Das es euch verwirrt, freut mich. Soll es auch.
Danke für eure Kommis übrigens!
Ich will dann auch da nochmal ein bisschen nachsetzen später, Kapitel 11 ist aber noch relativ human in dieser Hinsicht denke ich. In 12 wirds dann wieder schwieriger.
Wehe ihr steigt da durch und kommt auf die Auflösung^^ Bisher ist es zum Glück noch in keinem Forum irgendwem gelungen
11
Das Mädchen regte sich nicht, ihr Blick war starr.
„Paula. Paula, was ist los?“ Ian fühlte, wie sein Herz sich zusammenzog. „Komm, rede mit mir!“
„Was macht er mit uns?“ Paulas Stimme war schwach, kaum hörbar. „Er holt uns hier raus, oder? Wenn wir ohnmächtig sind, holt er uns hier raus.“
„Ich konnte mich erinnern“, hörte Ian seine Stimme sagen, „Ich war aufgewacht und konnte mich irgendwie erinnern. Ich wollte es dir sagen, aber diese Schmerzen, diese Kopfschmerzen. Und diese Ohnmachten.“
„Er macht uns absichtlich bewusstlos, oder?“ Paula sah Ian jetzt an und in ihren Augen bildeten sich Tränen. Er war froh darüber. Froh, über diese Gefühlsregung, dieses Lebenszeichen, welches ihm die ganze Situation menschlicher, weniger surreal vorkommen ließ.
„Ich denke, von alleine kommen diese Gedächtnisprobleme nicht. Er manipuliert uns gezielt. Beabsichtigt. Und ganz sicher mit Erfolg.“
„Ich erinnere mich an gar nichts. An wirklich überhaupt nichts. Es ist nur Leere und Stille da, keine Bilder, keine Erinnerung, nur… nichts.“
Ian sah zu Boden. Er hasste sich dafür, die Bruchstücke der Erinnerungen wieder gehen lassen zu haben, hasste sich dafür, seine vielleicht einzige Chance nicht nutzen zu können.
„Vielleicht sind wir schon ewig hier drin. Wir erinnern uns nur nicht. Ian… was ist wenn er uns schon seit Jahren hier gefangen hält?“
„Tut er nicht.“
„Was?“ Paula war verdutzt über die Sicherheit in Ians Stimme, fragte sich, wie er ihre ihr doch so berechtigt erscheinenden Vermutungen einfach wegwischen konnte.
„Tut er nicht. Wir sind noch nicht lange hier.“
„Wie kannst du dir da so sicher sein?“
„Die Erinnerung an die Zeit hier drin löscht er nicht aus. Ich kann mich haargenau an alles erinnern, was in diesen Räumen geschehen ist.“
„Ja, seit gestern!“ Paula fühlte Wut in sich aufsteigen. „Aber woher willst du denn wissen, was davor war, wenn du dich nicht erinnern kannst, woher willst du wissen, dass…“
„Paula!“ Ians Stimme klang beschwichtigender als gewollt. „Ich kann mich nicht erinnern, aber ich weiß es. Ich habe ein Gefühl, von dem ich nicht glaube, dass er es manipulieren kann, und falls doch, kann ich immer noch sehen.“
„Sehen? Was meinst du mit sehen?“
„Überleg doch mal, als du gestern Morgen hier aufgewacht bist, warst du geschminkt. Es war verschmiert vom Weinen, vom Schlafen, vielleicht von einer Auseinandersetzung, aber du hattest Mascara im Gesicht. Ich habe diese Wunde an der Wange, und sie ist frisch. Hier drinnen werde ich sie mir nicht zugezogen haben, denn hier gibt es nichts zum verletzen, ist dir das aufgefallen? Du warst noch geschminkt und ich frisch verletzt. Er hat uns erst gestern hier her gebracht.“
Paula schwieg. Sie wusste nicht, wie sie so blind hatte sein können, so ignorant und war wütend, dass sie weniger fähig war, Zusammenhänge zu erkennen, logisch zu denken, als ihr Mitgefangener. Aber er hatte Recht. Es war unwahrscheinlich, dass Kor all das inszeniert hatte. Möglich, aber unwahrscheinlich, nicht anzunehmen. Zwei Tage also erst.
-
Sie merkten nicht, ob die Stunden verflogen oder die Minuten dahinkrochen, wussten nicht, in welchem Tempo sie ihrer Freilassung näher kamen – oder ihrem Tod. Ian überlegte sich, ob es sinnvoll war, sich eine Uhr zu wünschen, um das Zeitgefühl wieder zu erlangen, aber dann erschien ihm dieser Wunsch trivial und unnötig. Es gab wichtigeres, als Zeit. Wichtigeres, als das Wissen, wie lange sie schon eingesperrt waren.
Sie starrten auf den Einwegspiegel, in der Hoffnung, ihr Peiniger würde dahinter erscheinen und irgendetwas verlauten lassen. Es war ganz egal was. Und wenn er nur ein Mal auf diese furchtbar undurchschaubare Art falsch grinsen, oder sie niedermachen oder einfach nur dastehen und sich von ihnen beschimpfen lassen würde. Aber sie konnten nichts anderes tun, als zu warten, auf dem kalten Fliesenboden zu sitzen und Löcher in die Luft zu starren, zu warten auf eine Erlösung, die nie kommen sollte.
Und wenn es doch alles nur ein Traum war? In Träumen merkt man doch nicht, dass man träumt, oder? Denkt man denn darüber nach? Würde man es merken, wenn man darüber nachdenken würde?
Ian schlug seinen Hinterkopf hart gegen die Wand. Es tat ihm gut, sich selbst zu spüren, irgendetwas menschliches zu erleben, und sei es der Schmerz, der ihm half, sich daran zu erinnern, dass er noch lebte. Er schloss die Augen, in der Hoffung, irgendwelche Erinnerungsbruchstücke würden auftauchen, irgendwelche Motive, Farben, Stimmen, aber alles was er sah, war Schwärze. Unbarmherzliches schwarz, welches umso erdrückender wurde, je länger er versuchte, etwas anderes herauf zu beschwören.
Paula saß an der Wand und kaute an ihren Fingernägeln. Sie wusste nicht, ob sie das vorher schon getan hatte oder wie sie jetzt darauf kam, denn ihre Nägel sahen gepflegt aus, aber es war ihr auch egal. Wenn man keine Vergangenheit mehr hatte, hatte man auch kein Bild über sich selbst, dem man weiterhin entsprechen sollte. Man konnte neu anfangen, sich ein neues Ich zusammenbauen. Ob man der gleiche Mensch werden würde wie vorher? Inwiefern würde man ihm noch ähneln? War der Charakter in den Genen festgeschrieben oder formte er sich durch die Vergangenheit?
Paula wusste auf all diese Fragen keine Antwort. Ob sie sie früher gewusst hätte?
Sie wartete auf Essen. Obwohl sie keinen Hunger verspürte, was sie sich nicht erklären konnte, wartete sie darauf, weil sie hoffte, das damit etwas Bewegung in die Situation kam. Es war ihr zuwider, nur zu sitzen und zu warten und noch nicht einmal zu wissen, auf was. Was war, wenn Kor nicht mehr auftauchte? Wenn ihm etwas zugestoßen war oder er nicht mehr herkommen konnte, aus welchen Gründen auch immer? Wenn er sich vielleicht verstecken musste? Würden sie hier jemals gefunden werden?
Paulas Gedanken zermürbten sie. Sie musste einfach etwas tun, irgendetwas, so absurd es auch sein mochte.
„Ian?“
Der junge Mann sah auf. Er sah sie genau so an, wie am Tag zuvor, mit genau demselben gebrochenen Blick und doch glaubte sie, irgendetwas in seinem Ausdruck hätte sich verändert. Es fehlte das Leuchten, sein Blick wirkte stumpf, unecht. Ob es daran lag, dass seine Seele starb?
„Glaubst du, es hat einen Grund, dass er uns beide ausgewählt hat? Haben wir etwas gemeinsam? Glaubst du, wir kannten uns?“
Ian antwortete nicht. Paula wusste nicht einmal, ob er sie gehört hatte.
„Oder glaubst du, es ist Zufall?“
Ians Gedanken rasten. Paula. Paula. Es fiel ihm wieder ein. Er hatte geträumt, von… von diesem Namen, Paula, und diese Frau…
„Meine Tochter heißt Paula!“, rief er und sprang auf. Das rothaarige Mädchen starrte ihn an.
„Was?“
„Ich erinnere mich wieder, an diesen Traum. Meine Frau war schwanger und dieses Kind, wir wollten es Paula nennen.“
„Ian, Träume… Träume spiegeln nicht die Realität wieder, du hast dir das zusammengesetzt aus…“
„Nein. Nein. Nein. Es war nicht so. Es ist kein normaler Traum. Ich weiß es, Paula, ich weiß es.“
Paula wusste nicht, was sie denken sollte. Was war los mit Ian, dass er immer diese Stimmungsumschwünge hatte? Und diese Träume, sollte er Recht haben, und sie stammten aus seiner Vergangenheit? Halluzinierte er, war er vielleicht psychotisch?
„Ich kann mich kaum erinnern, es scheint als würde mir jemand dieses Wissen entreißen, aber es war da. Dieses Gefühl. Paula, ich bilde mir das nicht ein. Dein Name ist kein Zufall.“
„Ian, ich bin nicht deine Tochter, das würde…“
„Nein. Nein, bist du nicht. Aber es hängt zusammen, Paula. Irgendwie hängt es zusammen.“
„Und was ist, wenn Kor deine Gedanken nur manipuliert? Wenn er das irgendwie steuern kann, so wie er alles andere auch steuert, wenn das alles nur Hirngespinste sind?“
Ian setzte sich wieder und sah dem Mädchen in die Augen.
„Was ist, wenn selbst Kor nur Einbildung ist? Wir können das alles nicht wissen, aber es sind Anhaltspunkte. An irgendetwas müssen wir uns doch orientieren, wir können doch nicht alles ablehnen.“
Paula wollte etwas erwidern, doch sie wusste nicht, was.
Und so schwieg sie, schwieg, wie es vorher Ian getan hatte und ließ ihn auf eine Antwort warten. Vielleicht hatte er Recht, vielleicht konnte er sich tatsächlich erinnern. Aber wieso dann sie nicht? Sie konnte es sich nicht vorstellen, dass Ian Erinnerungen hatte, während Kor ihr alle nahm. Es war kindisch, aber sie wollte sich nicht eingestehen, dass Ian zu mehr fähig war, als sie selbst.
Sie legte sich rückwärts auf den Boden, und dann ging das Licht aus.