nostalgia
Blind sein
- Seine Schritte waren schnell, aber beherrscht - nicht hektisch. Seine Gesichtszüge gleichmütig, schon beinahe etwas gelangweilt und hatten etwas an sich, das die meisten Menschen dazu veranlasste, einen weiten Bogen um ihn zu machen.
Der Regen tropfte schwerfällig vom Himmel, klebte an seinem schwarzen Mantel, seiner blassen Haut und den dunklen Haaren, verwandelte den Staub auf dem Asphalt in Matsch, der sich in feinen Spritzern über seine guten Lederschuhe verteilte. Er schenkte dieser Tatsache nicht einmal eine Sekunde Interesse, sondern ging weiter seines Weges, die Fußgängerzone hinab ohne ein bestimmtes Ziel zu haben. Aber wie kann man auch ein Ziel haben, wenn man nicht sucht, was man finden will?
Seine eisblauen Augen waren stur geradeaus gerichtet und schienen haltlos hin und her zu wandern – nichts war wichtig oder außergewöhnlich genug, um Beachtung zu verdienen. Nicht einmal die hübsche junge Frau, die unnötig dicht an ihm vorüberging und den Blick für einige Sekunden strahlend auf sein Gesicht richtete, aus einem vollkommen unersichtlich Grund lächelte. Ihn anlächelte, obwohl seine Lippen so schnurgerade gezogen waren, dass viele Menschen sich ernstlich fragen mussten, ob er solche Gesten der Freundlichkeit überhaupt beherrschte - und sein Erscheinungsbild auch sonst alles andere als attraktiv oder gar sympathisch war.
Ebenso ignorierte er auch den Straßenmusiker, der nur wenige Meter von ihm entfernt auf seiner Mundharmonika spielte, vom Regen unbeirrt auf dem steinern Sockel eines Denkmals saß und im Takt mit dem Fuß wippte. Hätte er nur für wenige Sekunden innegehalten, um zu lauschen, hätte er sich vielleicht an frühere Zeiten erinnert gefühlt – so aber war er taub für das leise, melancholische Lied.
Seine Schritte wurden schneller, ohne dass er hätte sagen können, wieso. Es war ein drängendes Gefühl tief in seiner Brust, dass ihn vorantrieb, seine Beine zu lenken schien.
Unter dem kleinen Vordach eines Bastelgeschäfts saß ein Mann mittleren Alters, dessen Gesicht um vieles älter wirkte, als es eigentlich war. Seine Wangenknochen waren eingefallen, tiefliegende Augenringe ließen seine Pupillen merkwürdig trüb und leer erscheinen. Seine Kleidung wirkte abgetragen und alt, neben ihm lag ein Rucksack, der wahrscheinlich alles enthielt, was er noch besaß.
Diesen Obdachlosen ignorierte er nicht nur, er vermied es im Gegenteil so offensichtlich, in die Richtung des durchnässt am Boden sitzenden Mannes zu schauen, dass es wahrscheinlich unauffälliger gewesen wäre, wenn er ihn ganz offen angestarrt hätte. Aber das tat er nicht, denn er war es nicht wert, auch nur an einer Sekunde seines Lebens teilzuhaben. Niemand war das.
So ging er also weiter, übersah die bunten Lichter in den Schaufenstern, die in der einbrechenden Dämmerung wie kleine Sterne leuchteten und helle Muster auf den dunklen Asphalt zeichneten. Ihm entgingen auch cid letzten gelben Herbstblätter, die sich dem Wind noch nicht ergeben, sich nicht von den Bäumen hatten reißen lassen und selbst im Regen, im trüben Licht zu strahlen schienen.
Doch dann blieb er plötzlich stehen, hielt einfach in seinen Schritten inne. Etwas hatte seinen Blick eingefangen, hielt ihn fest. Es war unscheinbar, leicht zu übersehen… aber es verdiente Beachtung. Sein Interesse.
Nasses Leder, wahrscheinlich hellbraun, das jetzt jedoch annähernd schwarz wirkte und sich beinahe perfekt an die Umgebung anpasste. Kein Wunder, dass bis jetzt niemand das Portmanie bemerkt hatte, unscheinbar wie es dort neben der Bank lag, halb verdeckt von dem Reifen eines Fahrrads, das irgendjemand dort einfach abgestellt hatte.
Seine Mundwinkel zogen sich leicht nach oben, als er sich wieder langsam in Bewegung setzte. Wer auch immer so tollpatschig gewesen war und die Geldtasche hier verloren hatte – er würde sie nicht mehr wieder finden. Würde auch in keinem Fundbüro Erfolg haben, denn er hatte, was gesucht wurde. Genau genommen hatte er alles, das wusste er nur zu gut. Es fehlte ihm an nichts und allein diese Tatsache ließ die Menschen neidisch werden. Ja, er hatte wirklich alles. Alles, was er je gesucht hatte und vieles, was die anderen suchten. Er wusste einfach, dass es so war und dieser Gedanke erfüllte ihn mit tiefster Zufriedenheit.
Dass er aber nicht hatte, was die anderen bereits besaßen, wusste er nicht. Er wusste nicht, dass selbst der bettelarme Mann am Bastelladen reicher war als er selbst, dass der Straßenmusiker jeden Tag mehr verdiente und bekam als er mit seiner Arbeit im ganzen Jahr.
Er wusste es nicht, und weil er das Wissen darum auch nicht vermisste, erfreute er sich an dem nassen Stück Leder in seinen Händen und setzte seinen Weg fort.
Hm. Ich hänge irgendwie fest, wahrscheinlich weil ich den Text einfach schon zu oft durchgekaut habe - deswegen brauche ich eure Hilfe. Sind manche Abschnitte vielleicht zu bedeutungsschwer, sollte ich die vereinfachen, weil einfach nicht klar wird, was ich sagen will?
Ich wäre wirklich sehr dankbar (: