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NEUER TEIL
Er nahm mich in den Arm, bis ich mich so ausgetrocknet und leer fühlte, dass ich nicht eine Träne mehr hervor brachte. Während die Minuten dahin geronnen waren, hatte er nicht ein Wort gesagt. Sein Schweigen kam im richtigen Augenblick, genau da, wo ich es gebraucht hatte. Ich lehnte meine Stirn an seine Brust und schloss die Augen. Sein Herzschlag ging ruhig und rhythmisch, ich erfühlte ihn mit der rechten Hand und lächelte. Er war wieder da, völlig unerwartet. Ich hatte es noch lange nicht realisiert, demnach konnte ich nicht sagen, ob ich es gut oder schlecht fand. Doch eins konnte ich mit Gewissheit sagen: Seine Nähe zu spüren, hatte mir gefehlt, egal wie sehr ich es die letzte Zeit verdrängt hatte. Ich löste mich von ihm und trat einen Schritt zurück.
„Willst du reinkommen?“ Keine Ahnung, wie lange wir schon in der Tür gestanden hatten. Ich hatte die Sekunden nicht gezählt. Das tat ich nur, wenn er nicht bei mir war.
Nate nickte lächelnd und trat ein. Er streifte die Schuhe ab und schob sie zu den anderen, zog die Jacke aus und hängte sie an den Harken in der Diele. Ganz selbstverständlich für ihn, zu wissen, was er zu tun hatte und wo er was fand. Er war so lange so weit fort gewesen und jetzt wo er zurück kam, schien sich nichts verändert zu haben. Zumindest in seinen Augen. Schließlich standen die Schuhe noch an gleicher Stelle und die Jacken hingen noch am gleichen Harken. Die Küche war immer noch an der gleichen Stelle, sogar der selbe Fußabtreter lag noch vor der Haustür. Wieso hätte er auf Idee kommen sollen, dass sich etwas verändert hatte, während er weg war?
Wir gingen in die Küche, ich schenkte ihm ein Glas Wasser ein und gab es ihm. Er nahm es, trank aber nichts davon. Ich wusste, dass er nicht durstig war. Man sah es ihm an. Trotzdem hatte ich ihm irgendeine Aufmerksamkeit entgegen bringen wollen. Vielleicht war es die falsche gewesen.
Er stellte das Glas auf dem kleinen Tisch, der in der hinteren Küchenecke stand, ab und sah schweigend aus dem Fenster. Seine Lippen formten stumme Worte, ich spürte wie er damit rang, irgendetwas zu sagen.
„Wie war Afrika?“, fragte ich plötzlich und drehte mich geschäftig von ihm weg. Meine Hände wirrten zwischen dem dreckigen Geschirr herum und wussten nichts damit anzufangen. Ich wollte ihm einfach nicht in die schönen, himmelblauen Augen sehen müssen.
„Anders als ich dachte … aber schon irgendwie so wie man es sich vorstellt. Halb verhungerte Menschen, die dir ihr letztes Hemd schenken.“ Es rührte mich nicht. Ich kam mir viel bemitleidenswerter vor als afrikanische Einwohner, die möglicherweise kurz vorm Abkratzen waren. Ich war ein scheiß Egoist. Er konnte mich nicht lieben. Nicht, nachdem er wusste, was in der Welt wirklich vorging. Ich hätte so gerne noch gemeinsam mit ihm meine Augen davor verschlossen, aber jetzt hatte er sehen gelernt und ich war noch immer blind für die Wahrheit.
„Ok“, murmelte ich und begann Wasser einlaufen zu lassen. Ich hörte wie Nate auf mich zu kam, gleich darauf spürte ich seine kräftigen Hände auf meinen schmalen Schultern. „Wieso räumst du das nicht in die Spülmaschine?“ Ich warf einen unsicheren Blick neben mich.Wer hatte diese verdammten Spülmaschinen eigentlich erfunden? Wieso besaßen wir so ein Ding? Wieso klaute sie mir meinen Fluchtweg aus Nates himmelblauen Augen?
„Die ist kaputt“, log ich und drehte mich langsam zu ihm um. Er sah auf mich herab, durchdrang mich mit einfühlsamen Blick. „Was ist wirklich los mit dir?“