Haha, an dem Punkt muss ich wohl sagen, dass die Geschichte nicht hundertprozentig realistisch ist

sagen wir, zu 95% ^^
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Mein Körper lässt grinsend von Ginny ab, der mir einen verwirrten Blick schenkt. Damit hat er offensichtlich nicht gerechnet - und ich, um ehrlich zu sein, auch nicht. Was geht hier gerade ab?
Ich greife nach dem Glas. Ich greife nach dem Glas. Ich greife nach dem Glas. Nein, ich greife nicht nach dem Glas.
Scheiße!, fluche ich innerlich. Mein Lachen erfüllt den Raum; ein dunkles Lachen, das ich normalerweise nicht von mir gegen würde. Faszinierenderweise tut mein Körper dasselbe ebenfalls nicht, weshalb ich mich verwirrt umsehe - insofern ich mich denn umsehen kann.
'Tja, das ist scheiße, nicht wahr?'
Es ist, als würde ich in einen Spiegel blicken. Plötzlich erscheint vor mir ein Kerl, der genauso aussieht, wie ich. Er legt den Kopf zur Seite und mustert mich von oben bis unten.
'Sei froh, du hättest dich vor denen blamiert. So ein Küsschen reich bei Ginny und mir eben nicht', grinst er mich an. Ich bin zu keiner Antwort fähig. Ich starre einfach nur wie der letzte Vollidiot.
'Vergiss es einfach. Ich schätze, ich übernehme lieber wieder, bevor die sich alle noch fragen, was los ist. Man sieht sich dann.'
Perplex sehe ich auf die Gestalt, die mir den Rücken zudreht und davonläuft. Erst jetzt fällt mir auf, dass wir von Dunkelheit umhüllt sind - und offensichtlich hat er vor, mich hier einfach zurückzulassen. Ich habe keine Ahnung, was es ist, das ich tue, doch es ist, als würde ich auf einmal aus meinem Körper
fliehen. Alles in mir springt vorwärts - und während ich noch sein Fluchen höre, finde ich mich auf einmal am Tisch wieder.
"Julian, alles okay?", fragt Ginny mich unsicher.
"Klar", lächel ich etwas schief; besser so tun, als sei alles okay. Offensichtlich spiele ich langsam wirklich verrückt. Ich sollte vielleicht doch einen Psychiater aufsuchen. Mom könnte mir dabei helfen. Es kostet mich eine ganze Menge, ein erbärmliches Lachen zurückzuhalten.
"Du hast mich ganz schön überrascht", grinst er. Ah, er ist schon wieder so nah an mir dran, ich sollte besser aufpassen.
"Das war schon glatt wie früher."
Hah! Ist ja interessant.
"Ich würde mich freuen, wenn du nachher mit zu mir kommen würdest."
Ja, klar.
"Okay?"
"Ja, klar", antworte ich etwas neben der Spur und greife nach einem einsamen Glas Wodka, das unweit von mir entfernt steht. Okay, offensichtlich war das Glas doch nicht so einsam, wie ich dachte, da der Kerl neben mir leicht empört die Augenbrauen hochzieht. Ich zucke entschuldigend mit den Schultern, ehe ich das Getränk mit einem Mal herunterstürze. Der starke Geschmack lässt mich kurz das Gesicht verziehen.
Jemand legt Musik auf und plötzlich wird der Raum dunkler. Aus einigen Ecken blinkt buntes Licht auf, während mich plötzlich jemand am Arm packt und aus Ginnys Klammergriff zieht. Verwirrt sehe ich auf; Rob.
"Hey, ich darf deinen Lover bestimmt für ein Tänzchen entführen, nicht wahr?", grinst er an Ginny gewandt, als wäre es nicht letzten Endes meine Entscheidung. Ginny sieht mich fragend, seufzt dann allerdings und wünscht uns beiden viel Spaß. Offensichtlich habe ich ihm die Idee gegeben, etwas Bewegung könnte mir gut tun - und vielleicht stimmt das sogar. Keine Ahnung.
Im Vorbeigehen schnappe ich mir noch ein Glas von einem Tisch, dessen Inhalt ich hastig meinem Magen vorwerfe. Ich habe mich noch nie vorsätzlich betrunken, doch verzweifelte Situationen erfordern verzweifelte Maßnahmen. Ehrlich; ich habe ein Selbstgespräch geführt. Ein ziemlich reales Selbstgespräch, wenn ich bemerken darf. Bin ich schizophren? Ach nein, das war ja eine multiple Persönlichkeit. Aber ich bin geistesgestört?
Rob nimmt mich bei der Hand und zieht mich an ein paar anderen Kerlen vorbei, die sich inzwischen auf der kleinen Tanzfläche versammelt haben. Unglaublich, wie viele schwule Typen ich in einem Jahr kennengelernt habe. Da muss ich wirklich fleißig gewesen sein.
In einer dunkleren Ecken hält Rob schließlich an und verschwendet keine Zeit, seine Hände sofort um meine Hüfte zu legen. Er drückt mich sanft an sich, während er langsam beginnt, uns zur Musik zu bewegen. Argh, warum muss nur so ein Kuschelsong laufen?
"Na, erinnerst du dich noch an das Lied?"
"Hm?"
Überrascht sehe ich auf; er fixiert mich aus dunklen Augen, seine Mundwinkel verraten ein Grinsen. Das Lied? Ginny hatte mir etwas von einem Lied erzählt, wahrscheinlich sogar im Zusammenhang mit Rob. Allerdings will mir beim besten Willen nicht einfallen, worum es bei dieser Geschichte ging. Ich habe mir heute schon viel zu viel anhören müssen, um mir alles zu merken - abgesehen davon muss ich zugeben, dass ich leicht angetrunken bin.
"Sag nicht, du hast es vergessen."
"Weiß nicht", gebe ich nachdenklich zu und lege die Stirn in Falten, hinter der es gerade angestrengt arbeitet. Ich weiß es, doch ich komm einfach nicht drauf. Als würde mir jemand die Lösung vor die Nase halten und sie immer genau dann wegziehen, wenn ich gerade dabei bin, sie zu erkennen. Dreck.
Rob beugt sich zu mir herunter, bis seine Lippen mein Ohr berühren. Seinen Körper an meinen schmiegend leckt er vorsichtig die Form nach - und gemeinerweise schickt diese Berührung einen Schauer meine Wirbelsäule hinab, der meine Hüfte dazu bringt, kurz nach vorne zu stoßen. Er lacht zwar leise, doch da sein Mund sich direkt neben meinem Ohr befindet, kann ich es trotzdem hören.
"Soll ich dich vielleicht dran erinnern?"
Nein, danke.
"Vielleicht", antworte ich, obwohl es mich nicht wirklich interessiert. Bei seinem Tonfall kann es sich nur um etwas Perverses oder Ekelhaftes handeln; irgendetwas, das ich eigentlich und überhaupt nicht wissen möchte. Seine Hände wandern von meiner Hüfte aus nach hinten, um sich auf meinen Hintern zu sitzen. So langsam glaube ich, er hat was für den übrig.
"Du stehst wohl drauf, wenn ich das für dich wiederhole", raunt er in mein Ohr. Klasse, es handelt sich wirklich um etwas Perverses. Ist es zu auffällig, wenn ich jetzt auf Toilette muss? Wahrscheinlich. Zumindest, wenn ich davon ausgehe, dass die Aktion mit Ginny vorhin die Art gewesen ist, auf die ich normalerweise mit anderen umgehe.
"Vielleicht", antworte ich erneut und kann mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen.
"Hm, wie du willst", seufzt er theatralisch, ehe er mich eng an sich drückt und flüstert: "Das war der Song, der im Radio lief, als wir die Urne deiner Großmutter runtergeschmissen haben."
Augenblicklich versteife ich mich in seinem Arm. Wie bitte?
"Du bist so abgegangen, als ich dich gefickt hab und du Ginnys-"
"Ich muss auf Klo!", unterbreche ich ihn sofort und verlasse fluchtartig die Tanzfläche. Toilette - wo ist diese verdammte Toilette? Mit knallrotem Gesicht taumel ich durch den Raum, der glücklicherweise dunkel genug ist, um diesen tomatigen Farbton zu verbergen.
"Hey, alles o-", bevor Kevin mit dem Satz fertig ist, renne ich in ihn hinein und wäre wahrscheinlich hingefallen, hätte er mich nicht sofort gestützt. Murrend will ich seine Hände von meinen Schultern lösen, doch hält er mich eisern fest.
"Julian, du siehst blass aus", stellt er besorgt fest. Hah, und ich dachte, ich wäre knallrot. Sowas scheint sich ja von Sekunde zu Sekunde zu ändern, auch wenn ich noch immer der Meinung bin, mein Gesicht sei heiß wie Feuer.
"Schon okay. Ich, äh, will nur mal kurz zur Toilette, das ist alles."
"Na gut, ich bring dich", seufzt Kevin und lässt mich los. Mein Beschwichtigungsversuch hat wohl nicht sehr viel gebracht, da er mich den Weg über aus den Augenwinkeln beobachtet. Auf Toilette angekommen, gehe ich zum Waschbecken herüber und spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht, ehe ich mich selbst im Spiegel betrachte; ich sehe wirklich fertig aus.
"Ist wirklich alles okay? Hat Rob irgendwas gemacht?"
"Nein, nein, schon okay", erwider ich, ehe ich murmelnd hinzufüge: "Ich bin eher der, der was gemacht hat."
"Hm?"
"Was 'hm' ?"
"Ah, ich hab' dich nicht verstanden, 'tschuldigung."
"Kein Problem, war nicht so wichtig", winke ich ab und drehe mich vom Spiegel weg, um Kevin ansehen zu können. Er sieht verdammt besorgt aus.
"Es ist wirklich nichts passiert", lache ich leicht. Ah, mir wird schlecht. Bier, Wodka, der ganze Rest... Okay, vielleicht habe ich etwas zu viel getrunken.
"Wenn du das sagst. Du bist nur den ganzen Abend schon so komisch."
"Kevin, keine Panik. Alles in bester Ordnung", versichere ich ihm erneut. Er kauft es mir nicht ab, da bin ich mir sicher.
"Ich weiß, dass Rob draußen gewartet hatte, um dich als erster zu begrüßen - und bei der Fresse, die er gezogen hatte, als er reinkam, muss irgendetwas gewesen sein."
"Ah, er hat mich nur geküsst - und dann wollte Ginny mich halt noch etwas für sich haben", kürze ich die Geschichte etwas und stoße mich vom Becken ab; schlechte Idee. Die Welt um mich herum steht nicht mehr ganz so fest, wie sie es eigentlich tun sollte. Dennoch richte ich mich möglichst grade auf und lege Kevin eine Hand auf die Schulter.
"Mach dir keine Sorgen", bitte ich ihn, während ich ihm eindringlich in die Augen sehe.
"Ich will nur, dass du vorsichtig mit den beiden bist; Ginny und Rob. Du weißt, wie eifersüchtig Ginny ist - und Rob liebt es, das zu provozieren. Er ist vielleicht ganz okay, aber wir wissen beide, dass er dich lieber für sich allein hätte."
Okay, das ist etwas, das mir Ginny nicht erzählt hat. Allerdings muss ich feststellen, dass es eine Menge Sinn macht - und das Verhalten der beiden erklärt. Warum Ginny so aufgelöst war, als ich ihn nicht küssen wollte, obwohl ich das vorher mit Rob getan hatte. Hatte ich ihm das während unserer ganzen Beziehung immer wieder angetan?
"Man bin ich ein Arschloch gewesen", seufze ich zu mir selbst und fasse mir an die Stirn. Leider hatte ich bei diesen Worten vergessen, dass Kevin noch immer vor mir steht.
"Kannst du laut sagen. Aber schön, dass der Groschen bei dir langsam auch mal gefallen ist. Ich hatte mich schon gewundert, wie lange das so weitergehen soll."
Ich nicke zögernd.
"Und was hast du jetzt vor?"
"Hm?"
"Nun ja, was willst du jetzt machen? Wenn du schon erkannt hast, was für ein Idiot du gewesen bist, solltest du das wohl ändern, oder?"
"Ja, wahrscheinlich."
"Und?"
"Keine Ahnung."
"Meiner Meinung nach gibt es nur zwei Lösung; entweder, du schießt Ginny ab, oder du sagst Rob endlich mal, was Sache ist. Das würde ihm wahrscheinlich tierisch auf den Sack gehen, doch meiner Meinung nach hätte er es verdient."
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so, damit dürft ihr jetzt erstmal ein paar Tage überleben ^^