Startpost-Retter
Was es nun genau ist, weiß ich nicht. Wirklich definieren kann ich es auch nicht. Eine Kurzgeschichte ist es ja nicht, eine Essay auch nicht. Einfach ein Text. Zum Lesen und Genießen. Zum Schlecht finden und Kritisieren. Zum Verstehen oder nicht Verstehen. Je nachdem. Viel Spaß.
Die Laster der Verführung
- Es war wie ein Fluch. Ein Zauber, den ich nicht zu brechen vermochte. Das süße Verbotene, das mich reizte und den Moment so verlockend machte. Ich wusste, dass alles, was ich gerade tat, micht verurteilte. Und mir irgendwann zum Verhängnis werden würde. Doch es war an der Zeit. Es würde nur ein Moment meines Lebens bleiben und trotzdem – oder eben wegen dieser Tatsache – wollte ich ihn genießen, für mich haben, in Erinnerung halten. Ihn speichern, konservieren, von ihm zehren. Etwas in mir, trieb mich voran. Ich fühlte mich unruhig, beinahe schon abhängig, obgleich ich mir zu jeder Zeit bewusst war, dass ich gegen Regeln verstieß. Ich missachtete Vorschriften ganz bewusst, überschritt demonstrativ Grenzen, die man mir vor langer Zeit einmal gesetzt hatte. Einzig die Sekunde zählte und den Gedanken an mögliche Konsequenzen verdrängte ich. Natürlich war ich mir bewusst, dass meine Tat nicht ungestraft bleiben würde. Ich hätte niemals die Kraft gehabt es zu vertuschen oder gar zu leugnen. Auch wenn ich es verheimlicht und überspielt hätte – man würde mir doch auf die Schliche kommen. Nicht nur weil ich eine miserable Lügnerin war, sondern einfach aufgrund der Tatsache, dass es doch zu offensichtlich war, dass es mich unter Kontrolle hatte. Schon zu frühere Zeit. Dass es mich geradzu anzog, wie ein überdimensionaler Magnet. Oft fragte ich mich, warum ich denn keine Angst hatte. Immer wieder kam mir nur eine passable Antwort in den Sinn – ich war mir zu bewusst über die Sache, als dass ich Angst hätte entwickeln können. Angst hatte man meist vor Neuem, Unbekanntem. Doch was mich so faszinierte, war mir nicht neu. Ich hatte lange mit mir gehadert, handelte irgendwo zwar aus einem Impuls heraus, ging die Sache jedoch mit einer gewissen Rationalität an.
Alles was ich tat, würde auf Entsetzen stoßen, Enttäuschungen loslösen, wohl auch Wut. Das wollte ich in Kauf nehmen. Selbst meine Liebsten würden lange Zeit brauchen, um es zu verstehen. Um es überhaupt verstehen zu wollen. Ein flaues Gefühl ergriff mich plötzlich. Was, wenn es mich nicht zufrieden stellte? Wenn diese zauberhaft bittere Faszination wandelte? Meine Illusionen wären zerstört. Die Konsequenzen würden bleiben.
Ich begann nachzudenken. Und je mehr ich in dieser Gedankenwelt versank, vergass ich meine Pläne und mein Vorhaben. Ich dachte daran, wie es wohl wäre, wenn alles ganz anders verlief, als ich mir das in den vielen einsamen Nächten ausgedacht hatte. Meine Person war nicht stark genug, um dem Drang der Verführung nachzugeben. Ich schaffte es nicht, jegliche Moral und Vorschriften der Gesellschaft zu vergessen. Auch wenn ich wieder einmal kurz davor gestanden war. Dazu war ich viel zu schwach. Die fantastischen Vorstellungen, die noch wenige Sekunden zuvor in meinem Kopf gehaust hatten, waren auf einmal verschwunden. Zurückgelassen hatten sie nur ein erbärmliches Gefühl der Leere. Ein unbeschreiblich entmutigendes Gefühl, wenn man es aus der Distanz betrachtete. Mein Leben kam mir so nutzlos vor und ich selbst fühlte, wie mich die eigene Schwäche vereinnahmte. Ich war wohl doch nicht die Rebellin, für die ich mich gehalten hatte. Noch Augenblicke zuvor dachte ich, ich wäre stark. Nicht die kleine Schwache, die sich unterdrücken ließ. Stark genug um den anderen zu beweisen, wie egal mir Konsequenzen waren. Allen zu zeigen, dass ich anders war und mich nicht in einen vorgefertigten, charakterlichen Rahmen pressen lassen wollte. Ja, ich wollte ihnen etwas beweisen. Ich brauchte einen Beweis für meine Stärke.
Es war nicht dieser lockende Drang, der mich verzehrte. Es war schlichtweg die Unzufriedenheit über die eigene Person. Das wurde mir gerade in diesem Augenblick bewusst, als ich kurz davor stand, mich endlich willenlos hinzugeben. Ohne an irgendwelche Zwänge zu denken. Ohne Verbote zu berücksichtigen. Einfach ich selbst zu sein.
Was blieb, waren nur die bittersüßen Rufe der Verführung.