Hidalgo
Da mich bei Nightwalker etwas die Lust verlassen hat, musste ich einer neuen Idee unbedingt noch nachgehen und wollte einfach mal so wissen, was ihr davon haltet. Vielleicht habt iht ja Lust mir ein paar Verbesserungsvorschläge zu machen, ich würde mich darüber jedenfalls riesig freuen
1. Kapitel
Mit hastigen Bewegungen suchte ich meine paar Sachen, die ich noch besaß, zusammen und stopfte sie allesamt in meinen schwarzen, zerschlissenen und total abgenutzten Rucksack. Mir Geld zu besorgen war nicht sonderlich schwierig, die Freundin meines Vaters ließ es ja einfach überall im Haus liegen. Dazu kannte ich jedes ihrer erbärmlichen Verstecke. Kurz rüttelte ich zum Schluss noch an der Klinke meiner Zimmertür, doch diese blieb verschlossen. Ich hätte sie aufbrechen können, doch dann hätte sie sich mir wohl wieder mit einem Küchenmesser in den Weg gestellt. Nichts war armseliger als diese Frau.
Mit dem Tod meines Vaters hatte man mir alles genommen, was mir auf dieser Erde noch geblieben war und so hatte sich mein Leben langsam auf die Straße verlegt, wo man mich verstand, wo man nicht dauernd reden musste, nein. Bei uns verstand man sich ohne Worte. Kurz starrte ich auf meine Bettdecke, verwarf den Gedanken, auch diese mitzunehmen aber gleich darauf wieder. Sie würde mich nur behindern. Nach kurzem hin und her überlegen stopfte ich mir allerdings dann noch meine Kopfkissen in den Rucksack, kontrollierte nochmal meine Geldvorräte und trat dann an mein großes Zimmerfenster.
Einen Augenblick lang drohten meine Gefühle und meine Erinnerungen mich zu überwältigen, doch dann hörte ich seine Stimme irgendwo in meinem Kopf, die mir solche Emotionalitäten verbot. Wenn du überleben willst, dann musst du dich immer unter Kontrolle haben, oder du stirbst schneller als du realisieren kannst, dass dir ein Messer zwischen den Rippen steckt.
Der Tod war für uns alle etwas natürliches, schließlich sahen wir meist jede Woche ein paar Tote, selbst wenn es nur Obdachlose waren. Ob es nun doch einer der anderen war, einer der unseren, das machte keinen Unterschied mehr. Liebe war bei uns fehl am Platz. Dadurch konnte man nur schneller ausgenutzt werden, schneller verlieren, schneller sterben.
Ein kurzer Blick in mein Zimmer und dann stand ich auf dem Fensterbrett. Der Baum, der günstiger weise neben dem Haus stand bot mir einen idealen Fluchtweg, den ich schon des öfteren ausprobiert hatte, jedoch niemals wirklich zum flüchten genutzt hatte. Doch Noemi und ihre Techniken mich im Haus zu behalten wurden immer raffinierter, sodass ich mich gezwungen sah zu dieser Maßnahme zu greifen.
`Wahrscheinlich wird sie den Baum dann fällen lassen, wenn sie bemerkt, wie ich diesmal raus gekommen bin´, dachte ich grimmig. Nur gut, dass ich nicht vorhatte nochmal wiederzukommen.
Noch einenletzten Blick gestattete ich mir, mit dem ich versuchte mir das Haus noch einmal so vorzustellen, wie es gewesen war, als es meinen Vater noch gegeben hatte.
>Our Home is our Castle< war sein Spruch gewesen, wenn er mich mal wieder getröstet hatte, ja mit ihm an meiner Seite hatte mich nichts einschüchtern können, mit ihm an meiner Seite war ich unschlagbar gewesen. Früher hatte ich einmal an Gott geglaubt, inzwischen hasste ich ihn. Hasste ihn dafür, das er mir diesen Menschen genommen hatte, einfach so ohne jeglichen Grund.
Die Träne die sich trotz allem aus meinem rechten Auge stahl, wischte ich mit einer ruckartigen Bewegung beiseite und fing an meine Mauer zu bauen, hinter der ich mich verkriechen konnte. Mein Gesicht wurde zu einer Gefühlslosen Maske, die niemand mehr durchdringen konnte. Dann ließ ich meine Beine den Weg zu unserem Unterschlupf finden, ohne wirklich dabei zu sein.
Ich war nicht die erste, die im Lager auftauchte. Die, die sich hier häuslich eingerichtet hatten, waren immer da, wie Jered und Guel, aber Kevin und Flo waren schon vor mir hier und saßen mit den anderen an der Wand und waren voll damit beschäftigt ein Feuer zu entfachen, was bei dem Wind, der heute herrschte aber wohl ein aussichtsloses Unterfangen war. "Oha, Misses Diva ist auch wieder da", bekam ich von Guel zu hören und spie ihm nur ein "Halts Maul" vor die Füße, ehe ich mich in meiner Ecke niederließ. Ich hatte mir den Platz zwischen zwei Häuserwänden mühselig erkämpft, da man in einer bestimmten Haltung den Himmel sehen konnte. Hier verbot ich mir allerdings jeden Gedanken an meinen Vater, denn die anderen würden meine Gefühle nur ausnutzen.
"Noch freundlicher gehts auch nicht, he?", vernahm ich da plötzlich eine nur zu bekannte Stimme hinter mir. Sie gehörte Lester, der uns hier alle zusammengebracht hatte. Ich war noch nicht so lange dabei, wie manche von den Anderen, die schon da waren, doch durch meine Fähigkeiten mich ungesehen fast überallhin schleichen zu können und genauso ungesehen wieder zu verschwinden hatte ich mir relativ schnell meinen Platz in unserer Rangordnung gesichert. Lester hatte mich gefunden, als ich das dritte Mal abgehauen war, wenn mir durch Noemi mal wieder die Decke auf den Kopf gefallen war. Sie war mit mir einfach schlichtweg überfordert und auch keine besonders gute Pädagogin, denn sie hatte es ja letztendlich geschafft mich ganz aus dem Haus zu vergraulen.
`Würde mich nicht wundern, wenn sie froh ist, dass ich endlich weg bin´, dachte ich bei mir und warf Lester einen kurzen Blick zu. Er war groß gebaut und muskulös, verbarg sich aber immer hinter seiner Kapuze, als hätte er Angst der Welt sein Gesicht zu zeigen.
Niemand von uns wusste etwas über ihn, während wir untereinander eigentlich alles wussten. Wir hatten keine Geheimnisse voreinander und es gab keinen Besitz. Hatte einer für Geld sorgen können galt es die ganze Gruppe damit durch zu bringen und zu unterstützen. Das hatte den großen Vorteil, dass es keinen Diebstahl gab. Jeder hatte ein paar persönliche Einzelstücke, doch davon hatte man die Finger zu lassen, wollte man keine gebrochenen Knochen davontragen.
Ich zog die Nase hoch, kramte in meiner Hosentasche und zauberte einen fünfzig-Euro Schein daraus hervor. Lester hob die Augenbraue, denn die Verstecke, die Noemi hatte waren einfach zu offensichtlich.Vielleicht legte sie mir extra so viel Geld dorthin zurück, damit sie sich zumindest einreden konnte, das sie etwas für mich tat, doch das war mir egal. Ich war inzwischen schon eine derjenigen, die immer Geld mitbrachten und aktiv dazu beitrugen uns nicht verhungern zu lassen. Die anderen kümmerten sich größtenteils um die Angelegenheiten mit den anderen Banden, die in unserer Nähe herum streunten und sich nie feste Verstecke zulegten. Manchmal versuchten ein paar Schwachsinnige unser Lager zu überfallen, doch sie scheiterten meist schon an unseren ersten Wachtposten. Wir alle lernten uns selbst zu verteidigen, von daher trugen wir auch alle mindest ein immer einsatzbereites Messer mit uns herum.
Besonders gut leiden konnten wir uns allerdings trotzdem nicht. Vor allem das Verhältnis zwischen mir und Guel war immer angespannt und jeder wartete auf einen Fehler des anderen woraufhin man einander mal ordentlich zur Rechenschaft ziehen konnte.
"Wir haben jemand neuen", durchbrach Lesters feste Stimme meine Gedankengänge und ich sah überrascht hoch. Wir hatten schon länger keinen Neuzugang mehr gehabt und der schmächtige Bursche, dem Lester beruhigend eine Hand auf die Schulter legte sah nicht unbedingt so aus, als würde er bei uns sonderlich lange durchhalten. "Er heißt Dean, ich wäre euch echt dankbar, wenn ihr euch um ihn kümmern würdet." Sein Tonfall ließ keinen Widerspruch zu und da tauchte auch schon Lenny auf. Sie war eine treue Seele und hatte ein ziemlich gutes Herz. Ihre streichholzkurzen Haare verliehen ihr etwas freches und jeder im Lager mochte sie, weil sie eben einfach Lenny war. "Ich mach das schon, Lester", löste sie schnell die Spannung auf und schob Dean sanft zu ihrem Lager. Sie war von Anfang an da gewesen und egal was man hatte, mit ihr konnte man reden. Sie war Weise und hatte es sich zur Aufgabe gemacht für uns andere zu sorgen. Sie war auch unsere Verpflegerin, die uns unser Essen einteilte. Sie war das halbe Lager.
Zum Dank schenkte Lester ihr ein kurzes Nicken, bis er die Anwesenden mit einem kurzen Blick überflog. Hinter ihm kamen noch Troy, Mad und Nath, die immer zusammen unterwegs waren. Somit waren wir fast komplett vollzählig, nur Mandy fehlte noch, doch sie war auch diejenige, die es von uns am schwersten hatte, was das abhauen anging, da ihr Vater mit ihr in einem achtstöckigen Hochhaus wohnte, von dem man nicht unbedingt so einfach abhauen konnte.
Irgendetwas verwirrte mich an Lesters Haltung, aber ich kam nicht darauf, was es war. Ich machte mir allerdings nicht die Mühe ihn zu fragen, was los war. Wenn er es für wichtig hielt, würde er es uns mitteilen, oder auch nicht. Das war ihm vorenthalten, das war seine Aufgabe.
Leichter Nieselregen setzte ein und wir machten uns daran eine notdürftige Plastikplane an ein paar Ringen zu befestigen, die wir in die Hauswände hineingeschlagen hatten um uns auch bei Regen hier aufhalten zu können. Im Winter wurde es dann meist schon schwerer, doch teilweise bastelten wir dann aus allem was wir hatten eine Art Zelt, in dem wir uns alle dich aneinandergeschmiegt gegenseitig wärmten. Inzwischen war schon wieder Herbst und die Zeit der kurzärmligen T-Shirts oder der nackten Oberkörper war vorbei. Vielleicht würden wir uns für diesen Winter auch ein neues Lager beschaffen, aber das lag alles in Lesters Händen.
Es war schon fast dunkel, als Mandy dann endlich mit zerzausten Haaren zu uns stieß. Sie wendete sich gleich an Les und die beiden verzogen sich zusammen. Irgendwo waren die beiden zusammen aber irgendwo auch nicht, doch das hatte uns nicht zu interessieren. Ich stand bei Lanny und Dean, der sitzend mit einer Tasse heißem Tee in eine warme Wolldecke eingehüllt von Lan und mir wieder etwas zu Kräften gebracht wurde. Wir schwatzten über lauter belangloses Zeug und doch lag eine Spannung in der Luft, die man nicht ignorieren konnte. Heute würde noch irgendetwas passieren, das war allen klar, auch mir. Doch ich hoffte, dass es mich nicht betreffen würde.

1. Kapitel
Mit hastigen Bewegungen suchte ich meine paar Sachen, die ich noch besaß, zusammen und stopfte sie allesamt in meinen schwarzen, zerschlissenen und total abgenutzten Rucksack. Mir Geld zu besorgen war nicht sonderlich schwierig, die Freundin meines Vaters ließ es ja einfach überall im Haus liegen. Dazu kannte ich jedes ihrer erbärmlichen Verstecke. Kurz rüttelte ich zum Schluss noch an der Klinke meiner Zimmertür, doch diese blieb verschlossen. Ich hätte sie aufbrechen können, doch dann hätte sie sich mir wohl wieder mit einem Küchenmesser in den Weg gestellt. Nichts war armseliger als diese Frau.
Mit dem Tod meines Vaters hatte man mir alles genommen, was mir auf dieser Erde noch geblieben war und so hatte sich mein Leben langsam auf die Straße verlegt, wo man mich verstand, wo man nicht dauernd reden musste, nein. Bei uns verstand man sich ohne Worte. Kurz starrte ich auf meine Bettdecke, verwarf den Gedanken, auch diese mitzunehmen aber gleich darauf wieder. Sie würde mich nur behindern. Nach kurzem hin und her überlegen stopfte ich mir allerdings dann noch meine Kopfkissen in den Rucksack, kontrollierte nochmal meine Geldvorräte und trat dann an mein großes Zimmerfenster.
Einen Augenblick lang drohten meine Gefühle und meine Erinnerungen mich zu überwältigen, doch dann hörte ich seine Stimme irgendwo in meinem Kopf, die mir solche Emotionalitäten verbot. Wenn du überleben willst, dann musst du dich immer unter Kontrolle haben, oder du stirbst schneller als du realisieren kannst, dass dir ein Messer zwischen den Rippen steckt.
Der Tod war für uns alle etwas natürliches, schließlich sahen wir meist jede Woche ein paar Tote, selbst wenn es nur Obdachlose waren. Ob es nun doch einer der anderen war, einer der unseren, das machte keinen Unterschied mehr. Liebe war bei uns fehl am Platz. Dadurch konnte man nur schneller ausgenutzt werden, schneller verlieren, schneller sterben.
Ein kurzer Blick in mein Zimmer und dann stand ich auf dem Fensterbrett. Der Baum, der günstiger weise neben dem Haus stand bot mir einen idealen Fluchtweg, den ich schon des öfteren ausprobiert hatte, jedoch niemals wirklich zum flüchten genutzt hatte. Doch Noemi und ihre Techniken mich im Haus zu behalten wurden immer raffinierter, sodass ich mich gezwungen sah zu dieser Maßnahme zu greifen.
`Wahrscheinlich wird sie den Baum dann fällen lassen, wenn sie bemerkt, wie ich diesmal raus gekommen bin´, dachte ich grimmig. Nur gut, dass ich nicht vorhatte nochmal wiederzukommen.
Noch einenletzten Blick gestattete ich mir, mit dem ich versuchte mir das Haus noch einmal so vorzustellen, wie es gewesen war, als es meinen Vater noch gegeben hatte.
>Our Home is our Castle< war sein Spruch gewesen, wenn er mich mal wieder getröstet hatte, ja mit ihm an meiner Seite hatte mich nichts einschüchtern können, mit ihm an meiner Seite war ich unschlagbar gewesen. Früher hatte ich einmal an Gott geglaubt, inzwischen hasste ich ihn. Hasste ihn dafür, das er mir diesen Menschen genommen hatte, einfach so ohne jeglichen Grund.
Die Träne die sich trotz allem aus meinem rechten Auge stahl, wischte ich mit einer ruckartigen Bewegung beiseite und fing an meine Mauer zu bauen, hinter der ich mich verkriechen konnte. Mein Gesicht wurde zu einer Gefühlslosen Maske, die niemand mehr durchdringen konnte. Dann ließ ich meine Beine den Weg zu unserem Unterschlupf finden, ohne wirklich dabei zu sein.
Ich war nicht die erste, die im Lager auftauchte. Die, die sich hier häuslich eingerichtet hatten, waren immer da, wie Jered und Guel, aber Kevin und Flo waren schon vor mir hier und saßen mit den anderen an der Wand und waren voll damit beschäftigt ein Feuer zu entfachen, was bei dem Wind, der heute herrschte aber wohl ein aussichtsloses Unterfangen war. "Oha, Misses Diva ist auch wieder da", bekam ich von Guel zu hören und spie ihm nur ein "Halts Maul" vor die Füße, ehe ich mich in meiner Ecke niederließ. Ich hatte mir den Platz zwischen zwei Häuserwänden mühselig erkämpft, da man in einer bestimmten Haltung den Himmel sehen konnte. Hier verbot ich mir allerdings jeden Gedanken an meinen Vater, denn die anderen würden meine Gefühle nur ausnutzen.
"Noch freundlicher gehts auch nicht, he?", vernahm ich da plötzlich eine nur zu bekannte Stimme hinter mir. Sie gehörte Lester, der uns hier alle zusammengebracht hatte. Ich war noch nicht so lange dabei, wie manche von den Anderen, die schon da waren, doch durch meine Fähigkeiten mich ungesehen fast überallhin schleichen zu können und genauso ungesehen wieder zu verschwinden hatte ich mir relativ schnell meinen Platz in unserer Rangordnung gesichert. Lester hatte mich gefunden, als ich das dritte Mal abgehauen war, wenn mir durch Noemi mal wieder die Decke auf den Kopf gefallen war. Sie war mit mir einfach schlichtweg überfordert und auch keine besonders gute Pädagogin, denn sie hatte es ja letztendlich geschafft mich ganz aus dem Haus zu vergraulen.
`Würde mich nicht wundern, wenn sie froh ist, dass ich endlich weg bin´, dachte ich bei mir und warf Lester einen kurzen Blick zu. Er war groß gebaut und muskulös, verbarg sich aber immer hinter seiner Kapuze, als hätte er Angst der Welt sein Gesicht zu zeigen.
Niemand von uns wusste etwas über ihn, während wir untereinander eigentlich alles wussten. Wir hatten keine Geheimnisse voreinander und es gab keinen Besitz. Hatte einer für Geld sorgen können galt es die ganze Gruppe damit durch zu bringen und zu unterstützen. Das hatte den großen Vorteil, dass es keinen Diebstahl gab. Jeder hatte ein paar persönliche Einzelstücke, doch davon hatte man die Finger zu lassen, wollte man keine gebrochenen Knochen davontragen.
Ich zog die Nase hoch, kramte in meiner Hosentasche und zauberte einen fünfzig-Euro Schein daraus hervor. Lester hob die Augenbraue, denn die Verstecke, die Noemi hatte waren einfach zu offensichtlich.Vielleicht legte sie mir extra so viel Geld dorthin zurück, damit sie sich zumindest einreden konnte, das sie etwas für mich tat, doch das war mir egal. Ich war inzwischen schon eine derjenigen, die immer Geld mitbrachten und aktiv dazu beitrugen uns nicht verhungern zu lassen. Die anderen kümmerten sich größtenteils um die Angelegenheiten mit den anderen Banden, die in unserer Nähe herum streunten und sich nie feste Verstecke zulegten. Manchmal versuchten ein paar Schwachsinnige unser Lager zu überfallen, doch sie scheiterten meist schon an unseren ersten Wachtposten. Wir alle lernten uns selbst zu verteidigen, von daher trugen wir auch alle mindest ein immer einsatzbereites Messer mit uns herum.
Besonders gut leiden konnten wir uns allerdings trotzdem nicht. Vor allem das Verhältnis zwischen mir und Guel war immer angespannt und jeder wartete auf einen Fehler des anderen woraufhin man einander mal ordentlich zur Rechenschaft ziehen konnte.
"Wir haben jemand neuen", durchbrach Lesters feste Stimme meine Gedankengänge und ich sah überrascht hoch. Wir hatten schon länger keinen Neuzugang mehr gehabt und der schmächtige Bursche, dem Lester beruhigend eine Hand auf die Schulter legte sah nicht unbedingt so aus, als würde er bei uns sonderlich lange durchhalten. "Er heißt Dean, ich wäre euch echt dankbar, wenn ihr euch um ihn kümmern würdet." Sein Tonfall ließ keinen Widerspruch zu und da tauchte auch schon Lenny auf. Sie war eine treue Seele und hatte ein ziemlich gutes Herz. Ihre streichholzkurzen Haare verliehen ihr etwas freches und jeder im Lager mochte sie, weil sie eben einfach Lenny war. "Ich mach das schon, Lester", löste sie schnell die Spannung auf und schob Dean sanft zu ihrem Lager. Sie war von Anfang an da gewesen und egal was man hatte, mit ihr konnte man reden. Sie war Weise und hatte es sich zur Aufgabe gemacht für uns andere zu sorgen. Sie war auch unsere Verpflegerin, die uns unser Essen einteilte. Sie war das halbe Lager.
Zum Dank schenkte Lester ihr ein kurzes Nicken, bis er die Anwesenden mit einem kurzen Blick überflog. Hinter ihm kamen noch Troy, Mad und Nath, die immer zusammen unterwegs waren. Somit waren wir fast komplett vollzählig, nur Mandy fehlte noch, doch sie war auch diejenige, die es von uns am schwersten hatte, was das abhauen anging, da ihr Vater mit ihr in einem achtstöckigen Hochhaus wohnte, von dem man nicht unbedingt so einfach abhauen konnte.
Irgendetwas verwirrte mich an Lesters Haltung, aber ich kam nicht darauf, was es war. Ich machte mir allerdings nicht die Mühe ihn zu fragen, was los war. Wenn er es für wichtig hielt, würde er es uns mitteilen, oder auch nicht. Das war ihm vorenthalten, das war seine Aufgabe.
Leichter Nieselregen setzte ein und wir machten uns daran eine notdürftige Plastikplane an ein paar Ringen zu befestigen, die wir in die Hauswände hineingeschlagen hatten um uns auch bei Regen hier aufhalten zu können. Im Winter wurde es dann meist schon schwerer, doch teilweise bastelten wir dann aus allem was wir hatten eine Art Zelt, in dem wir uns alle dich aneinandergeschmiegt gegenseitig wärmten. Inzwischen war schon wieder Herbst und die Zeit der kurzärmligen T-Shirts oder der nackten Oberkörper war vorbei. Vielleicht würden wir uns für diesen Winter auch ein neues Lager beschaffen, aber das lag alles in Lesters Händen.
Es war schon fast dunkel, als Mandy dann endlich mit zerzausten Haaren zu uns stieß. Sie wendete sich gleich an Les und die beiden verzogen sich zusammen. Irgendwo waren die beiden zusammen aber irgendwo auch nicht, doch das hatte uns nicht zu interessieren. Ich stand bei Lanny und Dean, der sitzend mit einer Tasse heißem Tee in eine warme Wolldecke eingehüllt von Lan und mir wieder etwas zu Kräften gebracht wurde. Wir schwatzten über lauter belangloses Zeug und doch lag eine Spannung in der Luft, die man nicht ignorieren konnte. Heute würde noch irgendetwas passieren, das war allen klar, auch mir. Doch ich hoffte, dass es mich nicht betreffen würde.