicht erneut um deine ungeteilte Aufmerksamkeit und Konzentration bitten müssen!“, Marie Teeres Stimme klang trotz eines freundlichen Lächelns vorwurfsvoll. Wir versuchten schon seit Stunden den Stoff der letzten Vorlesung aufzuarbeiten, trotzdem konnte ich Begriff den ,,Differentialgeometrie“ nicht zuordnen. Ihre Rügen erschienen mir als verständlich: Ich war unaufmerksam und konnte mich nicht beherrschen, ich war müde und konnte nicht schlafen, ich hatte Hunger und konnte nicht essen. Stattdessen blätterte ich im zufällig aus dem Regel gezogenem Lexikon und las Artikel, welche nicht zu einem schnellerem Vorankommen beitragen würden. In einigen Momenten war ich selbst über die aufgeschlagenen Seiten überrascht. Psychologie, Sternzeichen… und Eifersucht.
06.02.2006 14:48 Jenna ist offline E-Mail an Jenna senden Beiträge von Jenna suchen Nehmen Sie Jenna in Ihre Freundesliste auf
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*rotwerd* Entschuldigung... habe eben ein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis großes Grinsen

^^ Und zu dem Karton: Er gehörte einer gewissen Juli, welche aufgrund von Leukäme gestorben ist, und diesen Janosch (dem Ich-Erzähler) überlassen hat. Lara (die Psychologie-Studentin) fragt ihn danach aus...
06.02.2006 18:56 Jenna ist offline E-Mail an Jenna senden Beiträge von Jenna suchen Nehmen Sie Jenna in Ihre Freundesliste auf
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Caramelmel.


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Füttere uns häppchenweise xD

Ich habe Mühe den Text zu verstehen, um ehrlich zu sein, klingt aber gut.

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When you t r y your best, but you don't s u c c e e d
When y o u get what you w a n t, but not what you need
When you f e e l so tired, but you can't s l e e p
stuck in r e v e r s e {

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06.02.2006 20:13 Quarter Horse ist offline Beiträge von Quarter Horse suchen Nehmen Sie Quarter Horse in Ihre Freundesliste auf
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^^ ich hoffe, dass sich dieses ändert, sobald man halbwegs im Text drin ist...
Dankeschön Freude
07.02.2006 14:55 Jenna ist offline E-Mail an Jenna senden Beiträge von Jenna suchen Nehmen Sie Jenna in Ihre Freundesliste auf
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Eeeevi, wo bist du?
12.02.2006 13:00 Jenna ist offline E-Mail an Jenna senden Beiträge von Jenna suchen Nehmen Sie Jenna in Ihre Freundesliste auf
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