Lycka
Hej zusammen,
nachdem meine erste Kurzgeschichte völlig überraschend von einem recht bekannten Verlag veröffentlicht worden ist, versuche ich mich nun an ein paar weiteren.
Die folgende wird vermutlich nicht vielen von euch gefallen, aber ich hoffe, trotzdem ein paar positive Kommentare dazu zu bekommen. Viel Spaß beim Lesen.
Everybody on stage! Er hasste diese Lautsprecherstimmen, die jedes Mal viel zu schrill und zu aggressiv an seine Ohren drangen. Gitarren, Bässe, Schlagzeuge, all das konnte ihm gar nicht laut genug sein, doch wenn Menschen zu laut sprachen, wäre er am liebsten ausgetickt.
Genauso war es mit all den Fans, die vor der Bühne standen und schon viele Stunden zuvor an den Eingängen der Halle gewartet hatten. Sie waren doch nichts weiter als schwitzende, exzessive Personen, die nur darauf warteten, ihn in die Hände zu bekommen und zu zerfleischen, ihn in Stücke zu reißen und unter sich aufzuteilen.
Er schüttelte sich. Seine Kehle war trocken geworden und er hatte eine Gänsehaut, wie nahezu vor jedem Konzert. Die Wasserflasche neben ihm war längst leer, sodass er sich nun gerne eine neue geholt hätte, aber die Zeit drängte. Er würde wohl trotz trockener Kehle und flauem Gefühl im Magen auf die Bretter müssen, die die Welt bedeuteten. Wie er diese Bezeichnung hasste. Gab es nicht Dinge im Leben, die unendlich viel mehr wert waren, als vor diesen Leuten zu stehen und zu singen? Seine Familie, seine Freunde, Liebe, Vertrauen und Geborgenheit?
Zitternd ging er auf seine Musiker zu, wurde grinsend begrüßt und rang sich auch selbst ein schwaches Lächeln ab, obwohl ihm zum Heulen zumute war. Früher oder später würde ihn das Lampenfieber umbringen.
Nur noch ein paar Sekunden bis zum Auftritt. Langsam bildeten sich Schweißtropfen auf seiner Stirn und seiner Oberlippe.
Zehn. Er wagte einen Blick hinter den Vorhang. Die Halle war offensichtlich ausverkauft, das erkannte er trotz der blendenden Scheinwerfer, deren Licht zu grell, zu warm war. Und überall diese schreienden Menschen. Warum konnten sie nicht wenigstens ein kleines bisschen leiser sein?
Neun. Ein junges Mädchen in der ersten Reihe hielt ein Schild in die Höhe. Ich liebe dich. Er schüttelte den Kopf und seufzte. In diesem Alter liebte die Kleine vielleicht ihre Kuscheltiere, aber ganz bestimmt nicht ihn, einen Mann Ende zwanzig, schwarzhaarig, mit strahlend blauen Augen und einem Bartansatz. Zum Rasieren kam er bei all dem Stress auf Tour schließlich schon seit Tagen nicht mehr.
Acht. Weiter hinten entdeckte er ein paar Typen, etwa in seinem Alter. Sie waren jetzt schon sturzbesoffen und grölten so laut, dass er meinte, es bis hier zu hören, auch wenn Tausende andere im Saal waren. Irgendwann kippte einer von ihnen versehentlich sein Bier über sein T-Shirt und fing hysterisch an zu lachen.
Sieben. Daneben eine alte Frau, die seine Großmutter hätte sein können. Was wollte die denn hier? Alle redeten immer davon, es sei toll, dass er Musik für sämtliche Generationen mache, doch er empfand das völlig anders. Solche wie sie waren es doch, die die Schuld daran trugen, wenn während eines Gigs irgendwann eine Stimmung wie im Altersheim aufkam. Kein Wunder. Das entsprechende Publikum war ja schon hier.
Sechs. Hinter ihm wurde gewitzelt. Warum konnten diese Idioten nicht ein einziges Mal die Klappe halten? Er hatte es satt, auf der Bühne neben ihnen zu stehen und so zu tun, als wäre er mit ihnen befreundet, doch noch unerträglicher war es im Tourbus. Nie konnte er alleine sein, ständig redete jemand mit ihm, ohne dass er wirklich zugehört hätte, und außer Autos, Alkohol und Sex kannten sie keine Themen. Vielleicht sahen sie ihm manchmal heimlich beim Pinkeln zu, weil sie es geil fanden.
Fünf. Die Luft war viel zu stickig, er konnte kaum noch atmen. Mittlerweile lief der Schweiß ihm in wahren Bächen über den Körper und er ekelte sich vor sich selbst, aber frühestens in zwei Stunden würde er endlich unter die Dusche können. Wenn doch nur dieses Konzert schon vorüber wäre.
Vier. Es war, als hätte jemand versucht, ihn zu ersticken. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand neben sich, versuchte, sich zu beruhigen, was natürlich nicht wirklich klappte, und schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, landete aus den vorderen Reihen ein BH auf der Bühne. Ihm wurde schlecht.
Drei. Der Manager legte ihm aufmunternd eine Hand auf die Schulter. Sein Schützling musste da raus, egal, was passierte, denn schließlich brachte es eine ganze Menge Geld. Was musste er sich auch immer so dumm anstellen. Es war doch nichts dabei, ein Mikrofon in der Hand zu halten und ein wenig vor sich hin zu trällern.
Zwei. Immer mehr machte sich die Unruhe unter den Musikern breit. Hier wurde noch schnell etwas getrunken, da kaute einer auf seinen Nägeln und dort küsste ein Dritter seinen Glücksbringer. Irgendeinen dämlichen Frosch aus Ton, grün lackiert und mit großen Glasaugen. Diese seltsamen Rituale der anderen hatte er noch nie verstanden. Ihn hätte sowas bloß noch nervöser gemacht.
Eins. Einer nach dem anderen betraten sie jetzt endlich die Bühne, suchten sich den kürzesten Weg zu ihren Instrumenten und begannen, die ersten Takte zu spielen. Das Publikum tobte, schrie und war kaum noch unter Kontrolle zu halten, was der Band richtig zu gefallen schien.
Er war wie gelähmt, realisierte die Situation nicht, stand immer noch stocksteif hinter der Bühne. Verpasste seinen Einsatz, wurde vom Manager entsetzt angestarrt und setzte sich endlich in Bewegung, jedoch in genau die andere Richtung. Er grinste. Jahrelang hatte er dieses Martyrium über sich ergehen lassen, doch damit war jetzt endgültig Schluss. Nie wieder Lautsprecherstimmen, verstimmte E-Gitarren und Massenhysterien. Er war frei.
Als er die Halle verließ und in den Regen trat, fing er an zu lachen.
nachdem meine erste Kurzgeschichte völlig überraschend von einem recht bekannten Verlag veröffentlicht worden ist, versuche ich mich nun an ein paar weiteren.
Die folgende wird vermutlich nicht vielen von euch gefallen, aber ich hoffe, trotzdem ein paar positive Kommentare dazu zu bekommen. Viel Spaß beim Lesen.
Countdown
Everybody on stage! Er hasste diese Lautsprecherstimmen, die jedes Mal viel zu schrill und zu aggressiv an seine Ohren drangen. Gitarren, Bässe, Schlagzeuge, all das konnte ihm gar nicht laut genug sein, doch wenn Menschen zu laut sprachen, wäre er am liebsten ausgetickt.
Genauso war es mit all den Fans, die vor der Bühne standen und schon viele Stunden zuvor an den Eingängen der Halle gewartet hatten. Sie waren doch nichts weiter als schwitzende, exzessive Personen, die nur darauf warteten, ihn in die Hände zu bekommen und zu zerfleischen, ihn in Stücke zu reißen und unter sich aufzuteilen.
Er schüttelte sich. Seine Kehle war trocken geworden und er hatte eine Gänsehaut, wie nahezu vor jedem Konzert. Die Wasserflasche neben ihm war längst leer, sodass er sich nun gerne eine neue geholt hätte, aber die Zeit drängte. Er würde wohl trotz trockener Kehle und flauem Gefühl im Magen auf die Bretter müssen, die die Welt bedeuteten. Wie er diese Bezeichnung hasste. Gab es nicht Dinge im Leben, die unendlich viel mehr wert waren, als vor diesen Leuten zu stehen und zu singen? Seine Familie, seine Freunde, Liebe, Vertrauen und Geborgenheit?
Zitternd ging er auf seine Musiker zu, wurde grinsend begrüßt und rang sich auch selbst ein schwaches Lächeln ab, obwohl ihm zum Heulen zumute war. Früher oder später würde ihn das Lampenfieber umbringen.
Nur noch ein paar Sekunden bis zum Auftritt. Langsam bildeten sich Schweißtropfen auf seiner Stirn und seiner Oberlippe.
Zehn. Er wagte einen Blick hinter den Vorhang. Die Halle war offensichtlich ausverkauft, das erkannte er trotz der blendenden Scheinwerfer, deren Licht zu grell, zu warm war. Und überall diese schreienden Menschen. Warum konnten sie nicht wenigstens ein kleines bisschen leiser sein?
Neun. Ein junges Mädchen in der ersten Reihe hielt ein Schild in die Höhe. Ich liebe dich. Er schüttelte den Kopf und seufzte. In diesem Alter liebte die Kleine vielleicht ihre Kuscheltiere, aber ganz bestimmt nicht ihn, einen Mann Ende zwanzig, schwarzhaarig, mit strahlend blauen Augen und einem Bartansatz. Zum Rasieren kam er bei all dem Stress auf Tour schließlich schon seit Tagen nicht mehr.
Acht. Weiter hinten entdeckte er ein paar Typen, etwa in seinem Alter. Sie waren jetzt schon sturzbesoffen und grölten so laut, dass er meinte, es bis hier zu hören, auch wenn Tausende andere im Saal waren. Irgendwann kippte einer von ihnen versehentlich sein Bier über sein T-Shirt und fing hysterisch an zu lachen.
Sieben. Daneben eine alte Frau, die seine Großmutter hätte sein können. Was wollte die denn hier? Alle redeten immer davon, es sei toll, dass er Musik für sämtliche Generationen mache, doch er empfand das völlig anders. Solche wie sie waren es doch, die die Schuld daran trugen, wenn während eines Gigs irgendwann eine Stimmung wie im Altersheim aufkam. Kein Wunder. Das entsprechende Publikum war ja schon hier.
Sechs. Hinter ihm wurde gewitzelt. Warum konnten diese Idioten nicht ein einziges Mal die Klappe halten? Er hatte es satt, auf der Bühne neben ihnen zu stehen und so zu tun, als wäre er mit ihnen befreundet, doch noch unerträglicher war es im Tourbus. Nie konnte er alleine sein, ständig redete jemand mit ihm, ohne dass er wirklich zugehört hätte, und außer Autos, Alkohol und Sex kannten sie keine Themen. Vielleicht sahen sie ihm manchmal heimlich beim Pinkeln zu, weil sie es geil fanden.
Fünf. Die Luft war viel zu stickig, er konnte kaum noch atmen. Mittlerweile lief der Schweiß ihm in wahren Bächen über den Körper und er ekelte sich vor sich selbst, aber frühestens in zwei Stunden würde er endlich unter die Dusche können. Wenn doch nur dieses Konzert schon vorüber wäre.
Vier. Es war, als hätte jemand versucht, ihn zu ersticken. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand neben sich, versuchte, sich zu beruhigen, was natürlich nicht wirklich klappte, und schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, landete aus den vorderen Reihen ein BH auf der Bühne. Ihm wurde schlecht.
Drei. Der Manager legte ihm aufmunternd eine Hand auf die Schulter. Sein Schützling musste da raus, egal, was passierte, denn schließlich brachte es eine ganze Menge Geld. Was musste er sich auch immer so dumm anstellen. Es war doch nichts dabei, ein Mikrofon in der Hand zu halten und ein wenig vor sich hin zu trällern.
Zwei. Immer mehr machte sich die Unruhe unter den Musikern breit. Hier wurde noch schnell etwas getrunken, da kaute einer auf seinen Nägeln und dort küsste ein Dritter seinen Glücksbringer. Irgendeinen dämlichen Frosch aus Ton, grün lackiert und mit großen Glasaugen. Diese seltsamen Rituale der anderen hatte er noch nie verstanden. Ihn hätte sowas bloß noch nervöser gemacht.
Eins. Einer nach dem anderen betraten sie jetzt endlich die Bühne, suchten sich den kürzesten Weg zu ihren Instrumenten und begannen, die ersten Takte zu spielen. Das Publikum tobte, schrie und war kaum noch unter Kontrolle zu halten, was der Band richtig zu gefallen schien.
Er war wie gelähmt, realisierte die Situation nicht, stand immer noch stocksteif hinter der Bühne. Verpasste seinen Einsatz, wurde vom Manager entsetzt angestarrt und setzte sich endlich in Bewegung, jedoch in genau die andere Richtung. Er grinste. Jahrelang hatte er dieses Martyrium über sich ergehen lassen, doch damit war jetzt endgültig Schluss. Nie wieder Lautsprecherstimmen, verstimmte E-Gitarren und Massenhysterien. Er war frei.
Als er die Halle verließ und in den Regen trat, fing er an zu lachen.