Weiter gehts nach langer Zeit...
Die Schatten waren ein wenig länger gezogen und übertrafen ihre Abbilder in Größe und Bewegung, als Chiara schweigend und mit verschlossener, konzentrierter Miene betrachtete, wie Herr Kampmann auf Ecstasy seine gesamte reiterliche Kunst aufbrachte. Das Gesicht des Mannes war leicht gerötet, seine Mundwinkel herabgezogen und die Augen blitzten unzufrieden. Das Mädchen konnte nur zu gut nachvollziehen, was ihn störte – der Rappe drückte den Unterhals heraus, hielt den Kopf weit oben und suchte sich der Wirkung des Eisens auf seiner Zunge zu entziehen, die nun anders als bei Cornelia, die eine überaus zaghafte, weiche Hand hatte, in heftigen Impulsen gegeben wurde, um das Tier zum nachgeben zu bringen. Man würde sich zu tief in die Lehre der Handhaltung verlieren, wenn man die Situation noch weiter beschriebe...
Chiara und Cornelia hatten sich am Rande des Dressurvierecks in den warmen Sand gesetzt und folgten den Linien, die der große Mann auf dem zierlichen Warmblut zog, während er mit ihm kämpfte – Kämpfen, das taten sie wirklich.
Immer wieder erschütterten große Sätze den sicheren Sitz des geübten Reiters, bis dieser das Pferd schließlich zum Nachgeben zwang. Er wusste selber, dass dieses Pferd unter ihm nicht entspannt gehen konnte – offenbar vertrug es nur leichte Hand und Reiter, und passte somit nicht zu Jan, dessen Reitkünste die seiner Tochter und Chiaras zwar recht weit übertrafen, aber seine Hände waren das harte Maul des Sportpferdes, die Abgestumpftheit gegen Schenkel und Sporen und Gleichgültigkeit gegen die Stimme seiner Korrekturpferde gewohnt, während er bei der Jungpferdeausbildung auf einen feinen Reitstil achtete, wobei ihm Cornelia half. Nun verstand er sich also nicht so gut mit dem Neuling, aber das war ein kleineres Problem. Seine Tochter hatte Talent und würde auf diesem Pferd gewiss weit kommen..
Weißer Schaum rann Kinn und Brust des Rappen herab, sein Fell war naß vor Schweiß und auch zwischen den Hinterbacken hatte sich Schaum gebildet. Seine Augen waren noch vor Schreck über den schweren Reiter geweitet als der Reiter nach einigen Minuten Schrittreitens am langen Zügel vom Pferd gerufen wurde, da ihn ein dringliches Telefonat erwartete. Cornelia und Chiara bat er, das Tier trocken zu reiten und Cornelia überließ diese Aufgabe Chiara, um Janosch zu versorgen und auf einen kleinen Ausritt vorzubereiten.
„Ist gut...“, murmelte das blasse Mädchen dem erhitzten und aufgeregten Pferd zu, das sie nun an behandschuhter Hand führte, das Zittern seines Körpers spürte, obgleich es doch eine Armlänge von ihm entfernt schritt, und das rasche Heben und Senken der Flanken sehen konnte wenn sie ihren Kopf ein wenig wendete. Noch immer kaute Ecstasy heftig und schien einen inneren Kampf auszutragen, dessen Gegenspieler des hart erlenten Gehorsams eindeutig die Angst war, die Jan in ihm geweckt zu haben schien, obgleich es Chiara so vorgekommen war, als wäre dieser schöne Rappe eine selbstbewusste Persönlichkeit. Das konnte also auch aus einem Pferd werden..
Fasziniert betrachtete sie aus der Nähe die feinen Linien des ausdrucksstarken Gesichtchens. Dünne Adern durchzogen das tiefschwarze, nun feucht glänzende Fell und die Augen glänzten.
Eine Weile zogen die Beiden so ihre Bahnen und mit fortschreitendem Sonnenuntergang beruhigte sich der Rappe und Schweiß und Schaum erstarrten. Als sich seine Atmung beruhigt hatte führte Chiara Ecstasy zum Abspritzplatz und kümmerte sich darum, das kleine Tier angemessen zu versorgen, es zu putzen und scließlich in die Box zu stellen.
Sie stand noch einige Zeit vor Geronimos Box und strich dem Braunen ab und zu über die Nase, wenn er vom Hafer abließ und nach draußen sah. Von dort aus betrachtete sie den Kopf des Rappen, der sich ab und zu sehen ließ, wenn Ecstasy aus dem Fenster blickte, und das geschah häufig. Jedes Mal wenn jemand das Haus verließ oder betrat, ja schon ein Vogelflattern reichte um die Aufmerksamkeit des Wallachs zu erregen.