Da bin ich aber froh, dass ihr noch so eifrig mitlest *aufatmet* Da immer so wenig Kommentare kommen, hab ich manchmal Zweifel, ob ich überhaupt noch posten soll...
So, aber da ihr offenbar nach wie vor eifrig am Lesen seid, hab ich hier den Auftakt des vierten Kapitels für euch! Ihr dürft gerne genauso eifrig kommentieren, wie ihr lest
Erstes Buch
IV - Des Rätsels Lösung
Part I
Es war noch keine zwei Stunden her, dass John und ich das Krankenhaus wieder verlassen hatten. Zuvor war ich einem der Beamten vor Emilys Zimmertür solange auf die Nerven gegangen, bis er mir schwor, dass er mir sofort Bescheid geben würde, wenn sich irgendetwas an Emilys Zustand änderte oder ein Fremder nach ihr sehen wollte. Dann waren wir schweigend zusammen zu mir gefahren. Der Wagen stand in der Einfahrt. Ich hatte darauf bestanden, dass John ihn nicht in der Garage parkte. Der Grund dafür war mir selbst sogar schleierhaft.
Mittlerweile saßen wir in meinem Wohnzimmer auf dem großen Ledersofa und ich starrte Löcher in die Luft. Noch immer hatten wir nicht wirklich miteinander gesprochen. Ich vermutete, dass Johnny einfach Rücksicht auf mich nahm und mich nicht zu einer Unterhaltung drängen wollte, die ich nicht zu führen im Stande war. Aber eigentlich wollte ich ja reden. Ich wollte wissen, was da passiert war und vor allem, warum das passiert war. Jedoch sträubte sich etwas in mir ganz heftig dagegen die relevanten Fragen zu stellen, die mir die Antworten beschert hätten. Vielleicht war das ja nur so etwas wie ein Schutzmechanismus von meinem Gehirn, weil mein Unterbewusstsein ahnte, dass ich die Antworten nicht verkraften würde. Ich hatte schon eine ganze Weile das Gefühl, dass da in meinem Kopf mehr war, ich mir eventuell sogar die Antworten selbst geben konnte, nach denen ich so verbissen suchte und bei denen ich mich weigerte einfach nachzufragen. Und dennoch: Je länger ich darüber nachdachte und je mehr ich das Geschehene hin und her wälzte, desto größer wurde der Knoten in meinem Hirn. Und das Ergebnis waren schlicht und ergreifend Kopfschmerzen.
Plötzlich klappte ein Schalter in meinem bewussten Denken um. Ich stieß einen Schrei aus und griff mir mit beiden Händen an den Kopf, bevor ich wimmernd mein Gesicht in ihnen vergrub. Warum Emily? Warum meine beste Freundin? Und was hatte das mit Kathryn zu tun? Warum ausgerechnet ich? Und warum jetzt?
»Chris? Ist alles in Ordnung mit dir?«, riss mich John zum wiederholten Male an diesem Tag aus meinen Gedanken.
»Nein, nichts ist in Ordnung!«, fuhr ich ihn an und blickte mit blitzenden Augen zu ihm auf.
Wenn ich jetzt nicht ganz schnell ganz vorsichtig wurde, dann würde sich binnen der nächsten fünf Minuten mein heiliger Zorn auf ihn entladen und das wusste ich. Aber John konnte das nicht ahnen. Er setzte schon dazu an eine entsprechende Frage zu stellen, die ihm aber im Halse stecken blieb, als ich mit einem Ruck aufstand, die wenigen Stufen zu meinem Podest hochging und an einem der zum Boden reichenden Fenster stehen blieb. Ich lehnte mich mit der rechten Schulter an den Fensterrahmen und starrte die Regentropfen an, wie sie auf der Glasscheibe perlten. Einige der Tropfen hatten ein hauchzartes Muster auf der Scheibe hinterlassen, das beinahe wie ein Spinnennetz wirkte. Oder wie die feinen Risse von gesprungenem Glas. Ich hatte nicht übel Lust dazu mit der Faust die Scheibe zu zertrümmern um meinen Frust an irgendetwas auszulassen. Zwar ballte ich meine Hand, aber ich schlug nicht zu, stattdessen drehte ich mich ein wenig und konnte so meinen Flügel aus den Augenwinkeln betrachten.
Ich spiegelte mich in dem polierten schwarzen Lack und auch die Regentropfen, die auf der Scheibe glitzerten, waren zwischen der Holzmaserung zu erkennen. Irgendwie hatte es etwas Beruhigendes auf mich, dass der Flügel nach all den Jahren noch immer von so einem tiefen Schwarz war, dass er beinahe wie Obsidian wirkte, aber dennoch nicht schwarz genug sein konnte um die Maserung zu überdecken. Ich seufzte schwer und widmete mich dann wieder meinem Spiegelbild in der Glasscheibe.
»Vielleicht solltest du dich ein wenig hinlegen.«, schlug John hinter mir vor.
Wann war er hinter mich getreten? Ich hatte ihn nicht kommen hören.
Ich fuhr herum und funkelte ihn aus wilden Augen an.
»Warum sollte ich das tun? Damit ich es verpasse, wenn irgendetwas mit Emily nicht stimmt? Oder damit du weiter den Beschützer spielen kannst?«, knurrte ich und ich wusste, dass ich ihm damit Unrecht tat.
Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann bereute ich die Worte in dem Moment, in dem ich sie ausgesprochen hatte. John musste das spüren, denn sein Blick verfinsterte sich nicht, sondern blieb so verständnisvoll und sanft wie zuvor.
»Nein, Chris. Das meine ich nicht. Wenn du möchtest, dann lege ich mich zu dir. Wir nehmen das Telefon mit und hören dann auch sofort, wenn es klingelt.«, fuhr er fort mir seine Idee weiter zu unterbreiten.
Eigentlich klang es ziemlich verlockend, aber die Angst, dass ich Emily im Stich ließ, war zu groß. Ich hatte bereits zweimal versagt. Ein drittes Mal könnte vielleicht das letzte Mal sein und ich würde es mir definitiv nicht verzeihen.
»Ich verspreche dir, dass ich dich sofort wecke, wenn das Telefon klingelt.«, meinte Johnny und hob die rechte Hand zum Schwur.
»Das ist die Falsche.«, brummte ich trocken.
»Wie?«, fragte er verdutzt und blickte mich irritiert an.
Dann sah er auf seine Hand, schaute mir in die Augen und wurde plötzlich rot.
»Oh.«, machte er, kratzte sich mit der rechten Hand am Kopf und hob dann die Linke.
»Besser? Ich schwöre so selten.«, wollte John mit einem entschuldigenden Grinsen wissen.
Ich nickte nur langsam und trat an ihm vorbei zur Kommode. Dort stand das Telefon auf seiner Station. Im Vorbeigehen hob ich es hoch und warf zum unzähligsten Mal einen Blick auf das Display. Die Handlung war vollkommen absurd, das war mir selbst auch bewusst. Aber ich hatte das Gefühl es Emily schuldig zu sein auch die Eventualität, dass der Lautsprecher ausgefallen war, mit einzukalkulieren. Erneut seufzte ich und ging dann in den Flur. John folgte mir in einigem Abstand. Offenbar hatte er das Gefühl, dass ich mich noch nicht wieder vollständig unter Kontrolle hatte. Damit lag er gar nicht so falsch.
Gemeinsam stiegen wir die Stufen zum Obergeschoss hoch. Je näher ich meinem Schlafzimmer kam, desto mehr spürte ich die Müdigkeit und die Erschöpfung in meinen Knochen. Kurz bevor ich vor der Tür ankam, begann ich zu taumeln und John fing mich im offenbar letzte Moment auf.
»Du kannst ja kaum noch die Augen offen halten. Na komm.«, murmelte er liebevoll, legte sich meinen Arm um seine Schultern und brachte mich so in mein Schlafzimmer.
Meine Beine fühlten sich wie Pudding an und als wir durch die Tür durch waren, wurde mir mit einem Mal bewusst, dass seit Kathryns Tod außer Emily die mich ja hin und wieder bei meinem Kleidungsstil beriet und mir niemand mehr in diesem Zimmer gewesen war. Überall waren noch die Spuren von meiner verstorbenen Frau und das drei Jahre nach ihrem Tod.
Dort auf dem Nachttisch stand das Bild, das ich von ihr geschossen hatte, als wir gerade mit dem Hausbau fertig geworden waren und damit beginnen wollten die Inneneinrichtung zu gestalten. Sie saß auf dem Geländer der Veranda, hatte den rechten Fuß darauf abgestützt und ließ den Linken baumeln. Mit der linken Schulter hatte sie sich an einen Holzträger gelehnt und einige Haarsträhnen ihrer blonden Mähne hatten sich aus ihrem nachlässig hochgebundenen Knoten gelöst, standen ihr nun beinahe wirr vom Kopf ab. Sie hatte Farbflecke im Gesicht und kratzte sich gerade verschmitzt hinter dem Ohr. Ein Pinsel steckte in ihrem Haarknoten und tropfte munter auf ihre Jeansbluse herab. Nachdem ich das Bild geschossen gehabt hatte, war sie von dem Geländer gesprungen, hatte sich den Pinsel aus den Haaren gezogen und mich einmal ums Haus gejagt nur um mir dann doch einen Farbstrich auf die Nase zu verpassen, als ich mich zu ihr herumgedreht hatte um sie in die Arme zu schließen.
Kurz darauf war Emily zu uns gestoßen und hatte uns beim Anstrich des Wohnzimmers geholfen. Sie war den halben Tag auf der Jagd nach der ultimativen Story gewesen, als sie gutgelaunt das Haus betrat. Wie immer hatte sie einen ihrer adretten Hosenanzüge an und keinerlei Berührungsängste mit der frisch gestrichenen Veranda. Das war typisch für Emily. Sie lebte frei nach dem Motto: Gebrauchsgegenstände waren dafür da gebraucht zu werden. Wenn etwas kaputt ging, konnte man es ersetzen und ansonsten wurde es gewaschen.
Die hatte uns eine Kleinigkeit zu Essen und zwei Thermoskannen Kaffee mitgebracht und begann dann unaufgefordert damit, uns zu helfen. Binnen kürzester Zeit hatte sie sich und ihren Hosenanzug von oben bis unten dreckig gemacht, allerdings waren Kathryn und ich nicht ganz unschuldig gewesen. Wir konnten einfach nicht ernst sein, wenn wir drei zusammen waren.
Und so zeigte uns auch das zweite Bild, das etwas versetzt hinter der Aufnahme von Kathryn stand. Das Foto war während unseres gemeinsamen Urlaubs in Venice Beach entstanden. Wir alberten herum, jeder von uns hielt ein Eis in der Hand. Kathryns tropfte schon vor sich her, während Emily versuchte mir ihr Eis auf die Nase zu setzen. Ich wiederum hielt Kathryn an den Hüften umklammert und hob sie hoch, wich Emilys Eis aus und Kat brachte irgendwie das Kunststück fertig die Tropfen mit der Zunge aufzufangen. Ich weiß nicht mehr, wer diesen Schnappschuss gemacht hatte, aber es war während unserer Semesterferien entstanden.
Mein Hals war wie zugeschnürt, als ich aus der Erinnerung erwachte und John mich fragend ansah. Ihm war nicht bewusst, dass die Vorhänge noch immer die Selben waren, die Kathryn von Jahren ausgesucht hatte. Er konnte auch nicht ahnen, dass der Läufer vor dem Bett und die Bettwäsche Errungenschaften von einer ihrer unzähligen Shoppingtouren waren. Würde er den Schrank öffnen, so würde er sehen, dass die Hälfte davon mit Frauenkleidung voll war Kats Kleidung.
Ich seufzte leise und ließ mich von John zu meinem Bett bugsieren. Fragend sah er mich an, denn offenbar war ihm durchaus klar, dass ich nach Kathryns Tod niemanden mehr in dieses Bett gelassen hatte. Ich nickte nur und er ließ sich auf dem Bettrand nieder, bevor er mich zu sich zog. Kommentarlos zog er mir die Schuhe aus und drückte mich dann sanft zurück in die Kissen. Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass er die Situation ausnützen würde, dass er sich nehmen würde, was er offensichtlich begehrte, denn immerhin war ich nun ein wirklich leichtes Opfer und John war zum Einen deutlich größer als ich und zum Anderen wohl auch sehr viel durchtrainierter.
Aber er tat nichts von alledem, sondern rutschte auf die andere Bettseite Kathryns Seite und drehte sich zu mir. Zärtlich strich er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und ich drehte mich nun auch zu ihm um, sah ihm in seine dunkelgrünen Augen.
Lange lagen wir einfach so da, betrachteten die Gesichtszüge des jeweils anderen, während er mit meiner Haarsträhne spielte. Unsere Knie waren der einzige Berührungspunkt und nicht nur einmal ertappte ich mich dabei, wie ich in seinen Augen versank und mich ganz meinen Gedanken hingab.
Irgendwann begann ich dann zu erzählen. Einfach so, ohne dass er mich aufforderte. Ich berichtete ihm davon, wie Kathryn und ich uns kennen lernten, dass Emily und ich schon zusammen im Sandkasten gespielt hatten und wir später zu dritt unser Studium absolvierten. Ich hatte mein Studium dank einiger Praktika um ein Jahr verkürzen können, Emily war ein Quereinsteiger und bekam schon nach ihrem ersten Jahr einen festen Posten als Journalistin, noch bevor sie ihr Studium auch nur im Ansatz beendet hatte und Kathryn? Kathryn war die Einzige von uns gewesen, die sich einen Studiengang ausgesucht hatte, der bereits nach drei Jahren zu Ende war.
Ich erzählte ihm davon, wie Kathryn und ich es mehr oder weniger im Alleingang geschafft hatten, dieses Haus hier zu bauen und dann heirateten. Dabei ließ ich den schlimmsten Moment meines Lebens aus: ihren Tod.
Doch auch wenn ich diesen Teil meiner Lebensgeschichte ausließ, so verstand John dennoch was in mir vorging. Zaghaft griff er nach meiner Hand und begann sanft mit meinen Fingerspitzen zu spielen. Ich beruhigte mich beinahe augenblicklich und erzählte ihm dann leise von Emily und mir, unserer Zeit nach Kathryns Tod und wie ich mehr als einmal eine Stütze nötig hatte. Eigentlich war es immer Emily gewesen, die mich aufgefangen hatte, die mir neuen Mut machte und mich zwang nicht aufzugeben. Nie hatte sie sich in der Zeit beschwert, nie wollte sie meine Hilfe. Mir wurde schlagartig klar, dass auch sie gelitten hatte, dass Kathryn ihre Freundin gewesen war und sie ihr genauso wie mir genommen wurde. Ich kam mir schäbig vor. Schäbig, weil ich nie gefragt hatte, wie es ihr ging, sondern es immer für selbstverständlich gehalten hatte, dass sie da war, wenn ich wieder einmal zusammen brach.
»Bin ich ein schlechter Mensch?«, fragte ich Johnny leise und schloss für einen Moment die Augen.
»Wie kommst du darauf? Weil sie sich nie beschwert hatte? Weil du zu beschäftigt mit deiner eigenen Trauer warst um zu sehen, dass sie auch trauerte?«, hakte er nach und schüttelte dann den Kopf.
»Nein, ich denke nicht, dass du ein schlechter Mensch bist. Du weißt doch, dass jeder anders trauert. Vielleicht war es ihre Art mit ihrer Trauer so umzugehen, indem sie dich bemutterte und auf dich aufpasste.«
Seine Aussage hatte eine zwingende Logik, aber es fühlte sich dennoch falsch an. Ich hatte sie mehr als einmal im Stich gelassen und diese Erkenntnis erwischte mich eiskalt.
»Was hältst du davon, sie einfach zu fragen, wenn es ihr wieder besser geht? Du machst dir viel zu viele Gedanken um Dinge, die schon so weit zurück liegen. Wie wäre es, wenn du jetzt einfach ein wenig die Augen zu machst und versuchst etwas zu schlafen?«, schlug John mir erneut vor.
Zumindest versuchte er es wie einen Vorschlag klingen zu lassen, aber sein Ton machte mir klar, dass er keine Widerrede zulassen würde.
»Wenn es denn unbedingt sein muss.«, knurrte ich.
»Ja, muss es. Du bist vollkommen erledigt und ich übernehme keine Garantie dafür, dass du morgen noch geradeaus schauen kannst.«, kommentierte er trocken und wuschelte mir durch die Haare.
Ich gab mich geschlagen, in meinem momentanen Zustand hätte es sowieso keinen Sinn gemacht, irgendwie zu debattieren. Also betrachtete ich John noch einen Moment lang trotzig, bevor ich es mir dann auf meinem Bett bequem machte und die Augen schloss.