@Grillion: lasst euch überraschen ^^
so, Dateien sind endlich drüben
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Als mein knurrender Magen mich mit leichten Schmerzen weckt, ist es bereits dunkel im Zimmer. Noch immer spüre ich eine wärmende Quelle an meinem Rücken, deren Brustkorb sich im Rhythmus des ruhig gehenden Atems immer wieder gegen mich drückt.
"Hey, aufwachen."
Vorsichtig rüttel ich meine Schultern etwas, um ihn zur Not von mir herunter zu schaukeln, wenn er nicht vorher von selbst aufwacht. Allerdings ist er im Schlaf so weit hochgekrochen, dass meine Beweglichkeit stark eingeschränkt ist. Selbst wenn ich wollte, könnte ich mich nicht befreien. Und das soll alles nur in meinem Kopf vorgehen?
"Natürlich geh es nur in meinem Kopf vor", widerspreche ich diesem komischen Gedanken sofort, auch wenn es sich tatsächlich beängstigend real anfühlt. Er soll einfach endlich aufwachen und von mir heruntergehen. Normalerweise ist er doch auch immer wach, wenn ich aufwache.
Hey, aufwachen!
Ich spüre, wie er sich auf meinem Rücken bewegt, ehe sein Kinn sich in meine Schulter bohrt und ein Gähnen zu vernehmen ist.
"Morgen Dornrösschen", seufze ich den Kopf schüttelnd und versuche, zu ihm nach hinten zu schielen. Er richtet sich ein Stück auf und stützt sich auf die Unterarme, weshalb ich es schaffe, mich unter ihm zu drehen, um ihn mit erwartungsvoll hochgezogenen Brauen anzusehen.
'Was?', bringt er unter einem erneuten Gähnen davor.
Würdest du vielleicht von mir runter gehen?
Verwirrt sieht er an uns beiden herab und legt den Kopf schief, bevor er sich einfach wieder fallen lässt, um sich diesmal an meinen Brustkorb zu kuscheln. Das ist nicht sein Ernst. Genervt schiebe ich meine Lippen ein Stück nach rechts.
'Ich will noch nicht aufstehen', murmelt er ungewohnt friedlich, weshalb mir kurz der Gedanke kommt, ob nicht vielleicht noch eine dritte Person in diesem Körper haust.
Wir haben aber Hunger, falls du es noch nicht mitgekriegt hast.
'Na und? Ich kann das getrost ignorieren. Wir sind nämlich erstaunlich gemütlich', erwidert er stur und drückt sich noch fester an mich.
Seit wann bist du so verschmust?
'Ich hatte seit einer Woche keinen Sex. Glaubst du nicht, ich sehne mich langsam nach etwas körperlicher Nähe?', nuschelt er in meine Brust hinein. Es ist mehr als seltsam, ihn von dieser - zutraulichen - Seite zu sehen.
Keine Ahnung; ich hatte noch nie in meinem Leben Sex und leide trotzdem noch nicht an solchen Kuschelanfällen, gebe ich schulterzuckend zurück.
'Das liegt bestimmt daran, dass du einfach noch nicht auf den Geschmack gekommen bist', stellt er selbstüberzeugt fest und nickt bekräftigend.
Schön, dass du das so gut weißt, seufze ich die Arme hinterm Kopf verschränkend, bevor ich mich zurücklehne, aber ich habe wirklich Hunger. Wir haben heute noch kaum etwas gegessen.
Er atmet einmal tief durch, bevor er sich mit einem beleidigten 'Spielverderber' von mir herunter rollt, auch wenn er danach noch immer nicht von meiner Seite weicht. Der Ellenbogen seines einen Arms ist aufs Bett gestützt, um sein Kinn auf der offenen Handfläche rasten zu lassen, während er mit den Fingerkuppen der anderen Hand gedankenverloren über meinen Brustkorb streicht. Augenblicklich halte ich die Luft an, als sie ein Stück hinab wandern.
"Was machst du?", bringe ich schluckend hervor. Kein: Hör auf damit! - Nein, ich kann mich nicht einmal dazu bringen, aufzuspringen, um dem ein Ende zu setzen. Sein undeutbarer Blick hält mich gefangen, weshalb ich ihn bloß verwirrt erwidern kann. Statt mir eine Antwort zu geben, lässt er seine Finger schnell unter mein Hemd gleiten, um sie an derselben Stelle dicht über meinem Bauchnabel weiterhin kreisen zu lassen.
'Es ist seltsam', murmelt er mehr zu sich selbst, als zu mir. Ich will ihn fragen: Was ist seltsam? Doch sein Blick gleitet so verwundert meinen Körper hinab zu dem Bereich, den er berührt, dass mich viel mehr interessiert, was er vorhat, alsdass ich mich trauen würde, ihn zu unterbrechen, nur um Gefahr zu laufen, im Endeffekt doch nichts zu erfahren.
'Wir liegen hier; im echten und im falschen Körper. Ich bin nur eine Illusion und trotzdem fühlt es sich für mich so echt an', erzählt er, bevor er mir wieder ins Gesicht sieht und verwundert feststellt: 'Und für dich auch. Als wäre ich ich und du du.'
"Wolltest du deshalb nicht von mir runter?", wage ich eine Frage, wobei ich unsicher die Brauen zusammenziehe.
'Wenn ich dich berühre, dann ist es, als wären wir unabhängig voneinander und nur durch diese Berührung verbunden', seufzt er, während seine Finger innehalten, bevor er sie schwerfällig von meiner Haut löst, um von mir wegzurutschen. Wo er mich berührt hatte, bleibt ein Kribbeln zurück; das sehnsüchtige Gefühl nach erneuter Nähe. Vielleicht hatte er Unrecht gehabt, dass ich nicht kuscheln wollte, weil ich noch nie Sex gehabt hatte. Und wahrscheinlich hatte ich Unrecht gehabt, dass ich auch so nicht kuscheln wollte. Diese Nähe zu spüren und dann ihrer wieder beraubt zu werden, lässt einen mir unbekannten Nachgeschmack zurück, den ich definitiv in die Spalte 'schlecht' einordne.
Plötzlich sehe ich überrascht zu ihm auf.
'Was?', fragt er, da er meinen Blick offensichtlich nicht deuten kann. Schuldig lasse ich meinen Kopf zur anderen Seite kippen, um ihn nicht ansehen zu müssen. Jedes Mal, wenn ich etwas vergessen habe, hatte er in dieser Zeit übernommen; das war nicht sonderlich viel gewesen, von diesem einen Jahr ausgeschlossen, und jedes Mal wird er Zärtlichkeit erfahren haben, nur um sie wieder zu verlieren. Jetzt wollte er vielleicht kuscheln, weil er auf Sexentzug war. In diesem Jahr hatte er Sex, weil er nicht wusste, wann er diese Zärtlichkeiten wieder verlieren würde. Oder das nächste Mal erleben durfte.
Das rechtfertigt noch lange nicht, dass er es so ausgiebig getrieben hat! Er musste es sogar filmen, erinner ich mich selbst an seine vielen Partner und was er meinem Leben damit angerichtet hatte. Nur weil er sich mir gegenüber ausnahmsweise so sentimental benimmt, heißt das nicht, dass ich irgendwelche Ausrede erfinden und Mitleid mit ihm haben muss. Wobei ich gestehen muss, dass diese Ausrede Sinn macht, wenn ich mir vorstelle, wie ich mich an seiner Stelle verhalten hätte.
"Vielleicht sind wir wirklich nicht so unterschiedlich", seufze ich mich aufsetzend und schwinge die Beine aus dem Bett. Wenn die rollen vertauscht wären, hätten wir uns vielleicht genau wie der andere entwickelt. Fragend sieht er zu mir auf und ich antworte: "Essen."
'Ah', nimmt er langezogen zur Kenntnis, 'Ich ruh mich noch ein wenig aus.'
Er verschwindet vom Bett, wobei ich spüre, wie seine Präsenz zurücksinkt. Lange habe ich mich nicht mehr so allein in meinem Kopf gefühlt - und dann muss ich feststellen, dass lange gerade mal eine Woche ist, obwohl es mir wie eine Ewigkeit vorkommt. Habe ich mich tatsächlich schon so sehr an ihn gewöhnt? Nun ja, man sagt ja eher, dass langweilige oder schlechte Dinge einem wie eine Ewigkeit vorkommen, von daher ist das wohl wahrscheinlicher. An diesen Perversling werde ich mich niemals gewöhnen.
Mir den Schlaf aus den Gliedern streckend gehe ich zur Tür und in die Küche hinab. An der Mikrowelle klebt ein Zettel mit meinem Namen und 'Ich hab euch lieb, Mama', wobei vor dem Euch ein durchgestrichenes Dich zu finden ist. Kopfschüttelnd öffne ich die Mikrowelle, um einen Blick hineinzuwerfen; Buletten, Pommes und etwas Gemüse. Dann schließe ich sie wieder und schalte sie an. Wenn ich Glück habe, würde das Gemüse schmecken. Die Pommes gebe ich auf, die sind aufgewärmt meist nur etwas zum Lustlos-drauf-rumknautschen.
Seufzend lehne ich mich mit dem Rücken an die Theke, auf der die Mikrowelle steht - und zucke zusammen, als ich zur Tür sehe und Jimmy plötzlich gegen den Türrahmen lehnt.
"Scheiße, hast du mich erschreckt", lache ich leicht, wobei mir der blutrünstige Ausdruck in seinen Augen nicht entgeht. Er funkelt mich regelrecht böse an, als hätte ich seinen Freund ermordet.
Argh!
Ich muss mich zusammenreißen, mir nicht die Haare zu raufen, da er das mit Sicherheit wieder unter 'Was für ein Freak!' abgestempelt hätte. Jimmy ist verdammt nochmal nicht schwul und ich auch nicht, also sollte ich gefälligst von einer Freundin statt von einem Freund reden. - Und dabei fällt mir irgendwie auf, dass ich mich zwar nicht für Schwul halte, mich aber mit ihnen abgebe, Depressionen bekommen habe, weil es einen Mann gibt, der nicht wegen mir lacht, sondern mich hasst, und obendrein gab es gerade eine ziemlich kuschelige Szene in meinem Bett. Ganz davon abgesehen, dass die quasi mit mir selbst stattgefunden hat.
"Egal, ich bin nicht schwul", seufze ich kurz die Augen schließend und lasse die Schulter entspannt ausatmend hängen.
"Du bist doch krank", spuckt Jimmy mir regelrecht vor die Füße. Er versucht nicht mal, den Ekel in seiner Stimme zu verbergen, während ich entsetzt feststelle, was ich gerade getan habe. Schadensbegrenzung.
"Jimmy, das ist nicht so, wie du denkst", versuche ich es hastig, wobei ich mir vorkomme, wie in einem schlechten Liebesfilm. Gott, wie sind zwei Männer! Und wenn das nicht genug ist: Wie sind Brüder!
Leider muss ich feststellen, dass beide Argumente innerhalb der vergangenen Woche entkräftigt wurden.
"Ich habe grade wirklich nur mit mir selbst geredet. Das machst du doch auch manchmal, oder?", frage ich hoffnungsvoll, wobei dieser angewiderte Ausdruck noch immer nicht von ihm gewichen ist und mir bloß entgegen schreit, ich solle uns beide ja nicht miteinander vergleichen.
"Okay, äh, dann nicht. Aber ich mache sowas halt. Und das war nicht zu dem anderen Ich. Er schläft nämlich grade und-"
"Er schläft?", zitiert mein kleiner Bruder mich mit beißendem Spott, der meine Worte unterbricht und mich mit offenem Mund zurück lässt. Langsam nicke ich, auch wenn ich das Gefühl habe, dass dieses Geständnis die Situation keinesfalls besser macht.
"Ganz ehrlich, Julian, ich fand das schon immer krank, was da mit dir passiert ist. Aber weißt du; du bist mein Bruder - nur das hört irgendwann auch auf. Ich hab keinen Bock lieb und nett tun und Rücksicht nehmen zu müssen, kapiert? Vielleicht stehen Mom und Dad da ja drauf, aber ganz ehrlich? Du brauchst Hilfe", damit geht er zum Kühlschrank, um sich eine Flasche Wasser heraus zu holen, wonach sein ewiger Kampf mit dem Verschluss beginnt. Ich bleibe einfach mich verloren fühlend vor der piependen Mikrowelle stehen, die mir signalisiert, dass mein Essen aufgewärmt ist.
"Willst du das Ding nicht mal ausstellen?", fragt er mich leicht genervt, woraufhin ich erschrocken zusammenzucke, nur um festzustellen, dass er diesmal gar nicht so feindselig geklungen hat. Tatsächlich einfach nur genervt - und ein Bisschen resigniert, wie ich feststelle, als ich meinen Teller aus der Maschine entfernen. Jimmy kämpft noch immer mir dem Verschluss.
Ächzend sieht er zu mir herüber und zieht fragend die Brauen hoch: "Willst du mir jetzt helfen oder nicht?"
"Ah, klar", erwider ich mit einem Lächeln, ehe ich meinen Teller wegstelle und zu ihm herüber gehe. Als ich ihm die Flasche aus der Hand nehme, berühren sich unsere Finger kurz, wobei ich einen Hauch dieses Kribbelns wiedererkennen kann, das ich gespürt habe, als mein zweites Ich sich von mir entfernt hat. Während ich den Verschluss aufdrehe, muss ich wieder an die zwei Brüder denken; ich könnte das mit Jimmy nicht. Wenn ich es mir Recht überlege, liebe ich ihn zwar nicht, aber wie ich gerade feststellen musste, wüsste ich trotzdem nicht, was ich tun sollte, wenn er mich hasst.
"Jim, hasst du mich?", frage ich leise, als ich ihm die Flasche reiche, woraufhin er mich erstaunt anguckt. Seine Lippen lösen sich voneinander, doch gelang kein einziger Ton über sie. Er weiß es nicht. Oder ist er einfach nur sprachlos? Ist das einfach nur eine Frage, auf die man so schnell nicht antworten kann? Wüsste ich, was ich sagen soll, wenn er mich soetwas fragen würde?
"Wenn ich zum Psychologen gehen würde, könnten wir dann einfach wieder ganz normale Brüder sein?"
Hoffnungsvoll blicke ich in seine Augen, während seine Lippen sich unter einem Seufzen zu einem Lächeln verziehen.
"So normal, wie wir halt sind", erwidert er nickend - und dann tut er etwas, das ich von ihm nie erwartet hätte. Er nimmt mich in den Arm und drück mich einfach. Ganz fest. Ganz unverbindlich. Als er mich los lässt, sehe ich ihn verwirrt an.
"Wir sind halt Familie, nicht wahr?", sagt er noch mit den Schultern zuckend, bevor er sich umdreht und in sein Zimmer verschwindet.
"Ja, sind wir wohl", murmel ich den Kopf schüttelnd, während ich reflektiere, was ich soeben beschlossen habe. Ich will also tatsächlich zum Psychologen gehen. Für meine Familie. Mit meinem Essen will ich in meinem Zimmer verschwindet, doch fällt mir vor meiner Tür auf, dass es da vielleicht noch etwas Wichtiges zu erledigen gibt. Tief Luft holend wende ich mich ab und gehe zum Zimmer meiner Eltern. Den Teller in einer Hand haltend klopfe ich ein paar Mal - und noch ein paar Mal, bis endlich jemand reagiert.
Müde öffnet mein Vater mir die Tür und sieht mich verblüfft an, wobei seine Brauen sich nach der ersten Überraschung feindselig zusammenziehen.
"Sag dem Psychologen bitte, dass ich mit ihm reden möchte", seufze ich und wende mich ab. Wahrscheinlich sagt er nichts, weil ihn das so sprachlos gemacht hat; keine Ahnung, ich drehe mich kein einziges Mal um und verschwinde einfach in meinem Zimmer.
'Das wird eine spannende Woche.'