Geschrieben von Flaw am 30.08.2009 um 12:58:
Nonsense [vorl. Arbeitstitel]
Hallo

Ich arbeite zur Zeit an einer Geschichte, die, mal sehr grob ausgedrückt, um´s "Anders-sein" geht. Ich möchte euch hier einige Kapitel vorstellen und wäre dankbar für Kritik und Verbesserungsvorschläge. Lob ist natürlich auch immer erwünscht ;D . Ich werde vorerst vermutlich nur Textpassagen einstellen, bei denen ich selbst nicht ganz zufrieden bin, heißt, hier wird mehr oder weniger keine zusammenhängende Geschichte reinkommen. Das Gesamtwerk dürfte evtl. Mitte 2010 fertig sein, ich bin mir noch nicht sicher, was ich damit anfange. Gut, genug geschwafelt.
Kapitel 1, Die Bedeutung von Vergangenheit
Winzige Staubkörner tanzten durch die Luft und längst vergangene Klaviermusik erfüllte den Raum. Bahnen breiten Lichts fielen durch die Fenster und malten warme Rechtecke auf den polierten, dunkelroten Parkettboden. Eine sanfte Brise bauschte die weißen Spitzenvorhänge und erfüllte das ganze Zimmer mit dem Geruch von sonnenwarmen Obst. Ich spürte die kleine, runde Zwetschge in meiner Hand, rieb gedankenverloren die bläulich-weiße Schutzschicht von ihrer weichen Oberfläche und brachte die glänzend tintenschwarze Schale zum Vorschein. Sie schmeckte unglaublich süß, mit einem zarten, bitteren Nachgeschmack, wie ihn nur frischgeerntete Zwetschgen eigen haben. So bitter-süß wie meine Erinnerungen. Das Licht und die Klaviermusik verschwand, die Fenster wurden blind. Ein leerer, schmutziger Raum breitete sich vor mir aus und die Luft roch modrig. Die Vorhänge waren von einem verblichenem gelb. Der Parkettboden war voller Kratzer, abgetreten. Nur ein weiterer Zeuge des Verfalls. Ich wischte mir die Tränen von der Wange und schloss die Tür, in der Gewissheit, all meine schönen Gefühle von damals in dem Raum zurück zu lassen. Es war, als hätte er sie ausgelöscht. Als hätte die Tatsache, dass dieses Zimmer, so magisch, so voller wunderschöner Erinnerungen, nun so alt und verlassen, alle Gedanken an damals mit einem grauen Totentuch überzogen. Mit einem Totentuch, wie es nun auf dem verfallenem Gesicht meiner Großmutter lag.
Draußen, im ehemaligen Steingarten, stand mein Dad in einem Meer aus gelb-grünem Gras. Der alte Kirschbaum war krank, seine Blätter hatten braune Flecken und die wenigen Früchte, die er dieses Jahr getragen hatte, lagen unfertig und vermodernd um seinen kurzen Stamm. Ein Gefühl von Leere durchzog meinen Körper, kalter, schmerzender Leere. Hier hatte ich einen großen Teil meiner Kindheit verbracht. Ich hatte mit meinem Bruder im blühenden Gras gesessen, den Schatten des damals prächtigen Baumes kühlend im Nacken, mit den ersten Himbeeren des Jahres aus Omas Garten in einer kleinen Schüssel vor uns. Ich war jauchzend auf der Nussbaumschaukel gesessen, den lauwarmen Wind im Haar und kühlen, feuchten Sand zu meinen Füßen, hatte mich zwischen all den Beerensträuchern versteckt oder in der Küche gesessen, während meine Großmutter für uns kochte und die Luft erfüllt war vom Geruch frischer Kräuter.
Ich las meine Gefühle in den Augen meines Vaters. Schweigend standen wir da, den Verfall meines frühkindlichen Paradieses und seiner Erinnerungen um uns wie ein Trümmerfeld. Das Ergebnis von vielen Jahren Krankheit, die meiner Großmutter nicht mehr erlaubt hatten, sich um all das zu kümmern. Bis sie schließlich starb und eine Kälte zurück ließ, die mich krank machte. „Fahren wir?“, fragte ich schließlich leise. Der Hof war inzwischen leer, alle Lastwagen und Transporter abgefahren. So leer wie das Haus hinter mir. Mein Vater nickte stumm, und wir brachen auf. Zwei Stunden Autofahrt lagen vor uns, und während wir uns immer weiter vom ehemaligen Haus meiner Großmutter entfernten, kam es mir vor, als würden wir in die Gegenwart zurückreisen. Ich wusste, ich würde es vermutlich nicht wieder sehen. Mit aller Wahrscheinlichkeit würde man das Haus abreisen, die Gärten einebnen und das große Obstfeld an die Bauern der Umgebung verkaufen. Und alles was blieb war der Geist der Vergangenheit, der für immer über die alten Steine der Zufahrt und den Baumstumpf des gefällten Nussbaumes streichen würde. Ich legte meine Wange an den rauen Stoff der Kopfstütze und schloss die Augen. Bereits jetzt legten sich Schatten des Vergessens über all die herrlichen Dinge, die ich dort erlebt hatte. Über all den Schmerz, den ich dort hatte vergessen können.
Geschrieben von Flaw am 30.08.2009 um 16:09:
Dankeschön

Hast du irgendwelche Rechtschreibfehler, Wiederholungen etc. oder einen Ausdruck bemerkt, der dir nicht gefallen hat?
Der Himmel war grau und der Wind trieb den Schmutz der letzten Tage durch die Straßen. Wie ein Hund eine Schafherde scheuchte er Staub und kleinere Steine vor sich her, wirbelte sie auf und ließ sie gegen die weißen Kirchenmauern prasseln. Es roch nach Regen. Ich strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und schüttelte Jonas Arm ab, der sich tröstend um meine Schultern gelegt hatte. Er war so
warm. Ich hasste ihn dafür, dass er mir so gut tat. Ich wollte alleine sein. Ich wollte weinen, die Kälte dieses schrecklichen Tages spüren. Ich blieb ein Stück hinter den anderen zurück und betrat gemeinsam mit meinem Freund die Kirche. Es roch nach Weihrauch und Kerzenwachs, und das diffuse Vormittagslicht hüllte die hohe Gewölbekuppel in dämmrige Schatten. Unsre Schritte hallten leise, als wir nach vorne gingen. Reihe um Reihe dunkler, leerer Bänke zog an uns vorbei. Mein Blick blieb an dem schmiedeisernem Trauerkreuz hängen, welches bei jeder Beerdigung neben dem Kirchenaltar stand. Es waren nur wenige gekommen. Mein Bruder und seine Freundin, so weit wie möglich von meinem Vater entfernt. Meine beiden Tanten und meine kleinen Cousinen. Einige Nachbarn. Ich setzte mich in eine leere Bank, spüre das glatte, kalte Holz in meinem Rücken durch das schwarze Kleid, dass ich trug. Während des Gottesdienstes konnte ich endlich weinen. Jonas saß hilflos neben mir. Er spürte meine Ablehnung. Spürte sie so deutlich wie all meine anderen Gefühle.
Suche dir immer jemanden, der dich mehr liebt, als du ihn. Aber jetzt, in diesem Moment, wollte ich seine Liebe nicht. Wollte sie aus tiefstem Herzen nicht.
Der Kies knirschte leise unter meinen Füßen, als ich wie betäubt den kurzen Trauerzug auf den Friedhof folgte. Wir kamen vor dem offenem Grab zu stehen. Holzlatten und grüner Fließ kleideten die Grube aus. Ich hörte weder die Worte, die mein Vater zum Abschied sprach, als man den Sarg hinunterließ, noch registrierte ich die Tränen meines Bruders. Ich hatte ihn noch nie weinen sehen. Ich stand einfach nur da und wartete darauf, dass der Wind mich mitnahm und mich zurück in die Vergangenheit brachte, damit ich all jene Stunden noch einmal erleben konnte. Damit dieses kalte, saugende Loch in meiner Brust wieder mit dem zärtlichen, warmen Worten meiner Großmutter gefüllt werden konnte. Ich sah ihr Gesicht vor mir, so, wie sie zu jener Zeit ausgesehen hatte, als sie noch gesund war. Ihre pfirsichfarbene, faltige Haut, die strahlenden Augen, im grauen Haar noch ein paar Strähnen glänzenden Goldes. Ich schluchzte leise auf, und diesesmal ließ ich zu, dass mich Jonas in den Arm nahm.