»Zu meiner Mutter hatte ich schon immer ein enges Verhältnis. Das liegt wahrscheinlich auch größtenteils daran, dass wir nur 16 Jahre auseinander sind. Sie musste früh lernen, was es heißt, Verantwortung für ein Kind zu tragen - aber sie hat es ganz gut hinbekommen, meiner Meinung nach. Mary sagt immer, wenn ich sie ›Mum‹ nenne, fühlt sie sich so alt. Ich finde ihren Vornamen sowieso schöner.
Mary hat mir immer zu verstehen gegeben, dass ich mit ihr über alles reden kann. Das hat sie mir mit ihrer Toleranz meiner Homosexualität gegenüber bewiesen. Sie hat nur gesagt: ›Sehr schön, Tyler. Ich hoffe doch sehr, dass ich bald einen hübschen Schwiegersohn bekomme!‹ Tja, so ist sie, meine Mary. Trotz der Tatsache, dass sie im Luxus aufgewachsen ist - ihre Eltern, meine Großeltern, sind schottische Großunternehmer -, ist sie auf dem Boden geblieben. Sie war es auch, die mir von Anfang an beigebracht hat, dass es nicht alle Kinder so gut haben wie ich. Ich habe immer alles bekommen, was ich wollte - dennoch bekomme ich mein eigenes Konto erst, wenn ich mein Studium beendet habe. Da lässt Mary nicht mit sich reden. Bis dahin kriege ich wöchentlich Taschengeld - über dessen Höhe ich mich ja nun wirklich nicht beklagen kann.«

»Dad war ein bisschen enttäuscht, als ich ihm mit 14 Jahren gesagt habe, dass ich Schauspieler werden möchte. Irgendwie hat er sich immer vorgestellt, dass ich mal in seine Fußstapfen trete und genau so ein 1-a-Architekt werde wie er. Okay, ich mag die Physik ja auch, aber mir liegt das Zeichnen eben nicht so. Dennoch hat sich Dad schnell damit abgefunden, was wohl auch nicht zuletzt daran lag, dass er mich während meiner Zeit in der High School oft auf der Bühne gesehen hat. Damit - und mit Marys gutem Einfluss - wurde er überzeugt und meinem Studium an der Academy stand nichts mehr im Wege.
Dad ist gebürtiger Spanier, ist wegen des Studiums nach Schottland gekommen, hat dort Mary kennen gelernt - und ist geblieben. Manchmal vermisst er es, Spanisch zu sprechen, hat er mir mal gesagt. Deshalb habe ich früher in der Schule Spanisch gewählt und unterhalte mich auch heute noch oft mit ihm in seiner Muttersprache. Dies klappt noch besser, seit ich zwei Jahre in Spanien verbracht habe.
Was meine Homosexualität betrifft, war auch er ziemlich cool. Der stellvertretende Geschäftsführer seines Architekturbüros ist immerhin auch schwul - und ein hervorragender Architekt. Dad fragt mich ständig, ob ich ihm und Mary nicht mal einen netten jungen Mann vorstellen wolle. Hm, ob er noch begeistert wäre, wenn er die Wahrheit wüsste? Aber lassen wir das.«

»Zugegeben, Jess hat mich auf die Idee gebracht, auf die Academy zu gehen. Sie ist die jüngere Schwester meiner Mutter, hat ebenfalls ein Faible für Kunst. Nach ihrem Abschluss an der High School hat sie an der Academy Modedesign studiert und kurze Zeit später ihre eigene Boutique eröffnet. Mittlerweile haben die Mädels unserer Academy ›Mademoiselle's‹ als ihre Lieblingsboutique auserkoren. Jess und mich trennen zehn Jahre; vermutlich habe ich in ihr deshalb immer eine große Schwester gesehen und nicht meine Tante. Sie war für mich da, wenn Mary mal keine Zeit hatte, was in meiner Kindheit leider ziemlich oft vorkam, da Mary nach meiner Geburt ihren Schulabschluss nachgeholt hat. Doch in meiner Tante habe ich die perfekte Spielpartnerin gehabt - sie ist närrisch mit kleinen Kindern, wünscht sich selbst eigene, doch bisher hat sie dafür nicht den richtigen Mann gefunden. Bei mir hat sie für letzteres allerdings irgendwie einen sechsten Sinn. Wenn wir abends zusammen weggehen, hält sie oft eher für mich nach Typen Ausschau als für sich selbst. Wobei sie doch eigentlich weiß, dass das nicht mehr notwendig ist. Aber ich weiß, was sie denkt. Ihrer Meinung nach geht das schnell wieder vorbei. Aber da täuscht sie sich.«