Stimmen [Kurzgeschichte]

Bourrin
Gehetzt sah ich mich um. Mein Herz raste. Sie kommen! Lauf! Sie wollen dich holen!
„Sei still, sei endlich still“, wimmerte ich und hielt mir die Ohren zu, kratzte über mein Gesicht und hinterließ blutige Spuren. Ich riss an meinen Haaren, zerrte an den Verbänden um mein Handgelenk. „Sei still, sei still, sei still!“ Sie kommen! Sie werden dich holen! Horch, das Echo ihrer Schritte ist schon ganz nah! Die Stimme in meinem Kopf lachte höhnisch. Sie holen dich! Sie holen dich! Die Grausamkeit ihrer Worte ließ mich vor Pein erzittern. Ich rannte, rannte so schnell ich konnte. Waren sie schon hinter mir? Meine dünnen Beine konnten kaum mein Gewicht halten. Ich fiel. Der Boden war hart, er schrammte unbarmherzig über meinen ausgezehrten, mir fremden Körper. Steh auf, sie kommen!, kreischte es in meinen Gedanken, und ich schlug meinen Kopf auf die Straße, damit die Stimme endlich schwieg. Doch sie kreischte weiter, ein unerträglicher hoher Ton. Ich rappelte mich schwer atmend auf. Lauf! Lauf! LAUF! Ein trockener Schluchzer stieg in meiner Kehle auf. Es sollte aufhören! Aufhören…
Und nun stehe ich hier. Das Wasser rauscht unter mir dahin. Es glitzert im letzen Sonnenlicht, glitzert so schön…Sein Rauschen füllt meine Ohren, meinen Kopf, mein ganzes Denken. Es klingt so unglaublich friedlich. Und wie sehr ich mich nach Frieden sehne. So sehr. Tränen laufen mir übers Gesicht, meine Wimperntusche hinterlässt sichtbare Spuren meiner inneren Qual. Ich blicke in die Ferne, spüre den Wunsch in mir aufkommen, der Sonne entgegen fliegen zu können. Ich schwanke. Das Geländer unter meinen Füßen ist schmal. Ich breite die Arme aus und stelle mir vor, dass es Flügel wären. Der Wind wischt mir zärtlich die Tränen von den Wangen und die Wärme des Tages hüllt mich sanft ein. Spring, sagt die Stimme in meinem Kopf, und sie klingt jetzt nicht mehr grausam, nicht mehr kalt. Sie ist warm und voller Mitgefühl. Trau dich. Spring. Der Wind wird dich tragen, der Sonne entgegen tragen. Es wird alles besser, wispert sie, und wirklich, der Wind streckt mir seine Hände entgegen, fährt mir durchs Haar und umschmeichelt sanft liebkosend meinen mageren Körper. Ich schließe die Augen. Und als ich mich dem Wind übergebe, dem Himmel entgegenspringe, schweigt die Stimme. Und zum ersten Mal in meinem Leben bin ich wirklich glücklich.


Dieser Teil ist als Abschluss einer längeren Geschichte von mir gedacht. Sie ist nur ein mögliches Ende, ich wollte mal wissen, wie es bei euch ankommt.
SammyLG
Zitat:
Original von Bourrin
.... zerrte an den Verbänden um mein Handgelenk....


Ehh heißt das nicht "an den Verbänden um meinem Handgelenk" ?
Aber ka ob das Deutsch ist XD

Ansonsten gefällts mir großes Grinsen Ich würd' die Geschichte lesen, wenn der Anfang genau so gut ist XD
Julia&Ranko
Ich find sie auch toll und beim lesen kam sehr viel rüber bei mir (Gefühl etc. und das gehetzte).

Toll!!! smile
Hornisse
Hallo Bourrin.

In der drittletzten Zeile ist ein Tempusfehler. (streckte)

Im ersten Abschnitt würde ich das Gehetzte noch deutlicher machen. Vllt dass ihre Lunge brennt (oder die Beine), vllt beschreien, wie sie nach Atmen ringt... irgendwas, was das schnelle Laufen authentischer macht.

Ich persönlich kann Selbstmordgeschichten, die in dem befreienden Sprung von der Brücke enden nicht mehr hören/lesen, aber weil das eine persönliche Abneigung ist, will ich das hier nicht kritisieren.
Das Thema ist halt schon etwas ausgelutscht.

Ich vermute, dass der Protagonist schizophren ist?
Bourrin
Vielen Dank an euch alle fröhlich

@SammyLG: Den Anfang der Geschichte habe ich hier schon veröffentlicht, siehe "Der Mond aus Beton".

@Hornisse: Vielen Dank für deine Verbesserungsvorschläge. Ja, du hast Recht, das Mädchen ist shizophren. Ausgelutscht...das kann man eigentlich von fast jeder Geschichte oder Thematik auf dieser Erde bezeichnen, es gibt einfach nichts mehr Neues. Das Thema Liebe ist immer das selbe, in jedem zweiten Fantasy-Buch (wenn nicht in jedem) kommen Elfen vor und es geht darum, irgendwen oder irgendwas zu retten. Was solls, dass ist Geschmackssache ^.^ Du magst keine Selbstmordstorys, ich vertrag keine Storys über diese absolut unrealistischen Kitsch-Liebeleien.

lg Bourrin
Hornisse
Wie gesagt, ist das ja eine persönliche Abneigung, nicht unbedingt Kritik an deiner Geschichte.

Schizophrenie zB finde ich ein interessantes, nicht oft behandeltes Thema, aus dem man viel, sehr viel machen kann.

Bei GB endete damals (wie es jetzt ist, weiß ich nicht, hatte ne längere GB-Pause) einfach fast jede Geschichte mit einem ja ach so befreienden Sprung von der Brücke, daher lässt diese Szene mich mittlerweile gedanklich zusammenbrechen. Aber das, wie gesagt, eben nur am Rande.

(Ich finde übrigens nicht, dass jedes Thema ausgelutscht ist, aber diese Diskussion würde hier wohl zu weit führen Augenzwinkern

edit: Letzten Absatz gelöscht, Lesen hilft
Bourrin
wir können gern diskutieren großes Grinsen Ich respektiere deine Meinung, und nochmal danke für die Verbesserung. Ich habe den Sprung deswegen gewählt, weil es doch ein ziemlich aktuelles Thema ist. Man hört zwar nicht viel in den Medien, auch, weil viele Selbsmorde nicht körperlicher Natur sind.