@roxyfan: ich warte immer noch darauf, was du nicht verstehst xD
neuer Teil, beginnen wir mit Kapitel 4
-
Kapitel 4
Müde tapse ich ins Wohnzimmer, wo meine Familie bereits am Frühstückstisch versammelt ist. Bei meinem Anblick klappt meinem Bruder die Kinnlade herunter, woraufhin Mama ihm nicht gerade unauffällig den Ellenbogen in die Seite rammt. Seine Zähne stoßen mit einem lauten Knacken wieder aufeinander, noch bevor ich mich zu ihnen gesetzt habe. Das Essen verläuft für unsere Verhältnisse schweigsam. Mal wird nach der Butter gefragt, ein anderes Mal will jemand die Wurst haben - bis mein Vater sich irgendwann so auffällig räuspert, das alle Blicke sofort auf ihn liegen.
"Julian, ich denke, wir sollten reden", sagt er in einem unheilvollen Ton. Was er zu sagen hat, kann nichts Gutes bedeuten. Dabei habe ich keine Lust mehr auf schlechte Nachrichten. Seitdem mein Gedächtnis wieder einsetzt, hat so ziemlich alles auf einer einzigen, großen 'schlechten Nachricht' bestand. Ein riesiger Witz, über den ich leider nicht lachen kann.
"Schatz, meinst du wirklich?", seufzt meine Mutter, woraufhin Dad bestimmt nickt. Klasse. Nun fixieren alle plötzlich mich statt ihm.
"Junge, ich glaube, es gibt etwas, das du uns zu sagen hast."
"Ach ja?", erwider ich mit hochgezogenen Brauen, ehe ich schnell hinzufüge: "Nicht, dass ich wüsste. Wenn ihr etwas von mir wollt, sagt es gleich. Ansonsten bin ich fertig mit Essen und würde gern-"
"Julian, bleib hier!", ermahnt mich meine Mutter streng, woraufhin ich in der Bewegung innehalte und mich doch umentscheide, nun nicht aufzustehen, um in mein Zimmer zu flüchten.
"Wir wissen, dass du diesmal ein Jahr vergessen hast", erklärt Mama mit sanfter Stimme - und bringt mich dazu, sie verblüfft anzustarren.
"Ihr was?"
"Wir wissen es. Es war nicht zu übersehen; die Art, wie du dich plötzlich anders verhalten hast. Das war einfach zu eindeutig."
"Eindeutig? Es ist ja nicht so, als sei ich plötzlich ein anderer Mensch geworden", erwider ich mit einem trockenen Lachen, wobei der unsichere Ton in meiner Stimme nicht zu überhören ist. Etwas verängstigt sehe ich in die Gesichter meiner Familie; meine Mutter und Jimmy sehen sofort weg, weshalb ich verzweifelt an Dad hängenbleibe.
"Nicht wahr?"
Er räuspert sich nervös. Oh Gott. Plötzlich erinner ich mich an die Stimme in meinem Kopf und das Gefühl, mich nicht selbst unter Kontrolle zu haben.
"Sagt jetzt nicht, ich hätte eine multiple Persönlichkeit. Ehrlich, wenn ihr das-"
"Es stimmt."
"Wie bitte?"
Fassungslos sehe ich auf meinen Vater. Das kann einfach nicht sein Ernst sein.
"Aber, das hätte ich doch schon vorher merken müssen, oder? Hätte ich das nicht mitkriegen müssen?", stammel ich verwirrt.
"Julian", beginnt meine Mutter leise, während sie auf ihre Finger sieht, "seitdem du klein bist, vergisst du manchmal Dinge. Anfangs haben wir das bloß für Zufall gehalten, doch mit der Zeit wurde immer deutlicher, wie sehr du dich in diese Momenten verändert hast."
"Verändert?", hake ich nach, als sie plötzlich aufhört zu erzählen. Eine Sekunde später wird klar, warum sie nicht weiterredet; ein Schluchzen entrinnt ihren Lippen, weshalb mein Vater seufzend zuende bringt, was sie begonnen hat.
"Julian, die Zeit, die du vergessen hast, warst du jemand anders. Wir wissen nicht genau, woran es liegt, aber deshalb sind wir mit dir zu einem Arzt gegangen. Kurz vor deinem Achtzehnten, weißt du noch? Er hat dir Pillen gegeben und wir dachten, es würde endlich aufhören - doch stattdessen bist du komplett verschwunden."
"Okay."
Mehr kann ich dazu nicht sagen. Bis auf einen einzigen Gedanken, ist mein Gehirn komplett leergefegt; diese Stimme war tatsächlich dort. Ich war gestern Abend nicht einfach betrunken und habe halluziniert. Jemand hat in meinem Kopf gesessen und mit mir geredet - und dieser jemand war es auch, der an meinem Geburtstag etwas mit Ginny angefangen hat, nur um es irgendwann demnächst zu beenden. Dieser jemand war es, der mir meinen besten Freund genommen hat, um ein wenig Spaß beim Ficken zu haben. Dieser jemand hat mein Leben komplett auf den Kopf gestellt; es ruiniert.
"Schatz, wir sind so froh, dich wiederzuhaben", bringt meine Mutter zwischen Schluchzern hervor, "Natürlich haben wir versucht, diese andere Seite von dir so gut es geht zu akzeptieren, doch das warst einfach nicht du. Ich bin so froh, dass du-"
Mein Vater ist aufgestanden und hat ihr eine Hand auf die Schulter gelegt, wie ich bemerken muss. Jimmy knautscht lustlos auf seinem Brot herum, während er den Tisch betrachtet.
"Warum habt ihr es mir nicht gleich gesagt? Ich meine, ihr wusstest es doch schon lange."
"Wir dachten, es würde irgendwann vorbeigehen. Abgesehen davon hatten wir Angst, wie du damit umgehen würdest, wenn du es erfährst", erklärt Dad. Als Antwort kann ich nur nicken, ehe ich mich erhebe und zur Treppe gehe.
"Ich muss etwas allein sein, tut mir leid", nuschel ich und gehe die Treppe hinauf, um mich in meinem Zimmer aufs Bett fallen zu lassen. Abwesend starre ich an die Decke; was soll ich jetzt machen? Ich bin nicht allein in meinem Kopf - und ich kann es nicht einmal mehr ignorieren. Damals dachte ich, ich wäre einfach nur vergesslich. Jetzt
weiß ich, dass in meinem Kopf noch ein anderer hockt - und im Gegensatz zu vorher bin ich mir dieser Präsenz bewusst. Ich habe mitbekommen, als sie meinen Körper übernommen hat. Ich habe mit ihr geredet.
'Heul doch.'