Toastii
Hier eine Geschichte, die ich 2004 geschrieben habe.
Sie diente zur Verarbeitung der damaligen Ereignisse in meinem Leben. Sie sollte mir zeigen, dass es anderen Menschen gesundheitlich schlechter geht als mir.
Jetzt bin ich eigentlich ganz zufrieden, wenn ich bedenke, dass ich damals 16 Jahre alt war.
Tag 1: 10.23 Uhr
Hallo, ich heiße Laura. Ja ich weiß, ein schlechter Anfang und ein doofer Name, aber wer sucht sich sein Leben schon aus?? Ich denke, wenn jemand sein Leben selbst wählen könnte, meins wäre es nicht. Okay, es gibt Leute die sagen sie beneiden mich, aber um was? Ich meine, was hab ich denn? Außer mittellangen braunen Haaren und langweiligen braunen Augen. Sonderlich groß bin ich auch nicht, 169cm.
Das einzige um das man mich vielleicht beneiden könnte wäre mein Freund, aber selbst das ist unwahrscheinlich. Mein Freund ist ein Durchschnittstyp und er kümmert sich auch nicht sehr um mich, wir sind halt zusammen. Das wahrscheinlich auch nur, damit er ne Freundin hat.
Naja, zurück zu mir und warum ich diese Geschichte überhaupt schreibe. Ich habe mich entschlossen mein Leben aufzuschreiben, weil ich krank bin und der Meinung bin, dass sich irgendwann die Nachwelt dafür interessieren könnte. Was ich für ne Krankheit hab? AIDS, momentan nicht heilbar. Bei mir ist es nicht mal HIV, nein es ist schon AIDS.
Raus gestellt hat sich alles, als ich Blutspenden wollte. Alles lief noch normal und dann kam ein Brief: "Leider können wir Ihr Blut nicht zu Bluttransplantationen verwenden, da sie an HIV erkrankt sind." Das war vor 2 1/2 Jahren, damals war ich 16. Inzwischen ist der Virus ausgebrochen und ich liege in einem Krankenhausbett, das so zerlegen ist, dass ich auch auf dem Boden schlafen könnte. Wenn ich Menschen treffe sehn die mich alle an, als wäre ich todkrank. Achja, ich bin ja todkrank. Lange werde ich wahrscheinlich nicht mehr leben, deshalb werde ich aber trotzdem aus meinem kurzen Leben erzählen.
Ich liege hier also in diesem Bett und langweile mich. Meine Mutter wollte kommen, ohne meine kleine Schwester natürlich. Die ist fünf und würde das sicher nicht verstehen, sagt meine Mutter. Ich denke eher, dass meine Schwester nicht mitkommt, weil ich sie ja anhusten und anstecken könnte. So ein quatsch! Aber deshalb kommt Mutter ja so spät, sie könnte sich viel mit mir beschäftigen. Ursprünglich müsste ich jetzt in der Schule sitzen und mich über meine Lehrer beschweren und fürs Abitur büffeln. Stattdessen lieg ich hier wie schon gesagt und lerne nicht. Lohnt sich doch eh nicht. Oh es klopft, ich schreib später weiter!
13.10 Uhr
Da wär ich kleines Depri-Ding wieder. Ihr glaubt nicht wer da war... Mein Freund. Er hat mir Blumen mitgebracht und ist bis eben geblieben. Meine Mutter ist übrigens immer noch nicht aufgetaucht. Von wegen, sie kommt um 11 Uhr. Mein Freund heißt Sebastian, ist ein ganzes Stück größer als ich. Er kann ein lieber Mensch sein, aber meistens zeigt er sich nicht interessiert an anderen Personen. Vielleicht hat er recht. Nur man selbst kann einen nicht verletzen. Der Rest.... Obwohl Sebastian so ist, liebe ich ihn, und dass schon seit 3 Jahren. Also schon vor der HIV- Feststellung. Er hat mich eines Tages gefragt, ob er mich küssen darf, wirklich total niedlich! Aber dass er mich besuchen kommt hätt ich nicht gedacht, jedenfalls nicht so lange. Er hat mir fiel erzählt, was da draußen passiert. Er hat sehr oft von einer Lilli gesprochen, aber mir kann's egal sein. Warum sollte er sich nicht ne Neue suchen, wenn ich doch eh in ein paar Wochen tot bin. Er trennt sich eh nicht von mir, um mich zu schonen. Wahrscheinlich deswegen auch die Blumen. Aber naja, ich spiel mal weiter die kleine Naive und tu so, als wüsst ich das alles nicht.
Er will nach der Schule wieder kommen und will mir was zu essen mitbringen. Diese Krankenhauskost ist echt widerlich. Wenn ich das jetzt noch ewig essen muss, dann passiert wer weiß was. Dabei bin ich erst seit heute hier, aber ich krieg jetzt schon das kotzen, wenn ich nur dran denke.
Tag 2: 12.37 Uhr
Guten Morgen äh... Mittag erstmal. Die Schwester hat mich früh, zu früh aus dem Bett geschmissen, nur damit ich ein wenig Brot esse. Die hat doch 'nen Knall. "Steh auf, du bist nicht in den Ferien hier." Am liebsten hätt ich sie rausgeschmissen. Ging aber schlecht, weil sie gerade an meinem Arm rumgefummelt hat. Als sie endlich wieder weg, zwängte ich die Hälfte eines Brotes mit widerlichem Käse in mich hinein und spülte die andere in der Toilette runter.
Als diese schreckliche Schwester wieder kam, lächelte sie mich an. "Geht doch."
Ich zog eine Augenbraue hoch und griff dann hier nach meinem Tagebuch. Meine Mutter ist übrigens gestern den ganzen Tag nicht aufgetaucht. Nicht mal ne SMS oder so hat sie mir geschrieben. Mal sehn, ob sie heute kommt.
Sebastian ist gestern wirklich nach der Schule gekommen und hatte mir etwas Schokolade und ein Eis mitgebracht. Das war wirklich total süß von ihm. Er meinte, dass er mir eigentlich 'nen Döner kaufen wollte, aber dann war er sich nicht mehr sicher, wie es mit meinem Appetit steh'n würde. Ich war teilweise enttäuscht, doch auch froh darüber, dann ich merkte, dass ich kaum etwas essen wollte. Den ganzen Tag war ich noch nicht draußen gewesen und als dann eine recht nette Schwester hereinkam, fragte ich, ob ich spazieren gehen dürfe. Widerwillig stimmte sie zu, doch wir mussten einen Rollstuhl mit nehmen, falls ich keine Kraft mehr haben sollte.
Also gingen Sebastian und ich nach unten in den Krankenhauspark.
Achso, falls es jemand nicht weiß, ich liege auf der Infektionsstation. Sehr interessant dort, so steril.
Jedenfalls gingen wir runter und ich schlurfte neben ihm her. Sebastian redete ungefähr 10 Minuten lang, dann wurde er plötzlich still und sagte nichts mehr. Ich merkte, wie ich langsam Kraft verlor. Ich griff nach Seby’s Arm und zog ihn schwach in Richtung einer Bank. Gleich stützte er mich und wir setzten uns vorsichtig. Er saß neben und starrte einen kleinen Stein auf dem Weg an. Ich stieß ihn an und murmelte leise: „Was ist los? Willste Schluss machen oder so?“ Er sah mich erschrocken an und ich merkte, wie er zu weinen begann. Ich sah ihn hilflos an, ich hatte ihn noch nie so erlebt. Zögerlich legte ich meinen Arm um ihn und drückte ihn an mich. Ich hatte erwartet, wie sich sein Körper abwehrend verspannte, doch er lehnte sich nur an mich schniefte ihn meinen Bademantel. „Anstatt dir irgendwie beizustehen erzähl ich dir von dieser dummen Lilli. Dabei will ich doch DICH nicht verlieren!“ Ich küsste ihn auf die Stirn und murmelte leise irgendein Zeugs. Ich weiß auch nicht, aber ich war erleichtert, dass er mich nicht verlieren wollte. Lag ihm doch etwas an mir? Ich wollte ihn küssen, doch ich traute mich nicht. Nach einer ganzen Weile hat mich Sebastian in den Rollstuhl gesetzt und wir sind wieder hoch gegangen.
16.22 Uhr
Da bin ich wieder, meine Mutter ist aufgetaucht. Sie hat sich für gestern entschuldigt. Meine kleine Schwester hat eine Erkältung, deswegen musste sich meine Mutter um sie kümmern. Am liebsten hatte ich sie angeschrien, sie hätte ja bescheid sagen können. Aber ich war einfach zu schlapp dafür, lag einfach nur da. Ich dachte an Sebastian. Ja gut, ich liebte ihn, aber warum wurde es plötzlich stärker. Nach 15 Minuten oder so ist meine Mutter auch wieder gegangen. Meine Schwester oder so... Deshalb schreib ich jetzt auch wieder. Achja.... eben kam noch eine Schwester rein und fragte mich, ob alles okay sei. Die war nett, können nicht alle Schwestern so sein? Moment, ich muss mein Kissen aufschütteln.
Okay... soll ich mal etwas sagen? Ich möchte nicht sterben. Warum plötzlich nicht mehr? Wollte ich nicht immer schon sterben seit ich auf dieser Welt bin?
Ich weiß auch nicht wieso, aber ich werde euch da vor diesem Buch mal was aus meiner Vergangenheit erzählen. Als ich fünf oder sechs Jahre alt war, hatte ich einen Autounfall. Ich war nicht in Lebensgefahr oder so, lag nicht mal danach im Krankenhaus, aber ich fragte mich, ob ich sterben würde. Mein Vater meinte später, ich würde sicher erst mit 90 sterben oder so. Ich musste mich verhört haben, denn ich bin jetzt 19.
Ach, ihr fragt euch sicher, warum mein Dad mich eigentlich nie besuchen kommt, nicht wahr? Aber das ist einfach, er hat uns verlassen. Nein, nicht so wie ihr denkt. Meine Eltern sind noch verheiratet, aber mein Vater arbeitet in Australien und wir sehen ihn eigentlich nie.
Aber ich hoffe, dass ich ihn noch einmal sehen darf, noch einmal sein Gesicht berühren, seinen Geruch in die Nase ziehen, bevor ich sterbe.
Ich werde immer schwächer, ich fürchte, ich kann den Stift irgendwann nicht mal mehr halten. Also wenn es mittendrin aufhört, weiß jeder was mit mir geschehen ist.
Das Abendbrot kommt, ich kann nicht mehr schnell schreiben.
Tag 3: 8.54 Uhr
Ein neuer Morgen. Ich hab es gestern nicht mehr geschafft, weiter zu schreiben, war so müde. Aber heute werde ich noch etwas schreiben.
angekündigte Besuche: 0
Wow, ein ganzer langweiliger Tag. Ich glaube heute kommt die Büchertante aus der Bibliothek. Ich werd mir ein Buch ausleihen, aber irgendwas gutes, egal wie kindisch es ist. Ich werde das Wissen eh nicht mehr brauchen. Ist doch wahr! Und vielleicht kommt ja jemand überraschend vorbei. Meine Schwester vielleicht? Ich vermisste sie, ihre nervige kreischende Stimme. Ihr Gequengel, diese kleine Prinzessin. Die mit nichts zufrieden ist, ich will sie noch ein letztes Mal sehn. Sie in den Arm nehmen.
Moment, ich brauch ein Taschentuch. Die scheiß Tränen, ich muss um die Flecken rumschreiben, also nicht wundern, wenn mal größere Lücken sind.
Das Frühstück ist schon vorbei, die unfreundliche Schwester war wieder da. Ich hab echt versucht zu essen, aber es ist alles wieder rausgekommen. Gleich ist Visite, vielleicht soll ich künstlich ernährt werden. Ich möchte das aber nicht. Ich möchte meine Zähne noch benutzen können. Aber verhungern mag ich auch nicht, ah, sie kommen.
9.20 Uhr
Fertig. Wir werden es noch bis heute Abend versuchen, sonst werd ich noch dazu ernährt. Irgendwie find ich es lustig, wenn drei erwachsene Männer ins Zimmer kommen und ihren Mundschutz abnehmen. Im Zimmer neben an, liegt ein Junge in meinen Alter, in dessen Zimmer kommt man nur mit Mundschutz. Er kommt auch raus, aber nur mit Mundschutz. Ich hab ihn mal gesehen, aber nicht getraut ihn anzusprechen. er tat mir so leid, aber wenn ich mich mal so anschaue. Augenringe, leichenblass, hübsch bin ich nicht mehr. Wenn ich es je war.
Es klopft schon wieder, ich frag mich, wer es ist.
15.34 Uhr
Woooooh, das war so cool. Zwei meiner Freundinnen waren da. Ich zwar gemerkt, wie unwohl sie sich fühlten, aber das war schon immer so. Das ist selbstverständlich, wenn man immer aufpassen muss mit dem Blut und so. Wenn ich meine Tage hatte, was natürlich war, durfte ich nicht mit ins Schwimmbad. Es war furchtbar, so viele Dinge haben sie ohne mich gemacht. Ich habe immer gelitten, es ihnen aber nie gesagt. Vielleicht werden all meine Freunde dieses Tagebuch lesen, wenn ich mal nicht mehr da bin. Dann werden sie merken, dass sie zwar meine freunde waren, mich aber wie ein Monster behandelten.
Ich werde mal ein wenig aus meiner Vergangenheit erzählen. Als ich 17 war ungefähr, da kam das mit Sebastian ins Laufen. Wir kannten uns nicht und meine Freundin Steff, die stand auf meinen Seby. Und vor unserem ersten Date, da ging sie zu ihm und erzählte ihm alles, was ich lieber selbst erzählt hätte. Sie stellte mich wirklich als Monster dar, ich wollte ihn nur ins Bett bekommen um noch mehr anzustecken. Damit ich nicht alleine leiden muss.
Es war so schrecklich, er ging mir so lange aus dem Weg. Aber naja, er kam dann doch nochmal.
Es ist egal, jedenfalls waren zwei Freundinnen da. Wir haben viel gelacht, das war mal ganz entspannend. Und wie lang sie da waren, cool. Also sie sind um 12.30 Uhr gegangen, dann gab es Mittag und ich habe noch geschlafen.
Was ich noch nicht angesprochen habe. Ich bin natürlich nicht allein auf dieser Station mit der Krankheit. Meine Bettnachbarin hat das gleiche. Sie ist sehr nett, aber schläft sehr viel. Sie liegt schon lange hier, ich hoffe ich werde nicht aufwachen und sie ist tot. Aber ich habe sowieso gehört, wenn sie merken, dass es zu Ende geht, dass man ein Einzelzimmer bekommt. Hoffen wir, dass meine Nachbarin noch lange neben mir liegen wird!
Ich werde jetzt nochmal etwas schlafen, ich bin sehr müde.
Tag 5: 14.57
Ich schreibe irgendwie immer weniger. Wenn ich mal anfange, dann schriebe ich viel, aber ich komme nicht mehr so oft zum schreiben. Ich schlafe fast nur noch. Auch jetzt könnte ich schlafen, doch Sebastian wollte vorbei kommen. Sonst gibt es bei mir nichts neues, meine Bettnachbarin ist immer noch da. Aber ich glaube, bald ist sie weg. Ihr geht es wirklich nicht gut. Auch ich habe eine Erkältung. Und was Erkältung bei AIDS heißt, wissen ja die meisten. Häufig kommt der Tod, ich habe Angst davor. Ich frage mich in letzter Zeit ständig, wie die Welt wohl ohne mich aussieht. Ob man um mich weinen wird? Ob es Menschen gibt, die eines Tages nicht mehr an mich denken.
Jetzt kommen schon wieder diese dummen Tränen. Ich fang auch ständig an zu heulen, das geht mir auf den Keks. Zum glück sieht mich keiner dabei. In einer Viertelstunde ungefähr wollte Sebastian kommen.
Oh, die Schwester kommt... Gut, kann weiter schreiben, sie macht mir nur den Schlauch ab. Ich werde jetzt noch zum Essen zusätzlich ernährt. Oft muss ich mich wieder übergeben, aber ich versuche es drin zu behalten.
Meine Mutter kommt jetzt täglich, aber meine Schwester hat sie nie dabei. Es ist aber auch schwer, die große Schwester so zu sehen, meine Mutter weiß das. Auch wenn ich ihr das mal übel nahm, kann ich das verstehen.
Jetzt wo ich kränklicher geworden bin, müssen alle Besuche einen Mundschutz tragen. Ich darf auch nicht mehr die Station verlassen. Und das heißt: Ich werde mich wenn ich sterbe nur noch an diese Station erinnern. Ist das nicht schrecklich. An ein steriles weißes Zimmer.
Es klopft... ist nur jemand für meine Nachbarin. Es herrscht bedrückende Stille, ich weiß nicht ob ich mit ihnen reden soll. Man sieht mich an, als wäre ich an dem Zustand schuld. Aber ich bin dran gewöhnt, alle sehen mich so an. selbst meine Mutter.
Gleich müsste Seby kommen, ich hör auf. Ich bin schon wieder so müde. Und meine Finger sind ganz rot vom festhalten des Stiftes. Es tut weh, bald werde ich sicher nicht mehr schreiben können.
Tag 13: 01.12
Ja, ich weiß es ist lange her, dass ich mich gemeldet habe. Es läuft momentan nicht gut, da bin ich ehrlich. Meine Mutter ist jetzt den ganzen Tag da und sitzt an meinem Bett, hält mir die Hand. Ich weiß auch nicht, es rührt mich echt sehr. Diese Frau, die mich seit der Geburt meiner Schwester nicht beachtete, sitzt hier und zeigt mir ihre Liebe.
Wie ich HIV bekam hat sie mich nie gefragt, seltsam. Aber ich weiß es selbst nicht genau. Ich weiß nur noch... Wir waren im Urlaub, in Italien. Das war toll. Die Sonne schien den ganzen Tag, ich war richtig braun. Mein Vater war dabei, wir waren alle sehr fröhlich. Wenn ich mich so erinnere, kommt es mir vor wie ein Traum. Ein schöner Traum!
Aber, entschuldigt, ihr könnt mein Lachen nicht hören. Ich lache, denn mir ist eben erst bewusst geworden, wie früh es ist. Aber ich kann nicht schlafen. Die Schwestern fragen mich, wieso ich Tagebuch schreibe, wenn ich so schwach bin. Ich hab es ihnen erzählt, sie finden es mutig. Ich weiß nicht, wie ich es momentan finden soll. Ich finde es dumm, egoistisch, voller Selbstmitleid. Wer wird dies hier schon lesen wollen, ich bemitleide mich nur selbst.
Aber zurück zum Urlaub, ich schweife ab, es tut mir leid.
Wir hatten also eine Menge Spaß, bis wir einen Autounfall beobachteten. Wir haben erste Hilfe geleistet, überall war Blut. Ich hatte damals einen aufgekratzten Mückenstich, es kam Blut drauf. Man wird sich denken können, was war.
Sebastian kommt jeden Tag, bringt Blumen. Essen mag ich grade nichts mehr, er ist deswegen sehr rücksichtsvoll. Wieso wird mir eigentlich erst jetzt klar, wie viel ich den einzelnen Menschen bedeute. Ich sehe ihre Sorge in ihren Augen, ihre Tränen die an der Schwelle stehen. Und doch sind sie tapfer, denn sie wissen, ich darf den Mut nicht verlieren. Dabei möchte ich nur ihnen beistehen, ihnen sagen, dass das Leben weitergehen wird. Doch ich werde es nicht erleben, also spare ich es mir.
Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie es sein wird. Tot. Unter der Erde zu liegen, aber ja, ich werde tot sein. Einfach nicht mehr leben.
Vorgestern kam meine Mutter mit einem Katalog, ich durfte mir meinen Sarg und meinen Grabstein aussuchen. Ja ich weiß, das klingt verrückt. Aber ich weiß wenigstens, dass ich einen schicken Grabstein haben werde. Und schon wieder weine ich, ich darf nicht an den Tod denken. Wie meinte meine Bettnachbarin?! 'Denke an das Schöne, was du erleben durftest, nicht an das kommende'. Es wird mir helfen, denn sie hat es geschafft. Sie muss nicht mehr über den Tod nachdenken, doch ich weiß, sie hat sich erinnert und das werde ich auch tun.
Meine Hand tut weh, doch ich habe der Welt noch soviel zu sagen. Ich möchte schreien, doch meine Stimme ist zu schwach. Meine Schwester wird heute kommen, ich werd sie nochmal in den arm nehmen dürfen, ein letztes Mal werd ich sie sehen. Und sie mich. Ob sie verstehen wird, was mit mir geschieht. Ich weiß nicht, ob ich das möchte.
19.31
Meine Schwester war da. Sie hat geweint und ich auch. Ich werde mein ganzes Leben lang dieses kleine Mädchen nicht vergessen. Auch über den Tod hinaus nicht. Aber, mein Dad war auch da. Er ist wegen mir gekommen. Ich habe diesen Mann noch nie so erlebt, er wollte nicht gehen. Vielleicht hab ich ihn auch heute zum letzten Mal gesehen. Es ist schlimmer als je zuvor. Ich kann nicht mehr richtig atmen, deswegen habe ich eine Atemmaske auf.
Eben hab ich mal gelesen, was ich am Anfang geschrieben habe. Meine Einträge haben sich verändert, doch auch ich habe mich verändert. Die Angst wird immer größer, doch wie man es mir sagte, erinnere ich mich an das Gute.
Eigentlich waren alle da, ich habe darum gebeten. Sebastian war da, meine Freundinnen waren da und meine ganze Familie. Onkel, Tante und alle anderen auch. Doch meine Schwester und mein Vater waren mir am wichtigsten. Mein Vater hatte mich immer geliebt und meine Schwester war einfach nur unschuldig. Was kann sie für die Ungerechtigkeiten dieser Welt? Nichts, und ich? Ich auch nicht.
Ich muss aufhören, ich zittere zu stark, nur eins noch:
WELT, ICH WERDE DICH VERMISSEN!!
Tag 20: 10.09
Ja, der letzte Beitrag ist nun schon eine ganze Woche her. Ich bin nicht die Besitzerin des Tagebuches, ich bin ihre beste Freundin. Heute war die Beerdigung, vorgestern ist Laura erlöst worden. Es ist furchtbar, ich hab es nie gemerkt wie wichtig die Kleine mir war. Doch jetzt, wo ich ihr nie wieder erzählen kann, wie süß ich den und den finde, heul ich nur noch. Nie wieder werden wir uns streiten können.
Doch wie hatte Laura immer gesagt? 'Das Leben geht weiter, erinnert euch nur!'
Laura hat mich nie in ihrem Bericht erwähnt, da ich es nicht wollte. Doch nun schreibe ich selbst hier rein.
Die Beerdigung war schon. Alle kamen in schwarz, der ganze Jahrgang aus unserer schule und einige andere Freunde. Es war furchtbar, doch alle sagten nette Dinge über sie. Es wird einem nie helfen den Tod zu verarbeiten, doch es bringt uns dem allem ein Stück näher.
Der Sarg war schön, in glänzendem schwarz und der Grabstein, ganz schlicht. Man sieht in an und sieht Laura vor sich, denn das ist ihr Stil. Das einzige, was auf ihrem Grabstein außer ihrem Namen und den Daten steht ist: '... und der Himmel weint mit euch'
Es ist so schön, ich vermisse meine Laura.
Und Laura: Die Welt wird auch dich vermissen!
Sie diente zur Verarbeitung der damaligen Ereignisse in meinem Leben. Sie sollte mir zeigen, dass es anderen Menschen gesundheitlich schlechter geht als mir.
Jetzt bin ich eigentlich ganz zufrieden, wenn ich bedenke, dass ich damals 16 Jahre alt war.

Tag 1: 10.23 Uhr
Hallo, ich heiße Laura. Ja ich weiß, ein schlechter Anfang und ein doofer Name, aber wer sucht sich sein Leben schon aus?? Ich denke, wenn jemand sein Leben selbst wählen könnte, meins wäre es nicht. Okay, es gibt Leute die sagen sie beneiden mich, aber um was? Ich meine, was hab ich denn? Außer mittellangen braunen Haaren und langweiligen braunen Augen. Sonderlich groß bin ich auch nicht, 169cm.
Das einzige um das man mich vielleicht beneiden könnte wäre mein Freund, aber selbst das ist unwahrscheinlich. Mein Freund ist ein Durchschnittstyp und er kümmert sich auch nicht sehr um mich, wir sind halt zusammen. Das wahrscheinlich auch nur, damit er ne Freundin hat.
Naja, zurück zu mir und warum ich diese Geschichte überhaupt schreibe. Ich habe mich entschlossen mein Leben aufzuschreiben, weil ich krank bin und der Meinung bin, dass sich irgendwann die Nachwelt dafür interessieren könnte. Was ich für ne Krankheit hab? AIDS, momentan nicht heilbar. Bei mir ist es nicht mal HIV, nein es ist schon AIDS.
Raus gestellt hat sich alles, als ich Blutspenden wollte. Alles lief noch normal und dann kam ein Brief: "Leider können wir Ihr Blut nicht zu Bluttransplantationen verwenden, da sie an HIV erkrankt sind." Das war vor 2 1/2 Jahren, damals war ich 16. Inzwischen ist der Virus ausgebrochen und ich liege in einem Krankenhausbett, das so zerlegen ist, dass ich auch auf dem Boden schlafen könnte. Wenn ich Menschen treffe sehn die mich alle an, als wäre ich todkrank. Achja, ich bin ja todkrank. Lange werde ich wahrscheinlich nicht mehr leben, deshalb werde ich aber trotzdem aus meinem kurzen Leben erzählen.
Ich liege hier also in diesem Bett und langweile mich. Meine Mutter wollte kommen, ohne meine kleine Schwester natürlich. Die ist fünf und würde das sicher nicht verstehen, sagt meine Mutter. Ich denke eher, dass meine Schwester nicht mitkommt, weil ich sie ja anhusten und anstecken könnte. So ein quatsch! Aber deshalb kommt Mutter ja so spät, sie könnte sich viel mit mir beschäftigen. Ursprünglich müsste ich jetzt in der Schule sitzen und mich über meine Lehrer beschweren und fürs Abitur büffeln. Stattdessen lieg ich hier wie schon gesagt und lerne nicht. Lohnt sich doch eh nicht. Oh es klopft, ich schreib später weiter!
13.10 Uhr
Da wär ich kleines Depri-Ding wieder. Ihr glaubt nicht wer da war... Mein Freund. Er hat mir Blumen mitgebracht und ist bis eben geblieben. Meine Mutter ist übrigens immer noch nicht aufgetaucht. Von wegen, sie kommt um 11 Uhr. Mein Freund heißt Sebastian, ist ein ganzes Stück größer als ich. Er kann ein lieber Mensch sein, aber meistens zeigt er sich nicht interessiert an anderen Personen. Vielleicht hat er recht. Nur man selbst kann einen nicht verletzen. Der Rest.... Obwohl Sebastian so ist, liebe ich ihn, und dass schon seit 3 Jahren. Also schon vor der HIV- Feststellung. Er hat mich eines Tages gefragt, ob er mich küssen darf, wirklich total niedlich! Aber dass er mich besuchen kommt hätt ich nicht gedacht, jedenfalls nicht so lange. Er hat mir fiel erzählt, was da draußen passiert. Er hat sehr oft von einer Lilli gesprochen, aber mir kann's egal sein. Warum sollte er sich nicht ne Neue suchen, wenn ich doch eh in ein paar Wochen tot bin. Er trennt sich eh nicht von mir, um mich zu schonen. Wahrscheinlich deswegen auch die Blumen. Aber naja, ich spiel mal weiter die kleine Naive und tu so, als wüsst ich das alles nicht.
Er will nach der Schule wieder kommen und will mir was zu essen mitbringen. Diese Krankenhauskost ist echt widerlich. Wenn ich das jetzt noch ewig essen muss, dann passiert wer weiß was. Dabei bin ich erst seit heute hier, aber ich krieg jetzt schon das kotzen, wenn ich nur dran denke.
Tag 2: 12.37 Uhr
Guten Morgen äh... Mittag erstmal. Die Schwester hat mich früh, zu früh aus dem Bett geschmissen, nur damit ich ein wenig Brot esse. Die hat doch 'nen Knall. "Steh auf, du bist nicht in den Ferien hier." Am liebsten hätt ich sie rausgeschmissen. Ging aber schlecht, weil sie gerade an meinem Arm rumgefummelt hat. Als sie endlich wieder weg, zwängte ich die Hälfte eines Brotes mit widerlichem Käse in mich hinein und spülte die andere in der Toilette runter.
Als diese schreckliche Schwester wieder kam, lächelte sie mich an. "Geht doch."
Ich zog eine Augenbraue hoch und griff dann hier nach meinem Tagebuch. Meine Mutter ist übrigens gestern den ganzen Tag nicht aufgetaucht. Nicht mal ne SMS oder so hat sie mir geschrieben. Mal sehn, ob sie heute kommt.
Sebastian ist gestern wirklich nach der Schule gekommen und hatte mir etwas Schokolade und ein Eis mitgebracht. Das war wirklich total süß von ihm. Er meinte, dass er mir eigentlich 'nen Döner kaufen wollte, aber dann war er sich nicht mehr sicher, wie es mit meinem Appetit steh'n würde. Ich war teilweise enttäuscht, doch auch froh darüber, dann ich merkte, dass ich kaum etwas essen wollte. Den ganzen Tag war ich noch nicht draußen gewesen und als dann eine recht nette Schwester hereinkam, fragte ich, ob ich spazieren gehen dürfe. Widerwillig stimmte sie zu, doch wir mussten einen Rollstuhl mit nehmen, falls ich keine Kraft mehr haben sollte.
Also gingen Sebastian und ich nach unten in den Krankenhauspark.
Achso, falls es jemand nicht weiß, ich liege auf der Infektionsstation. Sehr interessant dort, so steril.
Jedenfalls gingen wir runter und ich schlurfte neben ihm her. Sebastian redete ungefähr 10 Minuten lang, dann wurde er plötzlich still und sagte nichts mehr. Ich merkte, wie ich langsam Kraft verlor. Ich griff nach Seby’s Arm und zog ihn schwach in Richtung einer Bank. Gleich stützte er mich und wir setzten uns vorsichtig. Er saß neben und starrte einen kleinen Stein auf dem Weg an. Ich stieß ihn an und murmelte leise: „Was ist los? Willste Schluss machen oder so?“ Er sah mich erschrocken an und ich merkte, wie er zu weinen begann. Ich sah ihn hilflos an, ich hatte ihn noch nie so erlebt. Zögerlich legte ich meinen Arm um ihn und drückte ihn an mich. Ich hatte erwartet, wie sich sein Körper abwehrend verspannte, doch er lehnte sich nur an mich schniefte ihn meinen Bademantel. „Anstatt dir irgendwie beizustehen erzähl ich dir von dieser dummen Lilli. Dabei will ich doch DICH nicht verlieren!“ Ich küsste ihn auf die Stirn und murmelte leise irgendein Zeugs. Ich weiß auch nicht, aber ich war erleichtert, dass er mich nicht verlieren wollte. Lag ihm doch etwas an mir? Ich wollte ihn küssen, doch ich traute mich nicht. Nach einer ganzen Weile hat mich Sebastian in den Rollstuhl gesetzt und wir sind wieder hoch gegangen.
16.22 Uhr
Da bin ich wieder, meine Mutter ist aufgetaucht. Sie hat sich für gestern entschuldigt. Meine kleine Schwester hat eine Erkältung, deswegen musste sich meine Mutter um sie kümmern. Am liebsten hatte ich sie angeschrien, sie hätte ja bescheid sagen können. Aber ich war einfach zu schlapp dafür, lag einfach nur da. Ich dachte an Sebastian. Ja gut, ich liebte ihn, aber warum wurde es plötzlich stärker. Nach 15 Minuten oder so ist meine Mutter auch wieder gegangen. Meine Schwester oder so... Deshalb schreib ich jetzt auch wieder. Achja.... eben kam noch eine Schwester rein und fragte mich, ob alles okay sei. Die war nett, können nicht alle Schwestern so sein? Moment, ich muss mein Kissen aufschütteln.
Okay... soll ich mal etwas sagen? Ich möchte nicht sterben. Warum plötzlich nicht mehr? Wollte ich nicht immer schon sterben seit ich auf dieser Welt bin?
Ich weiß auch nicht wieso, aber ich werde euch da vor diesem Buch mal was aus meiner Vergangenheit erzählen. Als ich fünf oder sechs Jahre alt war, hatte ich einen Autounfall. Ich war nicht in Lebensgefahr oder so, lag nicht mal danach im Krankenhaus, aber ich fragte mich, ob ich sterben würde. Mein Vater meinte später, ich würde sicher erst mit 90 sterben oder so. Ich musste mich verhört haben, denn ich bin jetzt 19.
Ach, ihr fragt euch sicher, warum mein Dad mich eigentlich nie besuchen kommt, nicht wahr? Aber das ist einfach, er hat uns verlassen. Nein, nicht so wie ihr denkt. Meine Eltern sind noch verheiratet, aber mein Vater arbeitet in Australien und wir sehen ihn eigentlich nie.
Aber ich hoffe, dass ich ihn noch einmal sehen darf, noch einmal sein Gesicht berühren, seinen Geruch in die Nase ziehen, bevor ich sterbe.
Ich werde immer schwächer, ich fürchte, ich kann den Stift irgendwann nicht mal mehr halten. Also wenn es mittendrin aufhört, weiß jeder was mit mir geschehen ist.
Das Abendbrot kommt, ich kann nicht mehr schnell schreiben.
Tag 3: 8.54 Uhr
Ein neuer Morgen. Ich hab es gestern nicht mehr geschafft, weiter zu schreiben, war so müde. Aber heute werde ich noch etwas schreiben.
angekündigte Besuche: 0
Wow, ein ganzer langweiliger Tag. Ich glaube heute kommt die Büchertante aus der Bibliothek. Ich werd mir ein Buch ausleihen, aber irgendwas gutes, egal wie kindisch es ist. Ich werde das Wissen eh nicht mehr brauchen. Ist doch wahr! Und vielleicht kommt ja jemand überraschend vorbei. Meine Schwester vielleicht? Ich vermisste sie, ihre nervige kreischende Stimme. Ihr Gequengel, diese kleine Prinzessin. Die mit nichts zufrieden ist, ich will sie noch ein letztes Mal sehn. Sie in den Arm nehmen.
Moment, ich brauch ein Taschentuch. Die scheiß Tränen, ich muss um die Flecken rumschreiben, also nicht wundern, wenn mal größere Lücken sind.
Das Frühstück ist schon vorbei, die unfreundliche Schwester war wieder da. Ich hab echt versucht zu essen, aber es ist alles wieder rausgekommen. Gleich ist Visite, vielleicht soll ich künstlich ernährt werden. Ich möchte das aber nicht. Ich möchte meine Zähne noch benutzen können. Aber verhungern mag ich auch nicht, ah, sie kommen.
9.20 Uhr
Fertig. Wir werden es noch bis heute Abend versuchen, sonst werd ich noch dazu ernährt. Irgendwie find ich es lustig, wenn drei erwachsene Männer ins Zimmer kommen und ihren Mundschutz abnehmen. Im Zimmer neben an, liegt ein Junge in meinen Alter, in dessen Zimmer kommt man nur mit Mundschutz. Er kommt auch raus, aber nur mit Mundschutz. Ich hab ihn mal gesehen, aber nicht getraut ihn anzusprechen. er tat mir so leid, aber wenn ich mich mal so anschaue. Augenringe, leichenblass, hübsch bin ich nicht mehr. Wenn ich es je war.
Es klopft schon wieder, ich frag mich, wer es ist.
15.34 Uhr
Woooooh, das war so cool. Zwei meiner Freundinnen waren da. Ich zwar gemerkt, wie unwohl sie sich fühlten, aber das war schon immer so. Das ist selbstverständlich, wenn man immer aufpassen muss mit dem Blut und so. Wenn ich meine Tage hatte, was natürlich war, durfte ich nicht mit ins Schwimmbad. Es war furchtbar, so viele Dinge haben sie ohne mich gemacht. Ich habe immer gelitten, es ihnen aber nie gesagt. Vielleicht werden all meine Freunde dieses Tagebuch lesen, wenn ich mal nicht mehr da bin. Dann werden sie merken, dass sie zwar meine freunde waren, mich aber wie ein Monster behandelten.
Ich werde mal ein wenig aus meiner Vergangenheit erzählen. Als ich 17 war ungefähr, da kam das mit Sebastian ins Laufen. Wir kannten uns nicht und meine Freundin Steff, die stand auf meinen Seby. Und vor unserem ersten Date, da ging sie zu ihm und erzählte ihm alles, was ich lieber selbst erzählt hätte. Sie stellte mich wirklich als Monster dar, ich wollte ihn nur ins Bett bekommen um noch mehr anzustecken. Damit ich nicht alleine leiden muss.
Es war so schrecklich, er ging mir so lange aus dem Weg. Aber naja, er kam dann doch nochmal.
Es ist egal, jedenfalls waren zwei Freundinnen da. Wir haben viel gelacht, das war mal ganz entspannend. Und wie lang sie da waren, cool. Also sie sind um 12.30 Uhr gegangen, dann gab es Mittag und ich habe noch geschlafen.
Was ich noch nicht angesprochen habe. Ich bin natürlich nicht allein auf dieser Station mit der Krankheit. Meine Bettnachbarin hat das gleiche. Sie ist sehr nett, aber schläft sehr viel. Sie liegt schon lange hier, ich hoffe ich werde nicht aufwachen und sie ist tot. Aber ich habe sowieso gehört, wenn sie merken, dass es zu Ende geht, dass man ein Einzelzimmer bekommt. Hoffen wir, dass meine Nachbarin noch lange neben mir liegen wird!
Ich werde jetzt nochmal etwas schlafen, ich bin sehr müde.
Tag 5: 14.57
Ich schreibe irgendwie immer weniger. Wenn ich mal anfange, dann schriebe ich viel, aber ich komme nicht mehr so oft zum schreiben. Ich schlafe fast nur noch. Auch jetzt könnte ich schlafen, doch Sebastian wollte vorbei kommen. Sonst gibt es bei mir nichts neues, meine Bettnachbarin ist immer noch da. Aber ich glaube, bald ist sie weg. Ihr geht es wirklich nicht gut. Auch ich habe eine Erkältung. Und was Erkältung bei AIDS heißt, wissen ja die meisten. Häufig kommt der Tod, ich habe Angst davor. Ich frage mich in letzter Zeit ständig, wie die Welt wohl ohne mich aussieht. Ob man um mich weinen wird? Ob es Menschen gibt, die eines Tages nicht mehr an mich denken.
Jetzt kommen schon wieder diese dummen Tränen. Ich fang auch ständig an zu heulen, das geht mir auf den Keks. Zum glück sieht mich keiner dabei. In einer Viertelstunde ungefähr wollte Sebastian kommen.
Oh, die Schwester kommt... Gut, kann weiter schreiben, sie macht mir nur den Schlauch ab. Ich werde jetzt noch zum Essen zusätzlich ernährt. Oft muss ich mich wieder übergeben, aber ich versuche es drin zu behalten.
Meine Mutter kommt jetzt täglich, aber meine Schwester hat sie nie dabei. Es ist aber auch schwer, die große Schwester so zu sehen, meine Mutter weiß das. Auch wenn ich ihr das mal übel nahm, kann ich das verstehen.
Jetzt wo ich kränklicher geworden bin, müssen alle Besuche einen Mundschutz tragen. Ich darf auch nicht mehr die Station verlassen. Und das heißt: Ich werde mich wenn ich sterbe nur noch an diese Station erinnern. Ist das nicht schrecklich. An ein steriles weißes Zimmer.
Es klopft... ist nur jemand für meine Nachbarin. Es herrscht bedrückende Stille, ich weiß nicht ob ich mit ihnen reden soll. Man sieht mich an, als wäre ich an dem Zustand schuld. Aber ich bin dran gewöhnt, alle sehen mich so an. selbst meine Mutter.
Gleich müsste Seby kommen, ich hör auf. Ich bin schon wieder so müde. Und meine Finger sind ganz rot vom festhalten des Stiftes. Es tut weh, bald werde ich sicher nicht mehr schreiben können.
Tag 13: 01.12
Ja, ich weiß es ist lange her, dass ich mich gemeldet habe. Es läuft momentan nicht gut, da bin ich ehrlich. Meine Mutter ist jetzt den ganzen Tag da und sitzt an meinem Bett, hält mir die Hand. Ich weiß auch nicht, es rührt mich echt sehr. Diese Frau, die mich seit der Geburt meiner Schwester nicht beachtete, sitzt hier und zeigt mir ihre Liebe.
Wie ich HIV bekam hat sie mich nie gefragt, seltsam. Aber ich weiß es selbst nicht genau. Ich weiß nur noch... Wir waren im Urlaub, in Italien. Das war toll. Die Sonne schien den ganzen Tag, ich war richtig braun. Mein Vater war dabei, wir waren alle sehr fröhlich. Wenn ich mich so erinnere, kommt es mir vor wie ein Traum. Ein schöner Traum!
Aber, entschuldigt, ihr könnt mein Lachen nicht hören. Ich lache, denn mir ist eben erst bewusst geworden, wie früh es ist. Aber ich kann nicht schlafen. Die Schwestern fragen mich, wieso ich Tagebuch schreibe, wenn ich so schwach bin. Ich hab es ihnen erzählt, sie finden es mutig. Ich weiß nicht, wie ich es momentan finden soll. Ich finde es dumm, egoistisch, voller Selbstmitleid. Wer wird dies hier schon lesen wollen, ich bemitleide mich nur selbst.
Aber zurück zum Urlaub, ich schweife ab, es tut mir leid.
Wir hatten also eine Menge Spaß, bis wir einen Autounfall beobachteten. Wir haben erste Hilfe geleistet, überall war Blut. Ich hatte damals einen aufgekratzten Mückenstich, es kam Blut drauf. Man wird sich denken können, was war.
Sebastian kommt jeden Tag, bringt Blumen. Essen mag ich grade nichts mehr, er ist deswegen sehr rücksichtsvoll. Wieso wird mir eigentlich erst jetzt klar, wie viel ich den einzelnen Menschen bedeute. Ich sehe ihre Sorge in ihren Augen, ihre Tränen die an der Schwelle stehen. Und doch sind sie tapfer, denn sie wissen, ich darf den Mut nicht verlieren. Dabei möchte ich nur ihnen beistehen, ihnen sagen, dass das Leben weitergehen wird. Doch ich werde es nicht erleben, also spare ich es mir.
Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie es sein wird. Tot. Unter der Erde zu liegen, aber ja, ich werde tot sein. Einfach nicht mehr leben.
Vorgestern kam meine Mutter mit einem Katalog, ich durfte mir meinen Sarg und meinen Grabstein aussuchen. Ja ich weiß, das klingt verrückt. Aber ich weiß wenigstens, dass ich einen schicken Grabstein haben werde. Und schon wieder weine ich, ich darf nicht an den Tod denken. Wie meinte meine Bettnachbarin?! 'Denke an das Schöne, was du erleben durftest, nicht an das kommende'. Es wird mir helfen, denn sie hat es geschafft. Sie muss nicht mehr über den Tod nachdenken, doch ich weiß, sie hat sich erinnert und das werde ich auch tun.
Meine Hand tut weh, doch ich habe der Welt noch soviel zu sagen. Ich möchte schreien, doch meine Stimme ist zu schwach. Meine Schwester wird heute kommen, ich werd sie nochmal in den arm nehmen dürfen, ein letztes Mal werd ich sie sehen. Und sie mich. Ob sie verstehen wird, was mit mir geschieht. Ich weiß nicht, ob ich das möchte.
19.31
Meine Schwester war da. Sie hat geweint und ich auch. Ich werde mein ganzes Leben lang dieses kleine Mädchen nicht vergessen. Auch über den Tod hinaus nicht. Aber, mein Dad war auch da. Er ist wegen mir gekommen. Ich habe diesen Mann noch nie so erlebt, er wollte nicht gehen. Vielleicht hab ich ihn auch heute zum letzten Mal gesehen. Es ist schlimmer als je zuvor. Ich kann nicht mehr richtig atmen, deswegen habe ich eine Atemmaske auf.
Eben hab ich mal gelesen, was ich am Anfang geschrieben habe. Meine Einträge haben sich verändert, doch auch ich habe mich verändert. Die Angst wird immer größer, doch wie man es mir sagte, erinnere ich mich an das Gute.
Eigentlich waren alle da, ich habe darum gebeten. Sebastian war da, meine Freundinnen waren da und meine ganze Familie. Onkel, Tante und alle anderen auch. Doch meine Schwester und mein Vater waren mir am wichtigsten. Mein Vater hatte mich immer geliebt und meine Schwester war einfach nur unschuldig. Was kann sie für die Ungerechtigkeiten dieser Welt? Nichts, und ich? Ich auch nicht.
Ich muss aufhören, ich zittere zu stark, nur eins noch:
WELT, ICH WERDE DICH VERMISSEN!!
Tag 20: 10.09
Ja, der letzte Beitrag ist nun schon eine ganze Woche her. Ich bin nicht die Besitzerin des Tagebuches, ich bin ihre beste Freundin. Heute war die Beerdigung, vorgestern ist Laura erlöst worden. Es ist furchtbar, ich hab es nie gemerkt wie wichtig die Kleine mir war. Doch jetzt, wo ich ihr nie wieder erzählen kann, wie süß ich den und den finde, heul ich nur noch. Nie wieder werden wir uns streiten können.
Doch wie hatte Laura immer gesagt? 'Das Leben geht weiter, erinnert euch nur!'
Laura hat mich nie in ihrem Bericht erwähnt, da ich es nicht wollte. Doch nun schreibe ich selbst hier rein.
Die Beerdigung war schon. Alle kamen in schwarz, der ganze Jahrgang aus unserer schule und einige andere Freunde. Es war furchtbar, doch alle sagten nette Dinge über sie. Es wird einem nie helfen den Tod zu verarbeiten, doch es bringt uns dem allem ein Stück näher.
Der Sarg war schön, in glänzendem schwarz und der Grabstein, ganz schlicht. Man sieht in an und sieht Laura vor sich, denn das ist ihr Stil. Das einzige, was auf ihrem Grabstein außer ihrem Namen und den Daten steht ist: '... und der Himmel weint mit euch'
Es ist so schön, ich vermisse meine Laura.
Und Laura: Die Welt wird auch dich vermissen!