danke ihr zwei

ist immer schön, zu sehen, dass jemand geantwortet hat ^^
so, jetzt gibt es endlich mal wieder eine längere Szene - sprich das ist nicht der einzige Part
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Tatsächlich habe ich es noch pünktlich zum Unterricht geschafft und war diesmal sogar erleichert, ein bekanntes Gesicht zu finden - nicht so wie davor. Ich will gar nicht an Kevin denken. Mit dem Jungen, neben dem ich einen Platz bekommen habe, war ich damals schon befreundet, sodass ich mich sogar an ihn erinnern kann. Abgesehen davon hat das Ding in meinem Kopf mir ein paar hilfreiche Tipps gegeben, was denn so das vergangene Jahr passiert ist.
Sag mal, wie soll ich dich eigentlich nennen?, frage ich ihn. Irgendwie ist es komisch, ihn immer als Ding oder Wesen zu bezeichnen. Schließlich ist er nichts anderes als ich; ein Bewusstsein - wenn er jetzt noch einen eigenen Körper hätte, würde ich keinen Unterschied zwischen uns finden.
'Du hast auch keinen eigenen Körper', murrt er unzufrieden, woraufhin ich ratlos mit den Schultern zucke. Eigentlich dachte ich es immer, aber wo er Recht hat, hat er wohl Recht.
Also?
'Also was?'
Na, wie soll ich dich denn nennen? Du hast doch bestimmt einen Namen.
'Julian', seufzt er.
Was denn? Ist es so schlimm, dass ich das Frage?
'Nein. Julian, das ist mein Name. Ich heiße genauso wie du. Von daher wirst du dir wohl etwas einfallen lassen müssen, wenn du mich nicht mit
unserem Namen ansprechen möchtest.'
Oh. Wie bedeppert gucke ich durch die Gegend, als ich auf den Schulhof trete. Macht Sinn; darauf hätte ich auch allein kommen können. Dennoch stehe ich nun weiterhin vor dem Problem, dass ich keine Ahnung habe, wie ich ihn nennen soll. Es wäre etwas anderes, ihn mit meinem Namen anzusprechen, wenn er nicht in mir drin wäre, doch wenn ich ihn so nenne wirkt es bloß, als wären wir tatsächlich eins. Und das sind wir nicht.
'Theoretisch gesehen schon. Prakitisch gesehen-'
Ich bin nicht du. Das ist ein Fakt.
Schnaufend drehe ich mich ab und marschiere auf die Bänke seitlich der Tischtennisplatten zu, an denen ich normalerweise die Pausen verbringe. Normalerweise im Sinne von vor einem Jahr, doch aus meiner Sicht her ist es noch immer eine Gewohnheit, auch wenn ich wette, dass er das geändert hat.
'Nein, habe ich nicht.'
Wie angewurzelt bleibe ich stehen. Damals habe ich hier immer mit Ginny und der Truppe gegessen - wenn er daran nicht geändert hat, werden sie sich mit Sicherheit wieder dort hinsetzen. Mein Hals ist auf einmal so trocken, weshalb ich erfolglos versuche, zu schlucken. Es ist, als wäre mein Körper erstarrt; bloß mein Herzschlag dröhnt in meinem leergefegten Schädel.
'Ganz ruhig. Ginny wird hier bestimmt nicht auftauchen - und mit den anderen werde ich dir helfen, also keine Panik. Verhalte dich einfach ganz normal.'
Haha, das ist einfach gesagt, als getan. Der Humor, der meine Mundwinkel zucken lässt, entspringt purer Verzweiflung. Ich weiß nicht genau, warum ich solchen Schiss habe, aber das Gefühl ist absolut beklemmend. Ein brennender Schmerz an meiner Wange reißt mich aus den Gedanken. Erschrocken reiße ich die Augen auf und blicke um mich; mich hat jemand, aber hier ist niemand. Zumindest nicht nahe genug, um mich erwischt zu haben.
'Oh Gott, du solltest wirklich lernen, dich gegen etwas gegen mich immunisieren', grinst er kopfschüttelnd, während er ermutigend eine Hand auf meine Schulter legt: 'Aber wenigstens hat es funktioniert und du stehst nicht mehr wie eine Salzsäule in der Gegend herum.'
"Na danke, das hättest du auch weniger brutal hingekriegt", murre ich leicht eingeschnappt, bevor ich langsam einen Fuß vor den andern setze. Inzwischen sitzt eine Dreiertruppe auf einer unserer Bänke, von der ich allerdings niemanden kenne.
'Mit denen reden wir meistens nicht. Ich kann dir nicht einmal hundertprozentig sagen, wie sie heißen', klärt er mich auf, woraufhin ich kurz nicke.
'Das solltest du dir abgewöhnen. Stell dir mal vor, die sitzt jemand gegenüber, der ständig zu sich selbst nickt oder sowas. Das wirkt nicht nur ziemlich merkwürdig, das ist es sogar. Da denkt ja jeder, du würdest mit dir selbst reden.'
Er grinst; ich rolle mit den Augen. Weil ich das ja auch nicht tue.
'Doch, tust du. Hast du das noch nicht mitbekommen?', lacht er, woraufhin ich ihm gedanklich einen tödlichen Blick schenke, während ich mich auf eine Bank fallen lasse.
'Siehst du, schon besser. Außer mir hat das niemand mitbekommen. Übrigens kommt dort Nick.'
Mein Herz macht einen Sprung, als ich aufsehe und bemerke, dass mein alter Freund aus Kindheitstagen noch immer so aussieht, wie ich ihn in Erinnerung habe.
"Hey, Nick!", rufe ich fröhlich und hebe die Hand zur Begrüßung. Er nickt mir grinsend zu, während er geradewegs auf mich zukommt.
"Na, wie ist es, endlich neunzehn Jahre alt zu sein?", lacht er und lässt sich neben mir auf die Bank fallen. So nah erkenne ich, dass er sich doch ein Stück verändert hat; seine Gesichtszüge sind wesentlich markanter geworden und in dem kurzen, braunen Haar entdecke ich ein paar blonde Strähnen. Abgesehen davon hat er ein Zahnpastalächeln. Waren seine Zähne damals schon so perfekt?
"Nicht anders, als mit achtzehn", erwider ich mit einem schiefen Lächeln, da ich mir nicht sicher bin, ob ich mich überhaupt wie neunzehn fühle.
"Naja, so ist das meistens, wenn man älter wird. Alle machen ein großes Trara und dann passiert doch nichts besonderes", meint er schulterzuckend. In diesem Punkt hätte ich ihm am liebsten widersprochen, verkneife es mir allerdings. Bei mir hat sich zu meinem Geburtstag so einiges verändert - und diese Veränderung war mehr als pünktlich.
"Sag mal, wo warst du eigentlich im Unterricht?"
"Huh?", mache ich verdutzt. Oh Gott, ach ja. Ich brauche eine Ausrede. Hilfesuchend wende ich mich an das Din-, den anderen Julian in mir.
'Guck mich nicht so an, da kann ich dir auch nicht helfen. Er ist dein bester Freund, sag ihm einfach die Wahrheit.'
Das kann ich nicht. Ich habe keine Ahnung, wie er darauf reagieren würde. Ich meine, er hält mich dann bestimmt für gestört oder so. Oh Gott, ich schiebe schon wieder Panik - und zwinge mich, tief durchzuatmen; so unauffällig wie möglich, versteht sich.
"Nun ja, du warst nicht im Unterricht. Dabei habe ich mich schon so darauf gefreut, meinem Lieblingskumpel alles Gute zu wünschen", lacht er und legt mir eine Hand auf die Schulter, drückt freundschaftlich zu. Mich beschleicht ein erdrückend schlechtes Gewissen, dass ich ihm nicht vertraue. Obwohl ich ihn so sehe, kann ich die Angst nicht abschütteln, wie er auf die Wahrheit reagieren könnte.
"Ich habe mich eine Stufe zurückversetzen lassen", erkläre ich, auch wenn ich weiß, dass er sich damit mit Sicherheit noch nicht zufrieden geben wird. Der auffordernde Blick und die hochgezogenen Brauen bestätigen mich in dieser Annahme, weshalb ich seufzend den Kopf schüttel. Vorsichtig zieht er seine Hand zurück und beobachtet mich einen Moment, ehe er sich zurücklehnt, um in den Himmel zu sehen.
"Lass mich raten; es hat etwas mit Ginny zu tun", entgegnet er nach einer Weile, woraufhin ich merklich zusammenzucke. Ein Glück sieht er mich nicht an, wobei das Nichtvorhandensein einer Antwort meinerseits ihm wohl genug erzählt.
"Ich kenne Kevins Version, jetzt möchte ich deine hören", verlangt er, bevor er mich ernst ansieht. Dieser Blick scheint mich gefangen zu nehmen und bereits zum zweiten Mal an diesem Tag wünsche ich mir ein Loch im Boden, um darin zu verschwinden. Ich kann sehen, wie er darauf hofft, zu hören, dass alles nur ein Missverständnis gewesen ist. Nun gut, zu einem gewissen Teil ist es das ja auch.
'Aber es ist passiert.'
"Das ist aber nicht meine Schuld", erwider ich giftig.
"Wessen Schuld soll es dann sein?", hakt Nick sofort nach, woraufhin ich erschrocken zu ihm sehe. Das habe ich offensichtlich laut gesagt.
"Ich, weißt du, das", beginne ich, obwohl ich keine Ahnung habe, was genau ich sagen soll, "Die Sache ist, dass es, ich meine, um ehrlich zu sein- Argh!"
Stöhnen vergrabe ich das Gesicht in den Händen, während ich versuche, meine Gedanken zu ordnen, um einen vernünftigen Satz herauszubringen.
"Um ehrlich zu sein, was? Julian, du hast dich in letzter Zeit seltsam benommen. Was ist los?"
"Um ehrlich zu sein, habe ich mich seit genau einem Jahr seltsam benommen", erwider ich leise und werfe durch eine Lücke zwischen meinen Fingern einen Blick auf ihn. Er sieht nachdenklich drein, ehe er zögerlich nickt.
"Kann schon sein."
"Das kann nicht nur so sein, dass ist auch so", mache ich es deutlicher, bevor ich eine Pause eingehe. Warum fällt es so schwer, ihm das zu erzählen? Er wird mich schon nicht hassen oder sowas - aber das ist wahrscheinlich wie mit jemanden, der eine Krankheit hat. Zum Beispiel AIDS oder auch nur HIV, das ist ja momentan ein großes Thema. Man weiß, dass man sich nicht anstecken wird, aber irgendwie wäre es wahrscheinlich trotzdem seltsam, einer infizierten Person gegenüber zu stehen. Natürlich würde man sie nicht verurteilen, weil sie es hat, aber es trotz all des Wissen wäre es ein seltsames Gefühl. Da arbeitet das Herz nunmal gegen den Kopf.
"Julian, erzähl mir, was los ist. Wir waren doch immer Freunde."
"Richtig. Aber das heißt nicht, dass ich dir immer alles erzählt habe", seufze ich, ehe ich mir auf die Unterlippe beiße. Ein Band legt sich um meine Kehle und schnürt zu. Ich hole tief Luft; hoffentlich zittert meine Stimme gleich nicht.
"Was soll das heißen?"
"Das soll heißen", bringe ich hervor, muss kurz schlucken, "dass es etwas gab, über das ich selbst mit dir nicht geredet habe. Schon seit ich ein kleines Kind bin, vergesse ich des öfteren mal Sachen. Nicht sowas vonwegen: Ich habe meinen Schlüssel vergessen. Ich vergesse ganze Zeitabschnitte - und das letzte, was ich vergessen habe, ist das gesamte Jahr zwischen meinem achtzehnten und meinem neunzehnten Geburtstag."
Es ist raus. Als hätte jemanden den Korken gezogen sprudelt es hervor, sodass ich ihn nicht einmal zu Wort kommen lasse, bevor ich weiterrede. Ich hole bloß einmal kurz Luft und richte mich auf, um ihn ansehen zu können. Er scheint mehr als überrascht zu sein.
"Meine Eltern haben gesagt, ich hätte eine multiple Persönlichkeit. Irgendwie soetwas - weißt du, was das ist? Ich bin nicht allein in meinem Kopf. Jedes Mal, wenn ich etwas vergessen habe, ist dieses Person zum Vorschein gekommen. Inzwischen verschwindet sie allerdings nicht einmal mehr; ich kann mich sogar mit ihr unterhalten."
Seine Kinnlade klappt nach unten, während er mich forschend beobachtet. Kurz bewegen sich seine Mundwinkel nach oben, ehe er bemerkt, dass das gerade kein Witz sein soll.
"Oh Gott, das ist dein Ernst, oder?", kommt es fassunglos.
"Ja, Nick. Es ist mein Ernst - und glaub mir, ich finde es alles andere als toll. Darüber würde ich nicht einmal Witze machen."
'Na, danke.'
Tut mir leid, aber ich hätte meinen Körper nunmal lieber für mich allein.
'Jaja, schon klar.'
"Okay, also bist du gar nicht schwul?"
Warum ausgerechnet diese Frage? Ganz ehrlich, fällt ihm in einem solchen Moment nichts Besseres ein?