Hallo, ihr Lieben,
mich hat es gestern mal wieder zum Schreiben verschlagen, ich hab
einfach angefangen und da kam dann diese "Kurzgeschichte" bei raus.
Ich selber weiß nicht genau, was ich davon halten soll und deshalb
würde ich mich über einige Bewertungen freuen. Aber nun, viel Spaß
beim Lesen.
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Angst
Eine Träne wanderte die Wange des jungen Mädchens hinab, sie strich sanft über ihre blass gewordene Haut, hielt dann noch einem Moment an ihrem Kinn fest, ehe sie hinab fiel, einfach fiel. Genau wie das Mädchen selbst es tat, sie fiel hinab. Der zuvor feste Boden unter ihren Füßen zersprang in Scherben, sie verlor ihren letzten Halt und das Geschehen riss sie in einen Abgrund. Einen Abgrund voller Dunkelheit, einer der nicht hätte dunkler sein können. Einen Abgrund, der sie mit Einsamkeit umhüllte und mit einer Kälte, einer undurchdringlichen Kälte erfüllen ließ.
In diesem Abgrund saß sie nun allein. In dieser Schlucht saß sie voller Angst und Zweifeln, während sich eine unangenehme Kälte in ihrem Innern breit machte. Jeder Mensch, der ihr einmal wichtig war, hat sie zurückgelassen oder wurde ihr einfach genommen. Selbst der wichtigste von allen war nun fort. Der Tod hatte dieser Person eine Hand gereicht und sie hatte diese doch tatsächlich ergriffen, war ganz einfach hinfort gegangen, ohne noch ein letztes Mal zurückzublicken – zu ihr zu blicken. Wieso dieser Mensch dies getan hatte, wusste sie selber nicht. Er war es doch gewesen, der ihr vor gar nicht allzu langer Zeit gesagt hatte, das Herz eines Menschen bestehe aus etlichen Kammern. Jede Kammer ist für einen Menschen vorgesehen, anfangs fühlen wir die Leere nicht und doch, war die Kammer einmal gefüllt - mit Wärme, mit freundlichen Worten, mit Vertrauen, mit richtiger Liebe - und wurde dann wieder geleert, so fühlte man auch die Kälte, die Leere und vor allem den Schmerz. Ihr Herz war vollkommen leer mit diesem weiteren Verlust.
Ein Beben beherrschte den gesamten Körper des Mädchens, es war als umschloss eine eiskalte Hand ihr Herz und riss es ihr bei lebendigem Leibe aus der Brust, ihr Gesicht war verzerrt durch Angst, durch Zweifel und Schmerz. Ihr entwich ein Schrei gefüllt mit diesen kalten Gefühlen und der Sehnsucht nach dem wichtigsten Menschen. Doch drang der Laut niemals an die Ohren eines anderen Menschen, denn es gab keine anderen Menschen in diesem Abgrund, in dem nur die Einsamkeit neben Angst und Kälte Gesellschaft leistete.
Wieso musste ihr auch der letzte Mensch genommen werden? Wieso war diese Person so freiwillig von ihr gegangen? Wieso ließ sie sie hier einfach zurück, in dieser Kälte und mit der Angst und den Zweifeln? Fragen, die ohne Antwort blieben. Sie wusste es nicht, sie wusste es einfach nicht. Sie stand vor einem Rätsel, einem Rätsel, welches ihr nicht zu lösen vermocht war. Aber spielte es noch eine Rolle? Nein. Ihre Augen wurden zu welchen, die nur noch die Sinnlosigkeit sahen, nicht das Schöne, nicht die Hoffnung. Selbst einen Sinn darin, aufzustehen und den Abgrund zu verlassen, sah sie nicht mehr. Wieso sollte sie es auch tun? Außerhalb dieses Abgrunds erwartete sie niemand - keine Eltern, keine eigene Familie, keine Freunde, noch nicht einmal gute Bekannte. Außerhalb des Abgrunds würde sie nur auf Menschen mit starren Masken treffen, Menschen, die in einer Gesellschaft ohne jegliche Gerechtigkeit lebten. Und vielleicht auf einen Menschen, der doch auf sie zuging? Aber wieso wieder Freundschaft knüpfen? Nur um erneut zu verlieren und verletzt zu werden. Nein, so dachte das junge Mädchen, so sollte es nie mehr sein.
Sie dachte nach und keuchte und weinte still und erhob sich. So sollte es nie mehr sein. Das junge Mädchen zog das Messer aus ihrer Tasche. So sollte es nie mehr sein. Sie setzte die scharfe Klinge an ihrem Arm an. Das Blut floss. Das Blut legte ihr eine Spur zum Tode. So sollte es nie mehr sein. Eine Spur, die den Pfad zu dem wichtigsten Menschen zeigte. Sie würde wieder bei ihm sein – SO sollte es sein. Sie wollte wieder die Wärme, das Vertrauen und die Liebe spüren, nicht länger diese Kälte, den Schmerz und die Angst. Das junge Mädchen wünschte sich Freiheit, eine endlose Freiheit und diese wollte sie mit dem Tod gewinnen, wollte sie packen und sie genießen – gemeinsam mit ihrem Geliebten. Gewiss würde er doch auf sie warten, ja, es würde einfach normal weiter gehen. So erhoffte sie es sich.
Die Kraft sickerte samt dem Blut aus ihrem Körper, sie fiel gegen die Wand, rutschte an dieser hinab und sackte in sich zusammen. Doch was sie spürte war Schmerz, der grausamste Schmerz, den sie je verspürt hatte - keine Freiheit, keine Wärme, keine Liebe. Endlosen Schmerz und sie erblickte nur reinste Finsternis – nicht ihren Liebsten. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass er nicht auf sie warten würde, keiner würde das tun, sie würde sterben, einfach sterben. Sie hatte sich den Weg mit ihren eigenen Blut gelegt und musste diesem Pfad nun folgen, ein Ende hatte er nicht, er bestand aus Schmerz und Einsamkeit – dort würde sie auf ewig wandeln, während es keinen Menschen gab, der ihren Tod betrauert, der sie vermisst, der auch nur einmal an sie denken würde. Das junge Mädchen starb im Beisein der Einsamkeit und während es zuvor gehofft hatte, trauerte es nun um ihr eigenes Leben, in den letzten Sekunden von diesem selbst.
Ihre Angst feierte den Sieg.
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LG Löa