Und wieder wer, der überzeugt ist!
Anscheinend war ich eingeschlafen, denn erst nach wenigen Minuten registrierte ich, dass ich immer noch mitten im Park sass. Es war bereits dunkel und ich stand langsam auf. Als ich mich umsah, bemerkte ich erst, dass sich keine Leute mehr im Park befanden. Also machte ich mich auf den Heimweg, durch die dunkeln Strassen. Es musste etwa 22 Uhr sein, denn das Partyleben hatte sich bereits breit gemacht und so musste ich einigen lauten Bars ausweichen, damit es mich nicht zu ihnen hinzog. Mit gesenktem Kopf lief ich nach Hause, oder sollte ich besser sagen, in die Wohnung meiner Tante?!
Als ich die Tür öffnete war mir nur eines klar: Ab ins Bett, denn ich war hundemüde und war überzeugt davon, dass ich in den nächsten paar Minuten umkippen würde, wenn sich nicht bald ein Bett unter mir befinden würde. Doch damit musste ich wohl noch warten, denn sobald ich den Schlüssel umgedreht hatte, stürzte sich Jenny auf mich. „Mein Gott bin ich froh, dass du endlich hier bist!“, sie fiel mir in die Arme und drückte mich. „Schon okay, du musst dir keine Sorgen um mich machen...“, meinte ich als Entschuldigung und versuchte mir einige Gedanken zu meiner Erklärung vor den Jungs zu machen, denn diese hatte ich bereits von weitem im Wohnzimmer gehört. Jenny begleitete mich zum Wohnzimmer, wobei ich im Türrahmen stehen blieb und eine grossen Seufzer von mir abgab. Das würde jetzt was geben...
Leise begann ich zu sprechen: „Es tut mir so leid, ich...“ „Wir sind weiter!“, anstatt mir aber zu zuhören, riefen alle gleichzeitig darauf los. Völlig sprachlos klammerte ich mich am Türrahmen fest: „Aber... aber wie?“ „Na ja, Andi erzählte der Jury, du hättest bereits eine kleine Grippe gehabt und wir hätten dich nicht zu sehr überfordern wollen.“, erklärte mir Mike. „Daaaaaaankee! Hui, wir sind weiter!“, ich sprang übermütig in die Luft. „Aber, wann ist denn das nächste Vorspiel?“, ich unterbrach meinen Freudenausbruch nur ungern, trotzdem musste ich ernst bleiben. „Ach, das Vorspiel, ja ja ja... Das ist so ein Problem! Der nächste Auftritt ist ...morgen?“, Joe erklärte mir so langsam er konnte, dass wir bis morgen einen neuen Song einstudieren wollten. „Ähm...“, ich registrierte nur langsam, „Ich denke fast, wir sollten... Proben?“ Ein zustimmendes Nicken liess mich bestätigen: „Tja, dann packen wir es an!“
Natürlich ging es sofort in Mikes Keller und während wir durch die Stadt fuhren, telefonierte Joe mit Hella. Er hatte irgendeine Ausrede gefunden und laberte sie voll, während mich Patrick auf den neusten Stand brachte.
Er hatte bereits einen neuen Song geschrieben, den wir nun einstudieren würden. Relativ schnell teilten Patrick und ich den Text auf, während sich Joe, Mike und Andi einspielten. Ich war total konsentriert auf die Musik, deshalb schweiften meine Gedanken nicht auf Kevin. Jenny sass auf dem Sofa und horchte genau zu, doch wir waren in voller Fahrt, und so hatte sie nichts mehr zu meckern, als um Mitternacht der Song perfekt sass. Müde machten wir es uns auf dem Sofa im Probenraum bequem, wo Mike bereits einige Schlafsäcke bereit gemacht und Andi Decken ausgelegt hatte. Joe und Jenny teilten sich das Sofa, Mike beschlagnahmte den Sessel während Patrick, Andi und mir nur noch der Boden blieb...
Es war bereits lange nach Mitternacht, bis wir alle dalagen und zu schlafen versuchten. Doch sofort musste ich wieder über das Geschehene nachdenken. Nach langen, für mich scheinbar endlosen Minuten, in denen jegliche Einschlafversuche gescheitert waren, beschloss ich einfach mal darauf loszudenken. Dann konnte ich vielleicht einschlafen, wenn ich meine Gedanken geordnet hatte! Ich war ziemlich am Boden zerstört, warum war Kevin gegangen... Wie konnte er mir so etwas antun? Ich meine, Patrick und ich waren wirklich nur Freunde, oder? Aber über das durfte ich nicht nachdenken. Obwohl, morgen würde ich bestimmt nicht alles geben können, wenn Kevin nicht da war. Anscheinend war ich nicht die Einzige, die nicht schlafen konnte, denn Patrick hatte meine mehreren verschiedenen Liegeversuche wohl bemerkt. Schliesslich drehte er sich um und sah mich müde an „Was ist los?“, meinte er, als mir langsam Tränen über die Backen kullerten. Gott war ich weich geworden... Die paar Wochen hier, hatten mich echt sensibel gemacht, denn zu Hause, da hätte ich nie geweint. „Du stellst Fragen...“, meinte ich trocken. „Kevin?“, er sah mich besorgt an, „Du kannst gerne mit mir darüber reden.“ Dankend lehnte ich ab: „Nein, es ist alles okay...“ Ich versuchte natürlich überzeugend zu klingen, doch das scheiterte eindeutig. Wieso... Kevin.. Wieso? Ich begann wieder zu weinen und vergrub mich tiefer im Schlafsack. Erst nach einiger Zeit spürte ich, dass Patrick näher gekommen war. Als ich aufsah, lag er keinen halben Meter mehr von mir entfernt. Ich schluckte, bevor ich ihn wohl eine Ewigkeit ansah. Leise begann er zu erzählen, über seine Vergangenheit, seine Erfahrungen... „Ich wurde adoptiert, das ist dir wahrscheinlich schon aufgefallen... Ja... und meine Eltern wollten unbedingt, dass ich es nicht erfahre. Aber zu ihrem Nachteil, habe ich eine Geburtsurkunde gefunden, tja, dass war dann der Anfang vom Ende...“, er sah mich traurig an. Sanft berührte er meine Hand, während ich näher zu ihm hinüberrückte. Langsam kamen wir uns näher, bis sich unsere Lippen berührten. Ich schloss die Augen kurz... Doch nach einem Augenblick schreckte ich auf, öffnete meine Augen wieder und sah ihn an. Es war diese Vertrautheit, die ich bei Tim bereits gehabt hatte, dieser Wunsch... Oh Gott, was hatte ich getan! Ich war doch mit Kevin zusammen, oder nicht mehr? Patrick sah mich fragend an, doch ich wich seinem Blick aus. „Du erinnerst mich an jemand...“, ich blickte ihn nüchtern an. „...an Tim.“ „Ich kenne keinen Tim...“, meinte er nachdenklich. „Musst du auch nicht. Tut mir Leid...“, ich legte mich wieder hin und schloss die Augen. Nach einigen Sekunden der Stille, legte sich Patrick zu mir und nahm mich in den Arm. „Du bist ziemlich verwirrt, was?“, anscheinend wollte er Klarheit, doch ich antwortete nicht, versuchte einzuschlafen...