Geschrieben von LisaRM am 26.06.2007 um 16:19:
Hehe

Hatte gestern leichte Auseinandersetzungen mit meinem PC... Fortsetzung kommt also erst jetzt online
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„Anis...?“, wimmerte ich.
„Anis?“
Meine Hand tastete in der Leere, mit meinen blinden Augen sah ich eine helle Welt.
„Anis...?“
Die Stimmbänder schwangen nur leicht.
„Anis?“
Noch immer suchte meine Hand kraftlos. Fand irgendetwas.
Wieder ging mein Atem schnell. „Anis!“ Der Ruf war mehr ein Windhauch.
Schließlich war er dort vor mir.
Erleichtert lächelte ich, schlang meine Arme um seinen Hals und küsste ihn, lehnte mich an seine Brust und meine helle Welt wurde wieder dunkel.
„Hey... ich bin nicht Anis...“
Fragend sah ich auf.
„Nein?“
„Nein verdammt!“
„Anis?“
„ANIS IST NICHT HIER!“
„Wo ist er?“
Der junge Mann hatte den Kopf verzweifelt in die Hände gestützt., stand schließlich auf und zog mich mit sich.
„Ich kann Stehen...“, murmelte ich begeistert, erstaunt.
„Halt deine Klappe, bis wir hier raus sind, die halten dich alle für irre!“, zischte er zu mir, schleppte mich aus dem Café heraus.
Ich verstummte, dann gaben meine Beine nach.
Er riss schmerzhaft meinen Arm hoch, wollte mich halten, doch meine Beine waren weg.
Ich fing hysterisch an zu kichern, sein Gesichtsausdruck wurde immer verzweifelter.
„Was... was geht denn mit dir ab?“
Ich lachte, klammerte mich an seine Schultern.
„Los, trag mich!“
„Aber.. aber du hast sie nicht mehr alle! Was ist du... du...“
Stille.
Ich hielt mich an seinen Schultern fest und hopste etwas auf und ab, machte Anstalten auf seinen Rücken zu springen.
Schließlich hing ich wie ein Kloß an seinem Rücken, erreichte mit Mühe und Not mit meinem Mund sein Ohr und flüsterte leise: „...mache ich dir Angst?“
Wieder kicherte ich.
Er schlug heftig auf meine Hände, sodass ich seine Schultern loslassen musste und plumpste in das hohe Gras am Straßenrand.
Ernst.
„Du bist komplett verrückt.“
Ich sah auf, starrte in die schwarzen Augen.
„Hattest du Angst?“
Er verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein, seine Augen huschten an mir vorbei, zog die Finger leicht gen Handfläche.
„Komm jetzt mit, ich bringe dich nach Hause...“, sagte er kalt, zerrte mich hoch und ich lief stolpernd neben ihm her.
„Komm schon, lauf! Du hast zwei Beine!“
Ich sagte nichts, versuchte meinen eigenen Körper unter Kontrolle zu bekommen.
„Ich will nicht.“
„Ich habe es versprochen.“
„Was?“
„Stell keine Fragen.“
„Ich würde gern wissen, was du wem versprochen hast.“
„Ich habe versprochen auf dich aufzupassen...“
„Wer sagt das, dass man auf mich aufpassen muss?“
„Das war eine Frage... aber ich will sie dir beantworten...“, sagte er kühl, hielt an und sah mir fest in die Augen.
„Anis.“
Ich schluckte.
„Er weiß, dass ich auf mich aufpassen kann.“
„Kannst du nicht.“
„Wärst du nicht aufgetaucht...“
„Du solltest mich gar nicht sehen.“
„Bin ich schuld?“
„Immer.“
Ein schiefes Grinsen dort auf seinem Gesicht.
Mein Kopf bestand nur noch aus sengender Hitze.
Die Glut der Verrücktheit hatte ein Feuer entfacht. Ein Feuer der Scham.
Ja, ich schämte mich für den Auftritt eben.
„Jetzt ist es auch zu spät, rot zu werden...“
Aber er hatte mich doch gar nicht angesehen...
„Ich muss dich dazu nicht angucken, du strahlst eine Hitze aus...“
Ich rutschte in dem Autositz herum.
„Du machst mir Angst....“
Nun warf er einen Blick zu mir, das Gesicht konnte ich nicht deuten.
„Gibt es noch irgendwas anderes, dass dir Angst macht?“
„Nein.“
Wieder Stille und endlich startete er den Motor.
Summend, brummend und schließlich aufheulend.
Ich krallte mich als Beifahrer meines eigenen Wagens in die Polster des Sitzes. Wie war er hier her gekommen? Keine Ahnung.
„Wer bist du?“
„Kannst du dir das nicht denken?“
„Doch, aber ich will es aus deinem Mund hören.“
„Warum?“
„Weil ich es vielleicht wissen will?“
„Nein.“
„Du bist sein Bruder.“
Er sagte nichts, stierte nur geradeaus auf die schmale Asphaltstraße.
Nun überkam es mich. Eine Welle der Gier schwappte in mir auf, überschwemmte alte Ereignisse und wollte nur noch eines: Wissen.
„Wie kommt Anis auf die Idee, dass ich einen Babysitter brauche?“
„Ich bin kein Babysitter.“, sagte er knapp, starrte weiter durch die Frontscheibe.
„Warum sollst du auf mich aufpassen?“
„Hör auf zu fragen.“
„Hast du mich schon gesehen bevor...?“
„Pscht jetzt!“, sagte er etwas lauter und ruckte am Lenkrad.
„Du warst also eng befreundet mit deinem Bruder?“
Er schnaubte, sah kurz aus dem Seitenfenster.
„Warum habe ich dich nie gesehen?“
„Sei jetzt leise!“
„Warum hat er mich dir nie vorgestellt?“
Durch die Vollbremsung wurde ich brutal nach vorn geschleudert, bekam kurz keine Luft, hustete und fiel zurück in die Lehne.
Er schnallte sich ab, wollte gerade die Tür aufreißen, als ich geistesgegenwärtig „HALT!“ rief.
Der Mann hielt inne, sah mich an.
„Ich hab noch so viele Fragen...“, flüsterte ich leise.
„Dann hör auf sie zu stellen, sie beantworten sich von selbst...“, flüsterte er zurück, ließ sich wieder in seinen Sessel sinken.
Es knisterte und knackte. Waren meine Ohren kaputt?
„Schau mich nicht so an...“, hauchte er, strich mir ganz vorsichtig über die Haare.
Ich zuckte zusammen, das Knistern hatte in einem lauten Knacken mit der Berührung geendet.
Seine Hand zog er blitzartig zurück.
„Ich war schon immer dein Schatten...“, sagte er leise.
So ließ ich ihn reden, sah ihn aufmerksam an und sperrte die Ohren auf.
„Er sagte gleich zum Anfang, dass ich dich nicht aus den Augen lassen sollte. Außer wenn du sicher unter Leuten warst oder schlafen gingst. Immer ging natürlich nicht. Aber oft...“
„Warum?“
Er ignorierte meine Zwischenfrage, die mir aus Versehen herausgerutscht war.
„Weißt du... diese Nacht als er gestorben ist... Ich war ganz nah bei dir...“
„Warum hast du ihm nicht geholfen?“
Tränen schossen in meine Augen.
„Warum?“, schrie ich den still gewordenen Mann an, beugte mich zu ihm hinüber, sackte ein und trommelte etwas hilflos auf seine Schulter.
Er fing meinen rudernden Arm ein, presste ihn schmerzhaft in meine Seite.
„Hör auf... das holt ihn auch nicht wieder, verdammt.“
Ich schluchzte.
Meine Nase drückte ich fest in seinen Pullover.
Er versprach Nähe, so warm und weich.
Meine Hand krampfte sich um seinen Nacken.
Fand dort den Halt, den sie suchte.
„Okay..?“, fragte er sanft in mein Ohr, zog mich über die Mittelkonsole des Autos etwas umständlich auf seinen Schoß und legte die Arme locker um meine Taille.
Ich wischte mir mit dem Handrücken über das Gesicht, schniefte noch einmal.
Nicht angucken. Nicht angucken. Sieh ihn nicht an!
Und doch tat ich es.
Nur ein kleiner Blick konnte nicht schaden. Oder?
Doch es blieb nicht bei einem kleinen Blick. Die Augen. So faszinierend und genauso wie...
Es waren die gleichen. Die selben. Ganz sicher.
Ich senkte meinen Mund auf seine Lippen herab, küsste ihn, bis er mich brutal von sich stieß.
„Hör auf! Ich bin nicht er!“
Er wischte sich über den Mund, ich ordnete mich so gut es ging, schnallte mich wieder an.
Ich starrte hinaus.
Schluckte.
„Ich vermisse ihn so.“, erzählte ich der Scheibe.
Keine Reaktion. Weder von der Scheibe noch von...
Von wem eigentlich?
Meinem Babysitter?
Anis’ Bruder?
Meinem Schutzengel?
Schutzengel? Wie kam ich darauf?
„Mach dir keine Vorwürfe...“, sagte er leise, der Motor erstarb.
Wir waren da.
„Hätte ich ihm nicht gesagt, dass das eh nie gepasst hat mit uns, dann... dann wäre er nicht gestorben!“, stotterte ich verzweifelt vor mich hin.
„War es denn so? Hat es nicht gepasst?“
„Es hat verdammt noch mal gepasst... glaube ich... ich weiß es nicht... Ich war einfach sauer...“
Er schwieg einfach nur.
„Er... er war etwas besonderes. Er war aufregend, unberechenbar...“
„Du magst Abenteuer?“
„Abenteuer?“
„Nicht solche... ich meine Piratenabenteuer...“
„Piraten..?“ Ich musste schmunzeln.
„War er ein Pirat?“, fragte ich.
„Nein, aber ein Abenteuer...“
Vollkommene Verwirrung.
„Okay... Verzeihung aber ich kann unserem Gespräch nicht mehr folgen...“, sagte ich, schüttelte verwirrt den Kopf.
„Erzähl weiter... hat er sich gut um dich gekümmert?“
„Nein.“
„Nein?“
„Nein.“
Er sah mich erstaunt an.
„Ich habe mich um ihn gekümmert, mehr nicht...“
Ein kurzes Lächeln huschte über seine Mundwinkel.
Nach ein paar Minuten Ruhe im Auto schnallte ich mich ab und öffnete die Tür.
„Sollte ich dir nicht noch eine Frage beantworten?“
„Hm?“, fragte ich.
„Ich stand ihm nicht sehr nah. Ich habe seine Art zu leben verabscheut. Leute verprügeln, totschlagen, sich durch die Weltgeschichte vögeln.. All das ist nicht gerade mein Stil.“
„Und warum hat er sich gerade an dich gewandt?“
„Hat er nicht.“
„Sprich doch nicht so in Rätseln!“, bat ich ihn.
„Ich wollte es... ich ganz allein. Er wusste nichts davon. Aber weißt du... er war gefährlich. Ich MUSSTE ein Auge auf dich haben... wenn er ausgerastet wäre, dann...“
„Dann?“
„Er war zu allem fähig, verstehst du?“
„Ich hatte ihn im Griff...“, sagte ich leise.
„Nein. Niemand hatte ihn im Griff. Er war unberechenbar... Zum Schluss hätte ich mich beinahe teilen müssen... Bei der Sunline hatte ich einmal nicht aufgepasst...“
„Du hast auch sie verfolgt?“
„Nicht verfolgt...“
Ich nickte leicht, wusste nicht so recht was ich denken und fühlen sollte.
„Ich weiß... man geht keinen jungen Frauen nach... aber glaub mir... Anis mit einer Frau zusammen.. Ich konnte das nicht mit ansehen...“
Auf einmal stützte er den Kopf in die Hände.
Verwirrung stob in mir auf.
Was war mit diesem Kerl los?
Was redete er da?
Was tat er?
Ganz vorsichtig und unsicher tätschelte ich seine Haare, bis er leicht lächelnd wieder den Blick hob.
Dann wurde seine Miene bitter ernst.
„Weißt du, weswegen er im Gefängnis war?“
„Wegen schwerer Körperverletzung...“
Es schien ihm Schmerzen zu bereiten, sein Gesicht verzog sich, er packte meine Hand und drückte sie fest.
„Schwere Körperverletzung an einer Frau...“, flüsterte er heiser.
Mir versagten in dem Moment sämtliche Organe. Jedenfalls kam es mir so vor.
Lunge – Ging nicht.
Herz – schlug nicht.
Ohren – hörten nicht.
Augen – blind.
Ich spürte nicht einmal den Druck seiner Hand. Er quetschte sie schon fast, sie lief langsam weiß an.
„Es tut mir leid...“, flüsterte er eilig, strich mir über das Haar.
Ohren – hörten.
Augen – sahen.
Ich jappste tief nach Luft, hustete unangenehm laut.
Lunge – ging.
„Er hat nie etwas über seine Exfreundinnen erzählt, oder?“
„Er hat nicht viel geredet und außerdem interessierte es mich nicht.“
Herz – schlug wieder.
„Okay....“, er lächelte leicht. „Noch Fragen?“
Ich schüttelte den Kopf, erhob mich und stieg aus.
Und doch drehte ich mich noch einmal um, beugte mich in das Auto hinein.
„Ich hätte da noch etwas...“
Fragend sah er mich mit seinen großen schwarzen Augen an.
„Sehe ich dich wieder?“
„Ich habe meine Arbeit getan.“
„Und die Antwort auf die Frage?“ Ich grinste ihn breit an, bekam ein Lächeln zurück.
„Willst du mich wiedersehen?“
„Soll ich ehrlich sein?“
„Ja.“
„Ja.“
Er grinste breit und ich lief rot an.
„Ich glaube nicht, dass das gut ist...“, sagte er schließlich mit verschwundenem Lächeln.
Ich schluckte. Meine Begeisterung war fort.
„Warum...?“
„Du siehst nicht mich... Du siehst Anis. Und ich bin nicht Anis...“
„Vielleicht im Moment... aber das kann sich ändern.“, flüsterte ich, sah ihn nicht an.
Er war aus meinem Auto gestiegen, gab mir die Schlüssel wieder
„Vielleicht.“
„Ich glaube, du bist ein wundervoller Mann...“, krächzte ich.
„...der vergeben ist.“
Ich nickte leicht. Lächelte gequält.
„Okay... ’tschuldige...“, dann drehte ich mich um und ging...