Tja meine Lieben, jetzt kommt der 9. Teil online. Hierbei brauche ich ganz besonders eure Kritik zum Inhalt, weil ich nicht weiß, ob ich's wagen, soll so zu schreiben. Es kommt vielleicht ein bisschen schräg rüber, ich bin gespannt, wie eure Rückmeldungen sind. Wichtig ist hierbei zu sagen, dass nicht alle Fakten meiner Story erfunden sind, da meine beiden Hauptpersonen sehr aus meinem realen Umfeld entnommen wurden

Schulkollegen, Freunde, Bekannte und ich haben als Vorlage gedient xDD Also nicht glauben, ich schreibe von etwas, wovon ich keine Ahnung habe! Hier kommt auch endlich
ein bisschen Licht in die Vergangenheit von Amelie
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9. Teil
Schon als das leise Klopfen durch den kleinen Raum hallt, das Ticken der Uhr verdrängt, weiß ich, dass mein nächster Besucher keineswegs angekündigt ist. Und ohne meine Antwort abzuwarten, erscheint er in der Türe und bringt meine Gedanken für kurze Zeit zum Stillstand.
Die klinisch weiße Atmosphäre des Krankenzimmers hatte meine Augen abstumpfen lassen. Ich muss mehrmals blinzeln, bevor ich realisiere, wer sich soeben in mein Zimmer bugsiert hatte.
Ich erkenne Florentina.
Die alte, am Saum ausgefranste Jean fällt mir als erstes auf. Sie ist ausgebleicht und an den Knien aufgescheuert. Florentina wirkt ernst und ihr Gesicht ist blass und müde. Dunkle Ringe zeichnen sich unter ihren Augen ab. Obwohl sie ein schwarzes, kurzes T-Shirt trägt, hat sie offenbar den unteren Ärmelteil eines grünen Sweatshirts abgetrennt und über ihren linken Unterarm gezogen. Sie wirkt befremdlich und wieder einmal komplett verändert. Kein naives Mädchen, keine gelassene Kämpfernatur. Es ist Erschöpfung, die sich in ihren Zügen spiegelt. Erschöpfung und Mattheit.
„Hi!“, sagt sie. Ich nicke ihr zu und versuche, ein spontanes Lächeln anzudeuten. Ich war noch nie gut in dieser Mimik gewesen.
„Willst du dich nicht setzen?“, will ich in meiner kratzigen Stimme anbieten und ärgere mich, nicht wenigstens einmal normal mit ihr reden zu können.
Florentina nimmt mein Angebot an und lässt sich auf den hässlichen, orangen Plastikstuhl fallen. Sie verschränkt die Arme und überschlägt die Beine. Diese Geste hatte ich schon oft an ihr bemerkt.
„Was tust du hier?“, ist meine nächste, unsensible Frage und ich komme mir immer lächerlicher vor. Florentina zieht spöttisch eine Augenbraue nach oben.
„Sollte nicht besser ich diese Frage stellen?“, antwortet sie schnippisch und nestelt an ihrem abgetrennten Ärmel. Für kurze Zeit glaube ich, eine rote Strieme unter dem Stoff hervorleuchten zu sehen. Ich sehe ihr in die unergründlichen Augen und lächle müde.
„Ich nehme an, du hast die Einzelheiten bereits erfahren...“, seufze ich und strecke mich – den schrecklichen Rückenschmerzen zum Trotz.
„Wenn du von den Gerüchten deines Selbstmordversuchs sprichst, die in unserer Klasse die Runde machen, könntest du Recht haben!“, erwidert sie und zieht eine Grimasse. Ich stocke. Wieder einmal habe ich den unfehlbaren Beweis dafür erhalten, wie primitiv unsere Zivilisation doch war. Primitiv und mit tiefsten Mitteln zu beeindrucken.
„Wer hat diesen Schwachsinn verbreitet?“, zische ich. Florentina zuckt mit den Schultern.
„Ein Vöglein hat’s mir gezwitschert.“, meint sie kokett und schenkte mir dieses ekelhaft wissende Lächeln. Sie verfällt wieder in alte Manier zurück, die mich so fasziniert. Und ich bin es leid, dieses Spiel zu spielen. Nicht jetzt, nicht hier. Ich bin zu müde, um mich von ihr um den Finger wickeln zu lassen.
„Was tust du also wirklich hier? Willst du dich nur vergewissern, dass ich noch lebe?“, frage ich direkt und warte geduldig auf eine vernünftige, für mich akzeptable Antwort. Florentinas Lächeln erlischt. Plötzlich wird jede Furche in ihrem 16-jährigen Gesicht tiefer, die grünen Augen verdunkelten sich. Vor meinen Augen wird sie wieder zu jemand anders.
„Ich habe meine Mutter besucht.“, sagt sie matt und kurz angebunden. Ich ahne, einen wunden Punkt getroffen zu haben und im gleichen Moment, in dem ich mich entschließe, keine weiteren Fragen zu stellen, werde ich schwach.
„Was ist mit ihr?“, rutscht es heraus. Ich werde rot, hätte mich am liebsten für diese Frechheit geohrfeigt. Florentina zieht die Stirn kraus.
„Ich glaube kaum, dass es dich etwas angeht.“, flüstert sie und komischerweise nehme ich keinerlei Wut in ihrer Stimme wahr, was mich nur noch mehr beschämt. Es ist nicht meine Art, neugierig zu sein und das wird mir nun wieder zu genau bewusst.
„Tut mir Leid…“, wispere ich, doch Florentina greift plötzlich nach meiner Hand. Ich bin so überrascht, dass ich nicht fähig bin, sie ihr zu entreißen, wie ich es sonst immer zu tun pflege. Florentinas Miene bleibt versteinert und undeutlich.
„Du bist ein seltsamer Mensch, Amelie.“, meint sie tonlos und dreht meine Handfläche nach oben. Langsam zeichnet sie eine helle Narbe nach, die sich quer über meine Pulsadern zieht. Ihre Finger fühlen sich kalt an. Der schwarze Nagellack bildet einen merkwürdigen, leblosen Kontrast zu ihrer weißen Haut. Mein Herz klopft. Wir waren uns so ähnlich, dass sie, sogar ohne mich genau zu kennen, meine tiefsten Geheimnisse deuten konnte. Zum ersten Mal habe ich Angst. Angst, jemanden meine Seele zu offenbaren.
„Du hast schon einmal versucht, dir das Leben zu nehmen.“, murmelt sie leise und blickt mich an. Und ohne es zu wollen gleite ich ab. Durch einen wirren Strudel aus Farben und Schatten. Direkt in meine Vergangenheit.
Abwesend, fast kühl erinnere ich mich zurück. Beinahe fünf lange Jahre war es nun her. Wie ein Blitz zuckt ein kurzes Bild vor meinem geistigen Auge auf. Ich mit zwölf Jahren. Dick. Ungeliebt. Eine Versagerin... Ich in der Toilette des Gymnasiums, das scharfe, gezackte Messer in der Hand. „Du traust dich nicht, Amelie! Komm! Wag es! Lerne den Tod kennen, Amelie! Er wartet auf dich!“, flüsterte mein Gewissen mir damals zu. Und ich war so dumm gewesen, ihm zu glauben, meiner Eingebung nachzugeben. Und dieser wunderbare Schmerz. So tief und heilig, als würde ich mir selbst lehren, durch den Tod zu leben. Und diese herrliche Bestätigung, den bitteren Kuss der Vergänglichkeit auf meinem geschundenen Körper zu fühlen. „Du hast dich selbst gefunden, Amelie! Werde glücklich…“
Es dauerte Wochen, ehe ich die Klinik wieder verlassen durfte. Ich erinnere mich an das weinende Gesicht meiner Mutter, dem ungläubigen, enttäuschten Zügen meines Vaters, als ich von den Sanitätern aus der Toilette geschleift wurde. Blutend. Und doch so stolz, endlich ein bleibendes Zeichen gesetzt zu haben… Ich mit zwölf. Nach meinem ersten Versuch, diesem Leben voller Kälte ein Ende zu bereiten.