kleine-Araberstute
Hey Guys,
ich habe mir gestern ein neues kleines Notizbüchleich gekauft und hatte eigentlich vor, dort so etwas wie "Morgenseiten" niederzuschreiben. Morgenseiten sind eben Seiten, die man am Morgen schreibt. Nicht wirklich Tagebuch, aber so ähnlich.
Ich hatte gerade das Datum geschrieben, als ich eine Stimme in meinem Kopf hörte.
Chiara war geboren. Naja, also, ich hab die ersten Morgenseiten abgetippt und bin gespannt, was ihr dazu sagt
Die Geschichte soll zur Unterhaltung dienen.
Wichtig: Das bin >nicht< ich, die da spricht. Das ist ein erfundender Charakter! Alles, was ab jetzt kommt, ist nicht mehr von mir, Kerstin, sondern von meinem Charakter
Man muss sich das ganze als handgeschrieben vorstellen
Liebe Grüße
Kerstin
P.S.: Ich würd's gerne nochmal betonen: Das Ganze soll >keine< Liebesgeschichte werden
Zumindest keine "Acccchhh...wie süüüß-Kitsch"
Okay, den ersten Nachteil dieses Stiftes habe ich bereits entdeckt: Er schmiert. Na toll … und er kratzt übers Papier. Super.
Fangen wir also an. Je schneller, desto besser.
Besteht aus zwei zusammengesetzten Worten: Morgen und Seiten. Zweites ist schon mal zu Genüge vorhanden. Eine Seite nach der anderen, alle (noch) weiß warten hier auf meine verunstaltende Schrift.
Über den ‚Morgen’ lässt sich streiten, aber ich vermute – zumindest nach der Definition der Mehrheit -, dass 16:15 Uhr nicht mehr dazu zählt, oder? Mist. Erste Bedingung nicht erfüllt.
Aber das ist ja mal wieder typisch für mich, ich mache eben nichts konsequent. Nicht mal so etwas Leichtes wie die Morgenseiten auch wirklich am Morgen zu schreiben bekomme ich hin.
„Naja“, konnte jetzt vielleicht der eine oder andere widersprechen, „geht ja auch schlecht, wenn du dieses Heft erst gerade gekauft hast.“
„Gut“, würde ich dann entgegen. „Aber ich wette, dass ich spätestens übermorgen erst mittags schreiben werde.“ Ja, ich bin überzeugte Pessimistin mit optimistischem Flair – klingt widersprüchlich, trifft es aber perfekt.
Okay, da ihr meine Einstellung bereits kennt, verrat ich euch ein bisschen mehr. Ich bin 16 Jahre alt. Ja, verdammt, das war eine Lüge. Ich gestehe. Aber 16 klingt doch einfach besser, erwachsene als 15, oder? Naja, ich bin fast 16. Okay, das ist wieder gelogen. Zumindest, wenn ihr unter ‚fast’ das Gleiche versteht wie ein Großteil der Bevölkerung. Lasst mich raten, für euch zählt ‚in zehn Monaten’ nicht mehr zu ‚fast’, oder?
Überredet, ich spreche ja schon Klartext. Seit zwei Monaten kann ich mich 15 Jahre alt schimpfen, seit meiner Geburt schimpfen mich andere Chiara. Das muss man sich mal vorstellen – Chiara! Mit diesem Namen haben meine Eltern es geschafft, mich für mein Leben zu strafen – nicht, dass ich das durch mein Aussehen nicht schon genug bin. Aber der Reihe nach.
Also, wie gesagt, meine Eltern tauften mich Chiara, kurz Kiki, und schafften es dadurch, dass ich mein Leben lang nicht ernst genommen werde. Ich meine, man stelle sich das einmal vor:
Draußen ist es kalt. Es schneit. Auf den Straßen hetzen die Menschen, Kopf eingezogen, Hände tief in den Taschen vergraben, Kapuzen übers Gesicht. Jeder ist in Eile, jeder möchte schnell ins Warme.
Auch die junge Frau, die auf den Fußballen wippend an der Ampel wartet. Das Großstadtgetöse übertönt ihre leise gemurmelten Flüche.
Endlich springt die Ampel auf Grün. Mit einer beachtlichen Schnelligkeit rennt die junge Frau über die vereiste Straße, stolpert, fängt sich wieder und rennt weiter. Ihre roten Haare lösen sich aus dem Zopf, als der Wind ihr die Kapuze vom Kopf weht. Sie rennt weiter. Panisch blickt sie auf die Uhr. Noch fünf Minuten, noch um zwei Straßenecken. Hoffnung blitzt in ihren rehbraunen Augen auf. Ihre Schritte werden sicherer, sie kann es schaffen. Fußgänger rempelt sie an, entschuldigt sich, während sie weiter rennt. Sie biegt um die Ecke, erlaubt es sich, etwas langsamer zu werden, um noch genügend Luft zu bekommen.
Der Wind reißt der jungen Frau den Schal vom Hals und weht ihn in eine Pfütze.
„Scheiße!“, flucht sie, bleibt stehen und fischt den tropfenden Stoff aus dem Nass. Doch ihr bleibt keine Zeit sich zu ärgern. Gereizt stopft sie den Schal in ihre Handtasche und rennt weiter. Immer weiter.
Noch zwei Minuten. Sie biegt gehetzt um die nächste Ecke. 5o Meter. Ein Lächeln macht sich auf ihrem Gesicht breit.
Keuchend erreicht sie die Tür, blickt auf ihre Armbanduhr, streicht sich die Haare zurück hinter die Ohren, atmet tief durch und klingelt.
Kurz darauf betritt sie das Büro.
„Guten Tag“, lächelt sie, noch etwas außer Atem.
Der ältere Herr blickt von seinen Unterlagen auf. Er lächelt nicht.
„Guten Tag. Sie sind also Chiara Cock.“
Sein Blick schweift über ihre geröteten Wangen, die Strähne, die ihr ins Gesicht rutscht und den Zipfel Stoff, der aus ihrer Tasche hängt.
Und die junge Frau weiß: sie hat keine Chance, die Stelle zu kriegen.
Äh, was hatte ich erzählen wollen? Ach ja, genau, mein Name. Schon in der Grundschule stockten die Lehrerinnen immer, wenn sie das erste Mal meinen Namen lasen.
„Ist Chiara Cock anwesend?“ Und dabei schauten sie sich immer so mitfühlend und verständnisvoll um. Ganz nach dem Motto: Armes Kindchen.
Und es stimmt ja auch. Wer will schon Chiara Cock, C.C., heißen?!
Name zu verkaufen! Ich gebe gerne ab.
Meine Eltern jedenfalls sind begeistert von dieser tollen Namenswahl. Mindestens genauso begeistert wie von meiner Haarfarbe. Leuchtend rot. Rot! Ich meine, nicht nur, dass ich neben normalen Namen wie Katrin, Laura, Hannah oder Sarah einfach nur lächerlich daherkomme, ich sehe auch noch aus wie eine Außenseiterin, wie das arme Kindchen. Okay, Chiara ist im Gegensatz zu Trixie oder ähnlichem ja noch mehr oder minder passabel, aber eben auch nur neben solch lächerlichen Namen. Und: wie groß ist die Chance in Deutschland, dass man blonde Haare hat? Sehr groß. Übermäßig groß. Aber nein, meine Haare sind lang, voll und rot. Aber, und das muss man ihnen echt lassen, sie sind glatt. Glatt und seidig. Nicht wie die von Jenny, zwar wunderschön blond, aber wellig. Oder die von Katrin, braun, kurz und mit Korkenzieherlocken.
Schlimme Haare und einen noch schlimmeren Namen, aber tolle Augen. Das muss ich zugeben. Rehbraun, groß und mit langen Wimpern. Wimpern, die – warum auch immer, nicht rötlich, sondern schwarz sind. Der Nachteil: Meine Zehneuro-Mascara ist für’n Arsch. (Bitte nicht wörtlich nehmen. Danke.)
Meine tollen Augen hab ich von meiner Mutter, Sandra. Nur bei ihr passt alles zusammen, was bei mir wild gemischt ist. Sie hat lange, wunderschöne schokoladenbraune Haare, die gleichen Augen wie ich (nur mit niedlichen Lachfältchen), einen großen, vollen Mund, eine spitze, drollige Nase, einen vollen Busen und nicht mal den Ansatz eines Bauches. Früher war sie mal Model, das erklärt alles. Sie meint dauernd, dass sie schon längst zu alt dafür sei, aber ab und zu springt sie noch mal vor die Kamera. Den Rest des Jahres verbringt sie im Büro, als Sekretärin, das, was auch ich mal werden möchte.
Mein Vater, Klaus, ist Fotograf. Drei Mal dürft ihr raten, wie sie sich kennen gelernt haben. Nein, er hat sie nicht fotografiert. Viel schlimmer.
Ihre beste Freundin, der Grund, warum ich diesen Namen trage, starb kurz vor meiner Geburt bei einem Autounfall. Sie hieß Chiara.
Jedenfalls war sie es, die von Paps Linse posiert und ihn dann nach einem Date gefragt hatte. Wie es das Schicksal aber so wollte fand sie auf der Bahnfahrt zu diesem Date die große Liebe ihres Lebens (nicht meine Wortwahl, sondern ihre). Panisch rief sie Sandra an, ob diese etwas vorhätte und sich nicht mit Klaus treffen würde. Das Ergebnis war eine unheimlich peinliche erste Verabredung und ein missratenes Kind: Mich.
ich habe mir gestern ein neues kleines Notizbüchleich gekauft und hatte eigentlich vor, dort so etwas wie "Morgenseiten" niederzuschreiben. Morgenseiten sind eben Seiten, die man am Morgen schreibt. Nicht wirklich Tagebuch, aber so ähnlich.
Ich hatte gerade das Datum geschrieben, als ich eine Stimme in meinem Kopf hörte.
Chiara war geboren. Naja, also, ich hab die ersten Morgenseiten abgetippt und bin gespannt, was ihr dazu sagt

Wichtig: Das bin >nicht< ich, die da spricht. Das ist ein erfundender Charakter! Alles, was ab jetzt kommt, ist nicht mehr von mir, Kerstin, sondern von meinem Charakter


Liebe Grüße
Kerstin
P.S.: Ich würd's gerne nochmal betonen: Das Ganze soll >keine< Liebesgeschichte werden

Buch I : Verliebt
16.o1.2oo8
Okay, den ersten Nachteil dieses Stiftes habe ich bereits entdeckt: Er schmiert. Na toll … und er kratzt übers Papier. Super.
Fangen wir also an. Je schneller, desto besser.
Die Morgenseiten
Besteht aus zwei zusammengesetzten Worten: Morgen und Seiten. Zweites ist schon mal zu Genüge vorhanden. Eine Seite nach der anderen, alle (noch) weiß warten hier auf meine verunstaltende Schrift.
Über den ‚Morgen’ lässt sich streiten, aber ich vermute – zumindest nach der Definition der Mehrheit -, dass 16:15 Uhr nicht mehr dazu zählt, oder? Mist. Erste Bedingung nicht erfüllt.
Aber das ist ja mal wieder typisch für mich, ich mache eben nichts konsequent. Nicht mal so etwas Leichtes wie die Morgenseiten auch wirklich am Morgen zu schreiben bekomme ich hin.
„Naja“, konnte jetzt vielleicht der eine oder andere widersprechen, „geht ja auch schlecht, wenn du dieses Heft erst gerade gekauft hast.“
„Gut“, würde ich dann entgegen. „Aber ich wette, dass ich spätestens übermorgen erst mittags schreiben werde.“ Ja, ich bin überzeugte Pessimistin mit optimistischem Flair – klingt widersprüchlich, trifft es aber perfekt.
Okay, da ihr meine Einstellung bereits kennt, verrat ich euch ein bisschen mehr. Ich bin 16 Jahre alt. Ja, verdammt, das war eine Lüge. Ich gestehe. Aber 16 klingt doch einfach besser, erwachsene als 15, oder? Naja, ich bin fast 16. Okay, das ist wieder gelogen. Zumindest, wenn ihr unter ‚fast’ das Gleiche versteht wie ein Großteil der Bevölkerung. Lasst mich raten, für euch zählt ‚in zehn Monaten’ nicht mehr zu ‚fast’, oder?
Überredet, ich spreche ja schon Klartext. Seit zwei Monaten kann ich mich 15 Jahre alt schimpfen, seit meiner Geburt schimpfen mich andere Chiara. Das muss man sich mal vorstellen – Chiara! Mit diesem Namen haben meine Eltern es geschafft, mich für mein Leben zu strafen – nicht, dass ich das durch mein Aussehen nicht schon genug bin. Aber der Reihe nach.
Also, wie gesagt, meine Eltern tauften mich Chiara, kurz Kiki, und schafften es dadurch, dass ich mein Leben lang nicht ernst genommen werde. Ich meine, man stelle sich das einmal vor:
Draußen ist es kalt. Es schneit. Auf den Straßen hetzen die Menschen, Kopf eingezogen, Hände tief in den Taschen vergraben, Kapuzen übers Gesicht. Jeder ist in Eile, jeder möchte schnell ins Warme.
Auch die junge Frau, die auf den Fußballen wippend an der Ampel wartet. Das Großstadtgetöse übertönt ihre leise gemurmelten Flüche.
Endlich springt die Ampel auf Grün. Mit einer beachtlichen Schnelligkeit rennt die junge Frau über die vereiste Straße, stolpert, fängt sich wieder und rennt weiter. Ihre roten Haare lösen sich aus dem Zopf, als der Wind ihr die Kapuze vom Kopf weht. Sie rennt weiter. Panisch blickt sie auf die Uhr. Noch fünf Minuten, noch um zwei Straßenecken. Hoffnung blitzt in ihren rehbraunen Augen auf. Ihre Schritte werden sicherer, sie kann es schaffen. Fußgänger rempelt sie an, entschuldigt sich, während sie weiter rennt. Sie biegt um die Ecke, erlaubt es sich, etwas langsamer zu werden, um noch genügend Luft zu bekommen.
Der Wind reißt der jungen Frau den Schal vom Hals und weht ihn in eine Pfütze.
„Scheiße!“, flucht sie, bleibt stehen und fischt den tropfenden Stoff aus dem Nass. Doch ihr bleibt keine Zeit sich zu ärgern. Gereizt stopft sie den Schal in ihre Handtasche und rennt weiter. Immer weiter.
Noch zwei Minuten. Sie biegt gehetzt um die nächste Ecke. 5o Meter. Ein Lächeln macht sich auf ihrem Gesicht breit.
Keuchend erreicht sie die Tür, blickt auf ihre Armbanduhr, streicht sich die Haare zurück hinter die Ohren, atmet tief durch und klingelt.
Kurz darauf betritt sie das Büro.
„Guten Tag“, lächelt sie, noch etwas außer Atem.
Der ältere Herr blickt von seinen Unterlagen auf. Er lächelt nicht.
„Guten Tag. Sie sind also Chiara Cock.“
Sein Blick schweift über ihre geröteten Wangen, die Strähne, die ihr ins Gesicht rutscht und den Zipfel Stoff, der aus ihrer Tasche hängt.
Und die junge Frau weiß: sie hat keine Chance, die Stelle zu kriegen.
Äh, was hatte ich erzählen wollen? Ach ja, genau, mein Name. Schon in der Grundschule stockten die Lehrerinnen immer, wenn sie das erste Mal meinen Namen lasen.
„Ist Chiara Cock anwesend?“ Und dabei schauten sie sich immer so mitfühlend und verständnisvoll um. Ganz nach dem Motto: Armes Kindchen.
Und es stimmt ja auch. Wer will schon Chiara Cock, C.C., heißen?!
Name zu verkaufen! Ich gebe gerne ab.
Meine Eltern jedenfalls sind begeistert von dieser tollen Namenswahl. Mindestens genauso begeistert wie von meiner Haarfarbe. Leuchtend rot. Rot! Ich meine, nicht nur, dass ich neben normalen Namen wie Katrin, Laura, Hannah oder Sarah einfach nur lächerlich daherkomme, ich sehe auch noch aus wie eine Außenseiterin, wie das arme Kindchen. Okay, Chiara ist im Gegensatz zu Trixie oder ähnlichem ja noch mehr oder minder passabel, aber eben auch nur neben solch lächerlichen Namen. Und: wie groß ist die Chance in Deutschland, dass man blonde Haare hat? Sehr groß. Übermäßig groß. Aber nein, meine Haare sind lang, voll und rot. Aber, und das muss man ihnen echt lassen, sie sind glatt. Glatt und seidig. Nicht wie die von Jenny, zwar wunderschön blond, aber wellig. Oder die von Katrin, braun, kurz und mit Korkenzieherlocken.
Schlimme Haare und einen noch schlimmeren Namen, aber tolle Augen. Das muss ich zugeben. Rehbraun, groß und mit langen Wimpern. Wimpern, die – warum auch immer, nicht rötlich, sondern schwarz sind. Der Nachteil: Meine Zehneuro-Mascara ist für’n Arsch. (Bitte nicht wörtlich nehmen. Danke.)
Meine tollen Augen hab ich von meiner Mutter, Sandra. Nur bei ihr passt alles zusammen, was bei mir wild gemischt ist. Sie hat lange, wunderschöne schokoladenbraune Haare, die gleichen Augen wie ich (nur mit niedlichen Lachfältchen), einen großen, vollen Mund, eine spitze, drollige Nase, einen vollen Busen und nicht mal den Ansatz eines Bauches. Früher war sie mal Model, das erklärt alles. Sie meint dauernd, dass sie schon längst zu alt dafür sei, aber ab und zu springt sie noch mal vor die Kamera. Den Rest des Jahres verbringt sie im Büro, als Sekretärin, das, was auch ich mal werden möchte.
Mein Vater, Klaus, ist Fotograf. Drei Mal dürft ihr raten, wie sie sich kennen gelernt haben. Nein, er hat sie nicht fotografiert. Viel schlimmer.
Ihre beste Freundin, der Grund, warum ich diesen Namen trage, starb kurz vor meiner Geburt bei einem Autounfall. Sie hieß Chiara.
Jedenfalls war sie es, die von Paps Linse posiert und ihn dann nach einem Date gefragt hatte. Wie es das Schicksal aber so wollte fand sie auf der Bahnfahrt zu diesem Date die große Liebe ihres Lebens (nicht meine Wortwahl, sondern ihre). Panisch rief sie Sandra an, ob diese etwas vorhätte und sich nicht mit Klaus treffen würde. Das Ergebnis war eine unheimlich peinliche erste Verabredung und ein missratenes Kind: Mich.