So, es geht weiter
---
Montag; Abends
Vorhin ist Ann gekommen. Sie kündigt sich grundsätzlich bei niemandem an. Wenn derjenige, den sie besuchen wollte, nicht da ist, läuft sie zum nächsten. Wir haben dann ein bisschen gequatscht. Das heißt - eigentlich hat sie geredet. Ich habe natürlich kein Wort gesagt.
Wir beide haben aber unsere eigene Sprache entwickelt. Die verstehen zwar nur wir beide, aber das ist uns eigentlich egal. Manchmal komme ich aber in Erklärungsnot und fange dann an, mit Händen und Füßen zu gestikulieren.
Das bringt Ann meistens zum Lachen.
Ich habe ihr nicht ‚erzählt’, dass ich das Gefühl habe, ständig verfolgt zu werden, weil ich nicht wollte, dass sie meinen Großeltern etwas erzählt. Die hätten wahrscheinlich gleich die Polizei angerufen, Personenschutz und solche Dinge beantragt.
Aber das war auch gar nicht das Hauptthema. Das eigentlich ‚Interessante’ an der Geschichte ist ja, was Ann mir gebeichtet hat. Sie meinte, dass sie vermutlich verliebt wäre. Das fand ich an sich gar nicht so schlimm, weil sie ja einen Freund hat. Da geht man ja davon aus, dass man den Partner liebt.
Dann aber sagte sie, dass sie Kevin vom ersten Moment an total süß gefunden hätte. Ich war schon geschockt.
Ann ist seit drei Jahren mit Brian zusammen. Ich bin immer davon ausgegangen, dass die beiden irgendwann heiraten, ein paar Kinder bekommen und bis an ihr Lebensende glücklich sind.
Ich habe sie dann auf unsere Weise gefragt, was denn mit ihr und Brian wäre. Dann habe ich mich noch mehr erschrocken. Sie fing nämlich urplötzlich an zu weinen. Ich sehe sie eigentlich selten weinen. Ann ist von uns diejenige, die immer mutiger ist und anderen die Meinung sagt. Sie ist die, die Freundinnen tröstet, wenn die wegen irgendetwas – zum Beispiel einer schlechten Note – traurig sind.
Jetzt war ich an der Reihe.
Sie hat mir dann ihr Herz ausgeschüttet. Anscheinend hatte sie schon lange den Verdacht, dass Brian sie gar nicht mehr lieben würde. Sie hat diese Beziehung nur nicht beendet, weil sie sich irgendwie abhängig gefühlt hat, sagte sie.
„Und ich habe schon so lange so ein Gefühl, als habe er eine andere!“, hat sie geschluchzt, während ich ihr ein wenig hilflos ein Taschentuch gegeben habe. Ich bin nie in so eine Situation gekommen und weiß deshalb auch nicht, was ich tun sollte. Außerdem war ich immer noch ziemlich verwirrt. Nach außen hin haben die beiden schließlich immer das perfekte Pärchen abgegeben.
„Jetzt ist plötzlich Kevin gekommen.“, brachte sie zwischen zwei Weinkrämpfen heraus. „Es ist nicht nur das Aussehen ... Seine ganze Ausstrahlung. Ich habe zwar noch kein Wort mit ihm geredet, aber ...“
Weiter ist sie vor lauter Tränen nicht mehr gekommen, aber wir verstehen uns ja auch so.
Irgendwann meinte sie, sie müsste nach Hause gehen. Ich habe ihr zwar angeboten, mitzukommen, aber sie meinte, den Weg würde sie auch alleine schaffen. Schließlich wohnt sie ja nur einen Block weiter.
Tja – jetzt sitze ich wieder alleine in meinem Zimmer.
Halt – irgendwer ruft da. Meine Oma ... Mal schauen, was sie will ...