danke, freut mich, dass es dir so gut gefällt
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"Ich habe dir nicht gesagt, du solltst dich verpissen, als ich mit Rob auf dem Klo rumgemacht habe", gibt er nach einer Weile so leise von sich, dass ich nicht verstanden hätte, wäre ich nicht in dieser Zeit ein Stück näher gekommen.
"Ginny, damit habe ich aber nicht dich gemeint", versuche ich es leise. Mit einer Mischung aus Wut und Schmerz in den Augen blickt er zu mir auf. Die Lippen hat er zu einer dünnen Linie aufeinander gepresst.
"Ganz ehrlich, laberst irgendetwas vonwegen ein ganzes Jahr vergessen und du wärst ja nicht schwul und dann willst du mich nichtmal mehr küssen - aber mit Rob auf dem Klo ficken, das geht?", spuckte er mir entgegen und lässt mich einen Schritt zurück treten. So war das doch gar nicht. Das ist doch gar nicht meine Schuld gewesen. Ich wollte doch nie, dass das passiert.
'Dann sag es. Julian, sag es ihm.'
Ich kann nicht, er wird mir das nie glauben, erwider ich verzweifelt, während ich noch einen Schritt zurück trete. Warum muss er mich so hasserfüllt ansehen? Ich habe das doch alles nicht gewollt.
Das ist alles deine Schuld.
'Du weiß, dass es mir leid tut. Ich würde soetwas nie wieder machen', gibt er schwach zurück. Es scheint ihn zu verletzen, dass ich ihm gegenüber eine solche Abneigung zeige. Seufzend schüttel ich den Kopf; ich kann das einfach nicht. Ich habe zu viel Angst davor, was passiert, wenn ich es ihm sage. Dass es einfach noch immer nichts ändern wird.
Langsam gehe ich zur Tür rüber; dabei an Ginny vorbei, der verwirrt zu mir aufsieht. Vorsichtig klopfe ich gegen das Türblatt und keine Sekunde später hört man, wie der Schlüssel sich im Schloss herumdreht.
"Was machst du?", fragt Ginny überrascht.
"Weißt du, ich dachte, du wärst vielleicht froh darüber, einmal mit mir reden zu können; allein. Ohne, dass Kevin jedes unserer Worte hört und mir an die Gurgel springt, sobald ich dich auch nur ansehe. Scheinbar habe ich mich geirrt", erkläre ich ihm resigniert, während ich von der Tür zurück trete, "Du kannst gehen."
Unsicher sieht er zu mir auf. Die roten Strähnen kleben an seinen Wangen. Warum? Oh Gott.
Ich habe nicht einmal gemerkt, dass er weint.
"Und ich dachte, du hättest mir vielleicht noch etwas zu sagen", gibt er kleinlaut von sich und erhebt sich.
"Wa-? Ich habe mich doch schon entschuldigt, aber du willst es mir ja nicht glauben!", fahre ich ihn plötzlich außer mir an. Was soll das? Mich erst anmachen und mir dann so kommen.
"Tut mir ja wirklich leid, Julian, aber mit einer Entschuldigung ist die Welt halt auch nicht gleich wieder in Ordnung!", faucht er zurück, während er mir direkt in die Augen sieht, "Wie wäre es stattdessen mal mit einer Erklärung, hm?"
"Was denn? Nick hat es dir doch schon erklärt und du glaubst es doch eh nicht!", gebe ich fassungslos zurück. Was soll ich ihm denn noch sagen? Er weiß es doch eh schon alles, aber interessieren tut es ihn nicht.
'Dieser scheiß Kevin hat ihm wahrscheinlich eine Gehirnwäsche verpasst.'
Ich bring den Kerl um.
'Da kannst du aber Gift drauf nehmen.'
"Was?", fragt Ginny verwirrt, "Was soll Nick mir erzählt haben?"
"Den Grund, warum das alles so gelaufen ist, wie es eben gelaufen ist", antworte ich nun wieder etwas leiser. Das Schreien hat meine Verzweiflung für den Moment ausreichend artikuliert.
"Und das wäre?", hakt Ginny weiter nach, weshalb ich tief Luft hole. Ich komme mir so bescheuert vor, das jemandem zu erzählen, weil es immer wesentlich geistesgestörter klingt, als es eigentlich ist.
"Ich bin nicht allein."
"Hä?"
"Na, in meinem Kopf."
"Ah... und das heißt?"
"Man, ich habe eine multiple Persönlichkeit oder sowas! In meinem Kopf ist noch jemand anderes, okay?", platzt es aus mir heraus, nun wieder etwas lauter, "Das ganze letzte Jahr, bin ich nicht ich selbst gewesen. Ich habe das auch nicht mitgekriegt; stell dir das einfach so vor, als hätte ich geschlafen und jemand anderes so lange die Kontrolle über meinen Körper übernommen. Doch statt dass so bleibt, dass ich davon einfach nichts mitkriege, bin ich mir dieses anderen in mir jetzt bewusst. Ich kann mit ihm sogar reden. Und er war es, der dich an meinem Geburtstag am Tisch so abgeknutscht hat. Er war es, der mich davon abgehalten hat, Rob wegzuschubsen. Und IHN habe ich angeschrien, dass er verschwinden soll. Nicht dich."
Ginny sieht mich an, als hätte er soeben einen Geist gesehen, bevor er anfängt, unsicher zu lachen.
"Ja, klar", erwidert er etwas neben der Spur, während er sich das Haar zurückstreicht, bevor er wiederholt: "Ja, klar. Schon klar, ey. Mit mir kann man's ja machen."
Er sieht mich kopfschüttelnd an.
"Denkst du echt, ich kauf dir das ab?"
"Nein, aber du wolltest es ja unbedingt hören", seufze ich seinem Blick ausweichend und vergrabe die Hände in den Hosentaschen, "Deshalb wollte ich es dir ja nicht sagen; für mich ist das nämlich auch nicht gerade geil. Abey hey, es ist nunmal die Wahrheit."
"Hat mir Nick auch gesagt - aber er war schon immer mehr dein Freund als meiner", gibt er bissig zurück, woraufhin ich verzweifelt die Augen schließe. Was zum Teufel soll ich ihm denn noch sagen?
Es ist egal, was ich sage. Er hat seine Meinung.
'Ich weiß.'
Ich kann nichts ändern. Rein gar nichts.
'Es tut mir leid.'
Ich weiß.
Eine Welle aus Schmerz baut sich in mir auf, als wolle sie meine gesamte Existenz dahinschwemmen. Überrascht sehe ich auf; es ist nicht nur mein eigenes Leid, das meine Welt verschwimmen lässt und mir Tränen in die Augen treibt.
'Ich hätte das dir nicht antun dürfen. Ich war so verdammt egoistisch; ich habe wahrscheinlich die Gefühle jedes Menschen verletzt, dem ich begegnet bin. Gott, es tut mir so leid.'