kleine-Araberstute
Jaja, ich gebe es zu - ich habe bis jetzt erst einen einzigen Thriller gelesen und erst drei oder vier im Fernsehen gesehen und eigentlich kenne ich mich auf dem Gebiet nicht aus. Aber nach dem Geburtstag meiner Oma hatte ich um 3 Uhr morgens diese Idee - und ich konnte meine Finger nicht still halten.
Ich bin gespannt, was draus wird - und freue mich über Kritik
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Sie starrt ihn an. Auf das blitzende Metall in seiner Hand.
«Nein», wispert sie.
«Oh doch», antwortet er mit grausamer Genugtuung. Er grinst. Hämisch. Tritt einen Schritt näher. Das Messer blitzt im Licht der Straßenlaterne, spiegelt die Angst der jungen Frau. Verspottet sie, lacht sie aus.
«Warum?» Ihre Stimme ist nicht mehr als ein Flüstern, nicht lauter als der Windhauch in den kahlen Zweigen.
Der Mann antwortet nicht durch Worte. Nur das Messer schnellt vor, bohrt sich durch Haut, durch Muskel, durch Fleisch. Tötet.
Sie sinkt zu Boden. Ihr Gesicht angstverzerrt, doch ihre leblosen Augen scheinen ihn fragend anzustarren.
«Weil du wie sie bist.» Er dreht sich um und geht. Fürs erste befriedigt.
Sie lächelte ihn an und er konnte nicht anders, als zurückzulächeln. Drei Wochen hatten gereicht, sein ganzes Leben zu verändern. Drei Wochen und er war geeilt, um nun ein Geschenk in seiner Jackentasche aufzubewahren. Zärtlich dachte er daran. Waren drei Wochen zu wenig? Konnte man sich nach drei Wochen schon so sicher sein, wie er es war? Oder sollte er das alles noch einmal überdenken?
«Du siehst nachdenklich aus», stellte sie fest. Ihre Stimme war hell, klang wie das leise Tönen einer Glocke, die ihn begrüßt und sich freute, dass er nach Hause gekommen war.
Er brauchte keine Zeit mehr. Er war sich sicher. Auch schon nach drei Wochen.
Stumm schüttelte er den Kopf. Die Aufregung schnürte ihm die Kehle zu. Er hatte Angst. Angst vor einer Abweisung. Angst vor einer Zusage. Immer schwerer fühlte sich der Ring in seiner Jackentasche an. Seine Hände zitterten, waren schwitzig. Schnell wischte er sie an seiner Hose ab.
«Was ist los?», ihre Stimme klang nunmehr besorgt und doch vernahm er die leise Neugierde. Nach drei Wochen erkannte er sie.
«Ich liebe dich.» Er krächzte die Wort hervor.
Sie lächelte. «Ich liebe dich», wiederholte sie dann. Wie selbstverständlich. Nach drei Wochen liebten sie sich.
Das schwarze Kästchen fand seinen zittrigen Weg aus seiner Jackentasche. Aus seiner Hand in ihre.
Überrascht huschten ihre Augen darüber, dann suchte sie seinen Blick. Freude strahlte daraus.
«Es ist no-noch früh, i-ich weiß. Aber ... willst du mich heiraten?», stotterte er.
Meine schwarzen Locken wippten fröhlich, als ich die Stufen hinaufeilte. Spät dran, wie immer. Die weißen, sterilen Wände erfüllten ihren Zweck: Alles in mir fühlte sich krank an. Die Luft, die ich einatmete, schmeckte metallisch, mit einem leisen Hauch von altem Kartoffelbrei. Das Licht aus den Neonlampen strahlte auf mich herunter, auf das weiße Linoleum, dessen einziger Zweck war, dass es sich leicht säubern ließ. Blut hatte hier keine Überlebenschancen. Ich fühlte mich unwohl, mein Bauch krampfte sich zusammen, und ich zwang mich, daran zu denken, dass ich gleich Enya wiedersehen würde. Endlich! Enya und Kenny.
Meine Schwester hatte die letzten fünf Jahre in Neuseeland verbracht, geheiratet und sich geschickt um die Besuche an Weihnachten und Ostern gedrückt. Bis sie schwanger geworden war und unsere Mutter sie buchstäblich gezwungen hatte, zurück nach Deutschland zu kommen. Wenn unsere Mutter schon anfängt zu drohen a lá „Liebst du deine Familie denn gar nicht?“ (wobei sie theatralisch die Tränen wegblinzelt), dann ist es besser, ihren Befehlen Folge zu leisten. Bei Befehlsverweigerung sollte man, wie Enya vor fünf Jahren, lieber einen Kontinentenwechsel in Erwägung ziehen, oder doch gleich den ganzen Planeten. Was genau Mutter so gefährlich machte, wussten wir nicht. Vielleicht war es das verräterische Funkeln ihrer eisblauen Augen, die in friedlichen Zeiten schmolzen, oder aber einfach die Art, wie sie ihren Kopf hielt. Leicht schief, dabei mit dem Kinn ein bisschen nach unten zeigend und den Hals nach vorne reckend. Sie wirkte jedenfalls gleichzeitig wie ein Panther vor dem Sprung und ein kleiner Koala, der sich nach Zuneigung sehnte. Das eine Mal, als Enya ihr widersprach und Mike heiratete, hatte zur Folge, dass ich sie fünf Jahre lang nicht gesehen hatte.
Dementsprechend freute ich mich auf die heutige Widervereinigung. Ein größeres Geschenk hätte ich nicht bekommen können; mein Neffe wurde genau 21 Jahre nach mir geboren. Er hatte zwar das Glück, ebenfalls an einem 13. das Licht der Welt zu erblicken, aber Freitag, den 13., hatte er dann doch verpasst. Heute war Dienstag.
Ohne mich um ein warnendes Klopfen zu kümmern, riss ich die Tür zum Krankenzimmer auf und stürzte mit einem freudigen „Enya!“ in den Raum.
Meine Schwester lag in dem Bett am Fenster. Die Wände waren hier in einem sonnigen Gelb gestrichen, doch allein die Anwesenheit des Glücks schaffte die wohlige Atmosphäre, die mich begrüßte. Die anderen beiden Betten waren leer und auch sonst ließ nichts darauf schließen, dass sich meine Schwester das Zimmer mit anderen Frischmüttern teilen musste. Praktisch, aber vermutlich auch ein bisschen einsam, dachte ich, als ich den Blumenstrauß recht achtlos auf den Tisch warf und mich neben Enya stellte. Ihre dunkelbraunen Locken fielen ihr sanft ums Gesicht und breiteten sich fächerartig auf dem Kissen aus, und auch wenn sie ein bisschen bleich um die Nase war, schien sie wohlauf. Ihre blauen Augen blitzten in dem mir so bekannten Tatendrang. Sie war noch nie jemand gewesen, der lange still liegen bleiben konnte. Die Abwechslung würde ihr den letzten Nerv rauben, ihrer Familie jedoch wahrscheinlich nur Gutes tun. Meine Schwester und ich sahen uns ziemlich ähnlich. Beide hatten wir dunkle Locken, auch wenn ihre braun und meine schwarz waren. Bleiche Haut ergänzte den Schneewittchenstil, dafür aber auch recht bleiche Lippen. Trotz der sieben Jahre Altersunterschied hielt man uns oft für Zwillinge, denn die gleiche Lebendigkeit strahlte aus all unseren Bewegungen, die gleiche Ungeduld aus unseren Augen, auch wenn ihre die unserer Mutter ähnelten, ich stattdessen die fast schon schwarzen Augen meines Vaters geerbt hatte. MEINES Vaters, weil unsere Mutter keine Lust auf ein und denselben Mann hatte. Sie war noch nie verheiratet gewesen und die längste Beziehung, die sie gehabt hatte, dauerte ein knappes Jahr lang.
»Summer«, strahlte Enya mich an. Ich knirschte mit den Zähnen, was sie zu einem kurzen Lachen brachte. Summer. Die Ironie meines Lebens. Ich und Sommer? Schlimmer aber noch als mein Name war, dass ich keinem dafür die Schuld geben konnte – außer vielleicht dem Schicksal. Musste wohl gerade einen schlechten Tag gehabt haben. Denn als ich geboren worden war, hatte ich mit hellen, leuchtend braunen Augen das Licht der Welt erblickt und, wie ich mit sämtlichen Kindheitsfotos beweisen konnte, war meine Lockenpracht bis zu meinem dritten Lebensjahr blond. Summer war damals ein durchaus passender Titel gewesen.
Jetzt war er das eindeutig nicht mehr. Ich war bleich, egal, wie lange ich in der Sonne faulenzen würde, und alles, was einem zu meiner Erscheinung einfallen würde, wäre „Brr – kalt“. Enya wusste nur zu genau, wie sehr ich es hasste, wenn man mich mit meinem Namen ansprach. Alles war mir lieber, nur nicht Summer.
Doch ich schluckte meinen leisen Ärger schnell herunter – heute gab es viel Wichtigeres als einen verkorksten Namen. »Und, wo ist er?«, fragte ich und klang dabei bestimmt aufgeregter, als Enya jemals wegen dieser Geburt gewesen war. »Und wie genau ist das eigentlich passiert?!«
»Er schläft und der Arzt untersucht ihn noch einmal, ob alles stimmt. In ein paar Minuten dürftest du ihn kennen lernen.« Enya lächelte. »Naja, du weißt ja. Bist ein bisschen alt dafür, also, dass du solche Fragen stellst. Zuerst einmal braucht man ein Bienchen. Und ein Blümchen…«
Ich lachte schallend und der Laut wurde von den Wänden zurückgeworfen. Auch Enya musste jetzt breit grinsen.
»Schön dich zu sehen!« Ich beugte mich vor und wir umarmten uns. Es tat so gut, meine Schwester wieder bei mir zu haben. »War Mutter schon da?«
»Nope, sie dürfte jeden Augenblick eintreffen.«
Ich blickte in Enyas nun ernste Augen. Der Streit zwischen ihr und meiner Mutter saß noch immer tief, und auch wenn Mum sich auf den Nachwuchs freute, so freute sie sich keineswegs, dass Mike jetzt richtig zur Familie gehörte. Aber sie würde schon darüber hinwegkommen.
»Mach dir mal keinen Kopf«, beruhigte ich Enya, »schließlich bin ich als Streitschlichterin gekommen.« Wir lachten wieder. Es war allgemein bekannt, dass ich überhaupt nicht als Medium geeignet war – ich konnte mir selten etwas behalten und wenn ich es wiedergab, dann entweder im falschen Ton oder ich verdrehte den Sinn. »Jetzt aber mal ernst – ich dachte du und Mike, ihr wollt keine Kinder?«
»Wollten.« Enyas Augen wurden wieder weich. »Es war ein kleiner Schock, als ich es gemerkt habe, das ist schon wahr. Ich habe ja auch immer die Pille genommen und wir haben aufgepasst, aber als es dann unterwegs war – haben wir es nicht aufgehalten. Wir kriegen das schon irgendwie hin.«
Enya war Sängerin und oft mit ihrer Band auf Tour. Mike war der Schlagzeuger – wie ein Kind da reinpassen sollte müssten sie mir erst zeigen, ehe ich es glauben würde.
Die Tür wurde aufgerissen und eine aufgeregte Mutter schaute uns an. »Wo ist der Kleine?«, rief sie begeistert und stürmte ans Bett. »Wo ist mein Enkel?« Dann wurde ihr Gesicht todernst. »Dass ihr ihn Kenny nennt, verzeihe ich dir übrigens nie«, sagte sie bedrohlich leise zu meiner Schwester.
Enya und ich konnten uns das Lachen kaum verkneifen. Kenny – das passte wieder total zu ihr.
Die nächste Dreiviertel Stunde verbrachten wir damit, Enya immer wieder zu sagen, wie hübsch ihr Sohn sei. Er hatte strahlend blaue Augen und nach dem bisschen Flaum, das auf seinem Kopf vorhanden war, schlossen wir, dass er sehr dunkle Haare haben würde. Gleichzeitig hatte er aber den etwas dunkleren Hautton von Mike geerbt, der mittlerweile auch wieder eingetroffen war, nachdem er die letzte Stunde vor dem Telefon verbracht hatte, um seiner Familie und seinen Freunden von dem Nachwuchs zu berichten. Und seine markanten Gesichtszüge, vermischt mit Enyas Sanftheit. Vielleicht bildeten wir uns das alles aber auch nur ein.
Ich hatte mich angeboten, für alle Kaffee zu besorgen. Ich wollte Mutter, Enya und Mike ein bisschen Zeit lassen, sich wieder aneinander zu gewöhnen und friedlich in einem Raum beisammen zu sein. Ich war mir sicher, dass Kenny einen positiven Einfluss auf die Atmosphäre hatte.
Als ich die Tür hinter mir schloss, verstummte auch Mums begeistertes «Jajaja, mein kleiner, süßer Ken-Spatz». Sie weigerte sich dickköpfig, ihn Kenny zu nennen und hatte ihm stattdessen den viel schlimmeren Namen Ken gegeben. In einem Anflug von Sarkasmus sah ich mich um, ob nicht irgendwo Barbie auftauchte. Der Flur war wie leergefegt. Zügigen Schrittes ging ich über das Linoleum. Jetzt, da ich das Zimmer meiner Schwester verlassen hatte, drückte die Kränkenhausatmosphäre bedrohlich von allen Seiten. Die Präsenz von Krankheit spürte ich mit jeder Faser meines Körpers, auch wenn ich gedämpftes Babygeschrei hören konnte. Jetzt mach mal halblang, rede ich mir selbst zu. Schließlich war ich auf der Neugeborenenstation!
Ich bog um die Ecke und es wurde wieder etwas angenehmer. Zu beiden Seiten hatte jemand versucht, durch bunte Bilder eine angenehme Stimmung zu wecken, und ein paar Krankenschwestern wuselten auf dem Gang herum, umgeben von einzelnen Besuchern. Ich ging zum Ende des Flurs und warf ein paar Münzen in den Automaten, zog einen Espresso für Mutter, einen Cappuccino für Mike und einen Latte Macchiato für mich. Dann stellte ich mich vor den Automaten und warf das Geld für Enyas Apfelschorle ein.
Ein Prickeln im Nacken ließ mich über meine Schulter schauen. Auf den ersten Blick schien mich keiner zu beachten, doch dann sah ich ihn.
Er stand etwa in der Mitte des Flurs, an die Wand gelehnt, die Augen erst auf mich, dann, als er bemerkte, dass ich ihn ansah, schnell auf den Boden gerichtet. Seine Haare waren braun, verwuschelt und ein paar Strähnen hingen ihm in die Augen. Er war groß, bestimmt einen Kopf größer als meine 1,72. Das dunkelblaue T-Shirt lag eng an seinem Körper, und als ich mich leicht drehte, um ihn besser betrachten zu können, musste ich feststellen, dass er ziemlich muskulös war. Nicht etwa so, als würde er regelmäßig im Fitnessstudio reinschneien, sondern auf eine natürliche Art und Weise. Anziehende Art und Weise. Er trug eine ausgewaschene Blue-Jeans und schwarze Chucks, seine Daumen hatte er in die Gürtelschlaufen gesteckt. Ich musste zugeben, dass er gut aussah, sehr gut. Die leicht gebräunte Haut schmiegte sich perfekt in sein Aussehen. Total entspannt. Aber sein Gesicht wirkte nicht entspannt. Eher gequält, irgendwie.
Mit einem lauten Poltern, das mich zusammenzucken ließ, spuckte der Automat die Apfelschorle aus. Ich nahm sie aus dem Fach und drehte mich um, das Gesicht unter meinen Haaren verborgen, die Augen noch immer an ihn geheftet. Ich wusste nicht, woran ich ausmachte, dass er traurig aussah. Sein Gesicht war total entspannt, seine Schultern hingen nicht, seine Mundwinkel waren sogar leicht hochgezogen. Trotzdem – das Ganze wirkte für mich, als sei er nur ein Schauspieler, der sich alle Mühe gab, nicht aufzufallen und entspannt auszusehen. Vielleicht interpretierte ich aber auch mal wieder viel zu viel in irgendwelche Kleinigkeiten, die im Endeffekt gar nicht existierten.
Ich zwang mich, meinen Blick starr auf den Boden zu richten und eilte an ihm vorbei den Gang entlang. Ich hätte schwören können, dass er mich beobachtete, wie ich um die Ecke bog, und atmete erleichtert auf, als ich aus seinem Blickfeld verschwunden war. Komisch. Ich schnaubte belustigt, um mir selbst klar zu machen, wie lächerlich ich mich verhielt. Der Typ stand da einfach nur und ich redete mir mal wieder totalen Unsinn ein. Aber das Kribbeln, das in meinem Nacken begonnen hatte, machte es sich jetzt in meiner Magengegend gemütlich.
Einmal tief durchatmend öffnete ich die Tür zu Enyas Zimmer und war froh, als mich die wohlige Atmosphäre wieder willkommen hieß und mich gänzlich einhüllte.
Aber das Gefühl von Unbehagen und die große Anziehungskraft, die er gleichzeitig auf mich ausübte, vergaß ich nie.
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Fortsetzung folgt ('tschuldigung, dass ich nicht das ganze erste Kapitel on stelle)
Liebe Grüße
Kerstin
Ich bin gespannt, was draus wird - und freue mich über Kritik

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Weil du wie sie bist
Bist du wie sie?
Ich werde dich finden.
Fürchte deinen Schatten, dein Spiegelbild.
Mich fürchtest du erst, wenn es schon zu spät ist.
Bist du wie sie?
Ich werde dich finden.
Fürchte deinen Schatten, dein Spiegelbild.
Mich fürchtest du erst, wenn es schon zu spät ist.
Januar
Kapitel 1
Kapitel 1
Sie starrt ihn an. Auf das blitzende Metall in seiner Hand.
«Nein», wispert sie.
«Oh doch», antwortet er mit grausamer Genugtuung. Er grinst. Hämisch. Tritt einen Schritt näher. Das Messer blitzt im Licht der Straßenlaterne, spiegelt die Angst der jungen Frau. Verspottet sie, lacht sie aus.
«Warum?» Ihre Stimme ist nicht mehr als ein Flüstern, nicht lauter als der Windhauch in den kahlen Zweigen.
Der Mann antwortet nicht durch Worte. Nur das Messer schnellt vor, bohrt sich durch Haut, durch Muskel, durch Fleisch. Tötet.
Sie sinkt zu Boden. Ihr Gesicht angstverzerrt, doch ihre leblosen Augen scheinen ihn fragend anzustarren.
«Weil du wie sie bist.» Er dreht sich um und geht. Fürs erste befriedigt.
Sie lächelte ihn an und er konnte nicht anders, als zurückzulächeln. Drei Wochen hatten gereicht, sein ganzes Leben zu verändern. Drei Wochen und er war geeilt, um nun ein Geschenk in seiner Jackentasche aufzubewahren. Zärtlich dachte er daran. Waren drei Wochen zu wenig? Konnte man sich nach drei Wochen schon so sicher sein, wie er es war? Oder sollte er das alles noch einmal überdenken?
«Du siehst nachdenklich aus», stellte sie fest. Ihre Stimme war hell, klang wie das leise Tönen einer Glocke, die ihn begrüßt und sich freute, dass er nach Hause gekommen war.
Er brauchte keine Zeit mehr. Er war sich sicher. Auch schon nach drei Wochen.
Stumm schüttelte er den Kopf. Die Aufregung schnürte ihm die Kehle zu. Er hatte Angst. Angst vor einer Abweisung. Angst vor einer Zusage. Immer schwerer fühlte sich der Ring in seiner Jackentasche an. Seine Hände zitterten, waren schwitzig. Schnell wischte er sie an seiner Hose ab.
«Was ist los?», ihre Stimme klang nunmehr besorgt und doch vernahm er die leise Neugierde. Nach drei Wochen erkannte er sie.
«Ich liebe dich.» Er krächzte die Wort hervor.
Sie lächelte. «Ich liebe dich», wiederholte sie dann. Wie selbstverständlich. Nach drei Wochen liebten sie sich.
Das schwarze Kästchen fand seinen zittrigen Weg aus seiner Jackentasche. Aus seiner Hand in ihre.
Überrascht huschten ihre Augen darüber, dann suchte sie seinen Blick. Freude strahlte daraus.
«Es ist no-noch früh, i-ich weiß. Aber ... willst du mich heiraten?», stotterte er.
Meine schwarzen Locken wippten fröhlich, als ich die Stufen hinaufeilte. Spät dran, wie immer. Die weißen, sterilen Wände erfüllten ihren Zweck: Alles in mir fühlte sich krank an. Die Luft, die ich einatmete, schmeckte metallisch, mit einem leisen Hauch von altem Kartoffelbrei. Das Licht aus den Neonlampen strahlte auf mich herunter, auf das weiße Linoleum, dessen einziger Zweck war, dass es sich leicht säubern ließ. Blut hatte hier keine Überlebenschancen. Ich fühlte mich unwohl, mein Bauch krampfte sich zusammen, und ich zwang mich, daran zu denken, dass ich gleich Enya wiedersehen würde. Endlich! Enya und Kenny.
Meine Schwester hatte die letzten fünf Jahre in Neuseeland verbracht, geheiratet und sich geschickt um die Besuche an Weihnachten und Ostern gedrückt. Bis sie schwanger geworden war und unsere Mutter sie buchstäblich gezwungen hatte, zurück nach Deutschland zu kommen. Wenn unsere Mutter schon anfängt zu drohen a lá „Liebst du deine Familie denn gar nicht?“ (wobei sie theatralisch die Tränen wegblinzelt), dann ist es besser, ihren Befehlen Folge zu leisten. Bei Befehlsverweigerung sollte man, wie Enya vor fünf Jahren, lieber einen Kontinentenwechsel in Erwägung ziehen, oder doch gleich den ganzen Planeten. Was genau Mutter so gefährlich machte, wussten wir nicht. Vielleicht war es das verräterische Funkeln ihrer eisblauen Augen, die in friedlichen Zeiten schmolzen, oder aber einfach die Art, wie sie ihren Kopf hielt. Leicht schief, dabei mit dem Kinn ein bisschen nach unten zeigend und den Hals nach vorne reckend. Sie wirkte jedenfalls gleichzeitig wie ein Panther vor dem Sprung und ein kleiner Koala, der sich nach Zuneigung sehnte. Das eine Mal, als Enya ihr widersprach und Mike heiratete, hatte zur Folge, dass ich sie fünf Jahre lang nicht gesehen hatte.
Dementsprechend freute ich mich auf die heutige Widervereinigung. Ein größeres Geschenk hätte ich nicht bekommen können; mein Neffe wurde genau 21 Jahre nach mir geboren. Er hatte zwar das Glück, ebenfalls an einem 13. das Licht der Welt zu erblicken, aber Freitag, den 13., hatte er dann doch verpasst. Heute war Dienstag.
Ohne mich um ein warnendes Klopfen zu kümmern, riss ich die Tür zum Krankenzimmer auf und stürzte mit einem freudigen „Enya!“ in den Raum.
Meine Schwester lag in dem Bett am Fenster. Die Wände waren hier in einem sonnigen Gelb gestrichen, doch allein die Anwesenheit des Glücks schaffte die wohlige Atmosphäre, die mich begrüßte. Die anderen beiden Betten waren leer und auch sonst ließ nichts darauf schließen, dass sich meine Schwester das Zimmer mit anderen Frischmüttern teilen musste. Praktisch, aber vermutlich auch ein bisschen einsam, dachte ich, als ich den Blumenstrauß recht achtlos auf den Tisch warf und mich neben Enya stellte. Ihre dunkelbraunen Locken fielen ihr sanft ums Gesicht und breiteten sich fächerartig auf dem Kissen aus, und auch wenn sie ein bisschen bleich um die Nase war, schien sie wohlauf. Ihre blauen Augen blitzten in dem mir so bekannten Tatendrang. Sie war noch nie jemand gewesen, der lange still liegen bleiben konnte. Die Abwechslung würde ihr den letzten Nerv rauben, ihrer Familie jedoch wahrscheinlich nur Gutes tun. Meine Schwester und ich sahen uns ziemlich ähnlich. Beide hatten wir dunkle Locken, auch wenn ihre braun und meine schwarz waren. Bleiche Haut ergänzte den Schneewittchenstil, dafür aber auch recht bleiche Lippen. Trotz der sieben Jahre Altersunterschied hielt man uns oft für Zwillinge, denn die gleiche Lebendigkeit strahlte aus all unseren Bewegungen, die gleiche Ungeduld aus unseren Augen, auch wenn ihre die unserer Mutter ähnelten, ich stattdessen die fast schon schwarzen Augen meines Vaters geerbt hatte. MEINES Vaters, weil unsere Mutter keine Lust auf ein und denselben Mann hatte. Sie war noch nie verheiratet gewesen und die längste Beziehung, die sie gehabt hatte, dauerte ein knappes Jahr lang.
»Summer«, strahlte Enya mich an. Ich knirschte mit den Zähnen, was sie zu einem kurzen Lachen brachte. Summer. Die Ironie meines Lebens. Ich und Sommer? Schlimmer aber noch als mein Name war, dass ich keinem dafür die Schuld geben konnte – außer vielleicht dem Schicksal. Musste wohl gerade einen schlechten Tag gehabt haben. Denn als ich geboren worden war, hatte ich mit hellen, leuchtend braunen Augen das Licht der Welt erblickt und, wie ich mit sämtlichen Kindheitsfotos beweisen konnte, war meine Lockenpracht bis zu meinem dritten Lebensjahr blond. Summer war damals ein durchaus passender Titel gewesen.
Jetzt war er das eindeutig nicht mehr. Ich war bleich, egal, wie lange ich in der Sonne faulenzen würde, und alles, was einem zu meiner Erscheinung einfallen würde, wäre „Brr – kalt“. Enya wusste nur zu genau, wie sehr ich es hasste, wenn man mich mit meinem Namen ansprach. Alles war mir lieber, nur nicht Summer.
Doch ich schluckte meinen leisen Ärger schnell herunter – heute gab es viel Wichtigeres als einen verkorksten Namen. »Und, wo ist er?«, fragte ich und klang dabei bestimmt aufgeregter, als Enya jemals wegen dieser Geburt gewesen war. »Und wie genau ist das eigentlich passiert?!«
»Er schläft und der Arzt untersucht ihn noch einmal, ob alles stimmt. In ein paar Minuten dürftest du ihn kennen lernen.« Enya lächelte. »Naja, du weißt ja. Bist ein bisschen alt dafür, also, dass du solche Fragen stellst. Zuerst einmal braucht man ein Bienchen. Und ein Blümchen…«
Ich lachte schallend und der Laut wurde von den Wänden zurückgeworfen. Auch Enya musste jetzt breit grinsen.
»Schön dich zu sehen!« Ich beugte mich vor und wir umarmten uns. Es tat so gut, meine Schwester wieder bei mir zu haben. »War Mutter schon da?«
»Nope, sie dürfte jeden Augenblick eintreffen.«
Ich blickte in Enyas nun ernste Augen. Der Streit zwischen ihr und meiner Mutter saß noch immer tief, und auch wenn Mum sich auf den Nachwuchs freute, so freute sie sich keineswegs, dass Mike jetzt richtig zur Familie gehörte. Aber sie würde schon darüber hinwegkommen.
»Mach dir mal keinen Kopf«, beruhigte ich Enya, »schließlich bin ich als Streitschlichterin gekommen.« Wir lachten wieder. Es war allgemein bekannt, dass ich überhaupt nicht als Medium geeignet war – ich konnte mir selten etwas behalten und wenn ich es wiedergab, dann entweder im falschen Ton oder ich verdrehte den Sinn. »Jetzt aber mal ernst – ich dachte du und Mike, ihr wollt keine Kinder?«
»Wollten.« Enyas Augen wurden wieder weich. »Es war ein kleiner Schock, als ich es gemerkt habe, das ist schon wahr. Ich habe ja auch immer die Pille genommen und wir haben aufgepasst, aber als es dann unterwegs war – haben wir es nicht aufgehalten. Wir kriegen das schon irgendwie hin.«
Enya war Sängerin und oft mit ihrer Band auf Tour. Mike war der Schlagzeuger – wie ein Kind da reinpassen sollte müssten sie mir erst zeigen, ehe ich es glauben würde.
Die Tür wurde aufgerissen und eine aufgeregte Mutter schaute uns an. »Wo ist der Kleine?«, rief sie begeistert und stürmte ans Bett. »Wo ist mein Enkel?« Dann wurde ihr Gesicht todernst. »Dass ihr ihn Kenny nennt, verzeihe ich dir übrigens nie«, sagte sie bedrohlich leise zu meiner Schwester.
Enya und ich konnten uns das Lachen kaum verkneifen. Kenny – das passte wieder total zu ihr.
Die nächste Dreiviertel Stunde verbrachten wir damit, Enya immer wieder zu sagen, wie hübsch ihr Sohn sei. Er hatte strahlend blaue Augen und nach dem bisschen Flaum, das auf seinem Kopf vorhanden war, schlossen wir, dass er sehr dunkle Haare haben würde. Gleichzeitig hatte er aber den etwas dunkleren Hautton von Mike geerbt, der mittlerweile auch wieder eingetroffen war, nachdem er die letzte Stunde vor dem Telefon verbracht hatte, um seiner Familie und seinen Freunden von dem Nachwuchs zu berichten. Und seine markanten Gesichtszüge, vermischt mit Enyas Sanftheit. Vielleicht bildeten wir uns das alles aber auch nur ein.
Ich hatte mich angeboten, für alle Kaffee zu besorgen. Ich wollte Mutter, Enya und Mike ein bisschen Zeit lassen, sich wieder aneinander zu gewöhnen und friedlich in einem Raum beisammen zu sein. Ich war mir sicher, dass Kenny einen positiven Einfluss auf die Atmosphäre hatte.
Als ich die Tür hinter mir schloss, verstummte auch Mums begeistertes «Jajaja, mein kleiner, süßer Ken-Spatz». Sie weigerte sich dickköpfig, ihn Kenny zu nennen und hatte ihm stattdessen den viel schlimmeren Namen Ken gegeben. In einem Anflug von Sarkasmus sah ich mich um, ob nicht irgendwo Barbie auftauchte. Der Flur war wie leergefegt. Zügigen Schrittes ging ich über das Linoleum. Jetzt, da ich das Zimmer meiner Schwester verlassen hatte, drückte die Kränkenhausatmosphäre bedrohlich von allen Seiten. Die Präsenz von Krankheit spürte ich mit jeder Faser meines Körpers, auch wenn ich gedämpftes Babygeschrei hören konnte. Jetzt mach mal halblang, rede ich mir selbst zu. Schließlich war ich auf der Neugeborenenstation!
Ich bog um die Ecke und es wurde wieder etwas angenehmer. Zu beiden Seiten hatte jemand versucht, durch bunte Bilder eine angenehme Stimmung zu wecken, und ein paar Krankenschwestern wuselten auf dem Gang herum, umgeben von einzelnen Besuchern. Ich ging zum Ende des Flurs und warf ein paar Münzen in den Automaten, zog einen Espresso für Mutter, einen Cappuccino für Mike und einen Latte Macchiato für mich. Dann stellte ich mich vor den Automaten und warf das Geld für Enyas Apfelschorle ein.
Ein Prickeln im Nacken ließ mich über meine Schulter schauen. Auf den ersten Blick schien mich keiner zu beachten, doch dann sah ich ihn.
Er stand etwa in der Mitte des Flurs, an die Wand gelehnt, die Augen erst auf mich, dann, als er bemerkte, dass ich ihn ansah, schnell auf den Boden gerichtet. Seine Haare waren braun, verwuschelt und ein paar Strähnen hingen ihm in die Augen. Er war groß, bestimmt einen Kopf größer als meine 1,72. Das dunkelblaue T-Shirt lag eng an seinem Körper, und als ich mich leicht drehte, um ihn besser betrachten zu können, musste ich feststellen, dass er ziemlich muskulös war. Nicht etwa so, als würde er regelmäßig im Fitnessstudio reinschneien, sondern auf eine natürliche Art und Weise. Anziehende Art und Weise. Er trug eine ausgewaschene Blue-Jeans und schwarze Chucks, seine Daumen hatte er in die Gürtelschlaufen gesteckt. Ich musste zugeben, dass er gut aussah, sehr gut. Die leicht gebräunte Haut schmiegte sich perfekt in sein Aussehen. Total entspannt. Aber sein Gesicht wirkte nicht entspannt. Eher gequält, irgendwie.
Mit einem lauten Poltern, das mich zusammenzucken ließ, spuckte der Automat die Apfelschorle aus. Ich nahm sie aus dem Fach und drehte mich um, das Gesicht unter meinen Haaren verborgen, die Augen noch immer an ihn geheftet. Ich wusste nicht, woran ich ausmachte, dass er traurig aussah. Sein Gesicht war total entspannt, seine Schultern hingen nicht, seine Mundwinkel waren sogar leicht hochgezogen. Trotzdem – das Ganze wirkte für mich, als sei er nur ein Schauspieler, der sich alle Mühe gab, nicht aufzufallen und entspannt auszusehen. Vielleicht interpretierte ich aber auch mal wieder viel zu viel in irgendwelche Kleinigkeiten, die im Endeffekt gar nicht existierten.
Ich zwang mich, meinen Blick starr auf den Boden zu richten und eilte an ihm vorbei den Gang entlang. Ich hätte schwören können, dass er mich beobachtete, wie ich um die Ecke bog, und atmete erleichtert auf, als ich aus seinem Blickfeld verschwunden war. Komisch. Ich schnaubte belustigt, um mir selbst klar zu machen, wie lächerlich ich mich verhielt. Der Typ stand da einfach nur und ich redete mir mal wieder totalen Unsinn ein. Aber das Kribbeln, das in meinem Nacken begonnen hatte, machte es sich jetzt in meiner Magengegend gemütlich.
Einmal tief durchatmend öffnete ich die Tür zu Enyas Zimmer und war froh, als mich die wohlige Atmosphäre wieder willkommen hieß und mich gänzlich einhüllte.
Aber das Gefühl von Unbehagen und die große Anziehungskraft, die er gleichzeitig auf mich ausübte, vergaß ich nie.
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Fortsetzung folgt ('tschuldigung, dass ich nicht das ganze erste Kapitel on stelle)
Liebe Grüße
Kerstin