franzi93
So^^
Gestern Abend wusste ich nichts mit mir anzufangen. Die Auswirkungen sind nicht gerade vorbildlich, aber was solls...
Ich würde gerne wissen was ihr davon haltet, meine Meinung dürfte ich im Titel verdeutlicht haben. Ich hab einfach mal was ausprobiert...
Es war kalt für November.
So kalt dass sie sich auf die Lippen beißen musste um ein klappern ihrer Zähne zu verhindern. Sie zog die Mütze weiter ins Gesicht und begann auf der Stelle zu treten, damit wenigstens ihre Füße warm wurden. Sie fröstelte. „Geh nach hause. Er kommt nicht mehr“ Es tat weh so zu denken, doch im Innersten wusste sie, dass sie recht hatte. Nur noch zwei Minuten. Dann würde sie gehen. Sie versuchte ihre Zehen zu bewegen, die kalt und steif in dicken Socken steckten. Sie begann zu laufen, hin und her, hin und her. „Sollte mich jemand beobachten, denkt er ich bin nicht mehr ganz richtig im Kopf“ Der Atem gefror in der Luft und hinterließ einen weißen Nebel. „Vielleicht hat er es ja vergessen…“ Sie verzog die Mundwinkel zu einem kalten Lächeln. Nicht er, nicht Fabian. Dazu war er zu, ja sie wusste es selber nicht. Er war eben anders. Das was ihr besonders an ihm gefiel. Er drängte sich nie in den Vordergrund, hatte aber immer ein paar flotte Sprüche auf den Lippen. Sie selbst hatte schon so mache Kostprobe bekommen.
„So, jetzt gehe Ich“ Sie ließ einen flüchtigen Blick über den Parkplatz schweifen und blieb dann an der Bahnhofsuhr hängen. Es war kurz vor halb vier. Um halb drei waren sie verabredet gewesen. Nicht dass sie irgendetwas vorgehabt hätten. Das hatten sie so gut wie nie. „Gehabt?“ Sie wusste es nicht und hatte auch nicht vor, sich diese Frage selbst zu stellen. Das würde sie ihm überlassen. Oder auch nicht. Je nachdem. Es war halb vier. Sie schob entschlossen ihr markantes Kinn vor. „So nicht“, nicht mit mir. Sie zwang sich an etwas anderes zu denken. Morgen hatte ihre Tante Geburtstag. Nicht das sie sie besonders gut leiden mochte – nein. Aber sie hasste sie auch nicht. Sie war einfach da, fertig. Ein Teil der Familie nicht mehr und nicht weniger. Das Geschenk besorgten ihre Eltern, sie würde nur auf einer dieser kitschigen Glückwunschkarten unterschreiben müssen. Wie immer.
Sie kam an dem kleinen Supermarkt vorbei und beschloss die Gelegenheit zu nutzen, um ins Warme zu kommen. Die Türen öffneten und im selben Augenblick schlug ihr ein Geruch von Kerzen, Lebensmitteln und Wärme entgegen. Sie musste über sich selbst schmunzeln. Konnte man Wärme riechen? Es tat gut zu lachen, die Verkrampfung die sie draußen noch empfunden hatte löste sich. Sie schlenderte die Regale entlang und lies ihren Blick über den ein oder anderen Artikel schweifen. Langsam taute sie auf. Schließlich entschloss sie sich, eine Tafel Schokolade mitzunehmen. Schokolade machte ja bekanntlich glücklich. Sie steckte das Päckchen in die Jackentasche, sah sich kurz um, grüßte freundlich zur Kassiererin und schlenderte pfeifend durch die Absperrung. Die Kälte schlug ihr ins Gesicht wie eine Faust. Es hatte angefangen zu schneien. Einen Moment stand sie nur da und beobachtete die Schneeflocken, die langsam zu Boden schwebten. Sie schmolzen auf ihren Wangen und auf ihren Haaren. Sie streckte die Zunge gen Himmel und kostete. Es war der erste Schnee dieses Jahr. Bedächtig schlenderte sie die Straße entlang, warf hier und da einen Blick in eines der Schaufenster und lies ihre Gedanken schweifen. An der Abbiegung blieb sie für einen Moment stehen. Es war hier gewesen. Für einen Moment glaubte Sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite zwei Personen stehen zu sehen. Doch es war nur der Schnee, der nun immer dichter werdend, die Umrisse der Autos verzerrten. Sie atmete die eisige Winterluft ein. Es tat fast ein bisschen weh. Als würde ein kaltes Messer durch ihren Mund in ihre Lunge gestoßen werden. Sie schauderte und setzte ihren Weg fort. Doch die gute Laune war schlagartig verflogen. Mit klammen Fingern schloss sie die Haustüre auf und begab sich ins innere des Gebäudes. Zwei Treppen weiter fingerte sie erneut nach ihrem Schlüssel. Die Tür hinter sich zuziehend, rief sie ein undeutliches „hallo“ in das innere der Wohnung. Um gut gemeinten Fragen aus dem Weg zu gehen, begab sie sich gleich, nachdem sie ihre Jacke aufgehängt hatte in ihr Zimmer. Sie ließ die Tasche in die gewohnte Ecke fliegen, legte sich auf ihr Bett und dachte nach. Sollte sie ihn anrufen? Ein Recht dazu hatte sie ja wohl. Wenn nicht sie, wer dann? Immerhin hatte er sie versetzt. Sie schloss die Augen. Es war schön so zu liegen, auf dem Bauch und den Kopf in den Händen. Sie würde sich schon nicht unterkriegen lassen. Das konnte er nicht mit ihr machen, nicht mit ihr. Unwillkürlich presste sie die Zähne zusammen. Wenn es das erste Mal gewesen wäre. Sie musste schon wieder lachen. Was war nur mit ihr los? Sie erinnerte sich daran wie sie enttäuscht nach hause gekommen war, sich auf ihr Bett geschmissen hatte und hemmungslos angefangen hatte zu schluchzen. Sie dachte es wäre zu Ende. Schluss, aus, finite. Damals. Wie sich das anhörte. Aber dann war er einfach am nächsten Tag vorbeigekommen, hatte sich entschuldigt und sie auf ein Eis eingeladen. Jetzt war Winter. Was er sich wohl für heute einfallen lies? Sie setzte sich auf und zog die Knie an ihren Körper. War sie wirklich traurig? Nein, wohl eher nicht. Sie hatte nie geglaubt dass man sich an Enttäuschungen gewöhnen könnte. Anscheinend wurde man mit der Zeit immun dagegen. Aber sie konnte sich einreden was sie wollte, der nagende Schmerz blieb. „Wieso sagst du mir nicht einfach, dass du keine Zeit mehr für mich hast?“ Sie stellte die Frage der Wand. Sie schloss die Augen. Ein altbekannter Film spielte sich vor ihren Augen ab. „Nein“ Sie unterdrückte ein Schluchzen und merkte wie ihre Augen feucht wurden. „ Ach verdammt“ unwirsch wischte sie mit ihrem Ärmel die Tränen weg. Er hatte es nicht verdient dass sie hier saß und sich gehen ließ. Überhaupt nicht.
Sie betrachtete sich in dem großen Spiegel, der an der Wand neben ihrem Kleiderschrank hing. Seltsam, dachte sie, wie so ein bisschen Wasser einen verändern konnte. Sie wand sich ab und warf einen Blick auf die Uhr. Zwanzig nach fünf. Abendessen würde es erst in einer Stunde geben. Ihre Mutter hatte einen Pünktlichkeits-Tick. Vielleicht war sie selbst deswegen immer spät dran.
Sie hatte noch genug Zeit. Trauen würde sie sich – oft genug hatte sie ihn schon angerufen, wesentlich öfter als er sie. Nur was sie sagen wollte, dass wusste sie noch nicht. Dass sie etwas unternehmen musste stand außer Frage. Sie setzte sich an ihren Schreibtischstuhl und nahm den Hörer von der Station. Zu ihrem sechzehnten Geburtstag hatte Sie ein eigenes Telefon bekommen. Etwas, dass sie sehr überraschte. Oder auch nicht. Je nachdem wie man’s sah. Seine Nummer kannte sie auswendig.
Es klingelte.
Zwei Mal.
Drei Mal.
Fünf Mal.
Dann schaltete sich der Anrufbeantworter ein.
Sie hatte schlecht geschlafen. Als der Wecker rasselte fühlte sie sich wie zerschlagen. Es war kalt in ihrem Zimmer, gestern musste sie vergessen haben, dass Fenster zu schließen. Sie könnte einfach liegen bleiben. Wie lange war sie schon nicht mehr krank gewesen? Sie wusste es nicht. Körperlich ging es ihr prima. Eigentlich sollte sie jetzt aufstehen. Sie schaffte es nicht. Erneut schloss sie die Augen. Es tat gut, alles war schwarz. Ihre Hand tastete nach dem Lichtschalter, als sie ihn fand verharrte sie einen Moment darauf. Dann löschte sie das Licht und lehnte sich entspannt in ihr Kissen zurück. In der Küche hörte sie Tellergeklapper. Ihre Mutter war also schon auf. Nur fünf Minuten noch. Es war so beruhigend im Bett zu liegen und alles andere seinen Weg gehen zu lassen.
„Katja?“ Sie wälzte sich auf die andere Seite. „Katja? Musst du nicht aufstehen?“ Sie öffnete die Augen und starrte in das besorgte Gesicht ihrer Mutter. „Mir is nich gut mum.“ Sie gähnte und fasste sich an den Kopf. Wenn sie sich ganz darauf konzentrierte tat er tatsächlich weh. Ein kritischer Blick ihrer Mutter streifte ihr Gesicht. „Schreibt ihr heute eine Arbeit?“ Soweit war es also schon gekommen. Vertrauen schien sie ja wohl nicht einmal mehr in ihre eigene Tochter zu haben. Sie gab ein undeutliches „Nein“ zur Antwort und zog sich die Bettdecke weiter über den Kopf. Ihre Mutter stand immer noch an derselben Stelle in der Tür. Eigentlich, dachte sie, sollte sie jetzt reinkommen, sich auf meine Bettkante setzen und mir über den Kopf streicheln. Aber sie wäre nicht ihre Mutter gewesen, hätte sie das getan. Außerdem glaubte sie nicht, dass sie ihre Hand nicht unwirsch abgewiesen hätte. Aber wenigstens hätte sie für einige Sekunden noch das Gefühl gehabt, für jemanden wichtig zu sein. „Ich geh dann, du weist ja wo alles ist…“ Ja geh nur… Tschüß mum, ich werd schon zurechtkommen. Irgendwie. Jetzt auf einmal wünschte sie sich nichts sehnlicher als wirklich krank zu sein. Todkrank. Alle würden sich um sie kümmern, Ihre Mutter würde sich frei nehmen um sie zu besuchen und Fabian würde an ihrem Bett sitzen und ihre Hand halten. Fabian. Ihr fiel der gestrige Nachmittag wieder ein. Sie wusste nicht, ob sie ihm noch einmal vertrauen konnte. Aber sie hatte dieses Gefühl, dass das sich wiederholen würde, wieder und immer wieder. Bestimmt, dachte sie, hat er eine neue. Eine die viel besser aussieht wie ich. Eine die nicht schon um Elf-Uhr zuhause sein muss. Eine die ihm schöne Komplimente macht. Genau so eine brauchte er. Und nicht so ein schüchternes, verträumtes kleines Mädchen, das immer im Schatten ihrer Eltern stand. Hier brach sie gewaltsam ihre Gedanken ab. Jetzt war genug. Eigentlich machte sie sich nur selbst schlecht. Er wird schon einen Grund gehabt haben. Ja, einen Grund hatte er tatsächlich immer. Entweder sein Mofa war kaputt oder ein Kumpel steckte in Schwierigkeiten. Aber ob sie Probleme hatte, war ja anscheinend Nebensache. SIE war Nebensache. Warum macht er so was? Fragte sie sich. Bestimmt zum x-ten Mal. Warum sagte er ihr nicht einfach, dass er nicht mehr interessiert war, dass er kein Interesse mehr an ihrer Beziehung hatte. Wenn man das überhaupt noch Beziehung nennen konnte. Sie hörte die Haustüre ins Schloss fallen. Sie war alleine. Für kurze Zeit liebäugelte sie mit dem Gedanken nochmals die Augen zu schließen, dann richtete sie sich auf und schob die Füße in die eiskalten Hausschuhe. Mit einer gewissen Selbstüberwindung stand sie auf und schloss das Fenster. Es war noch relativ dunkel draußen. Sie ging in die Küche, in der ihre Mutter vergessen hatte das Licht auszumachen. Auf dem Tisch lag ein Zettel mit einer Aspirin-Tablette und einem Stift. „Gute Besserung, ma“ Sie nahm die Aspirin und aß eine Schüssel Cornflakes. Dann zog sie sich an, nahm die Jacke vom Haken und verließ das Haus. Sie wusste nicht, wohin sie gehen wollte, ihre Füße trugen sie ganz automatisch in Richtung Bahnhof. Sie setzte sich auf die Treppe und dachte nach. Sie wollte in die Jackentasche greifen und mit ihrem Schlüssel spielen, wie sie es sonst so gerne tat. Aber seltsamer Weise befand dieser sich nicht dort. Nur langsam wurde ihr klar, dass sie ihn auf dem Fensterbrett liegen lassen hatte. Was jetzt passieren würde, war klar. Sie war krank und verließ das Haus und lief spazieren. Ihre Mutter würde das sofort als schwänzen einordnen, sich belogen fühlen und umgehend dem Schuldirektor Mitteilung erstatten. Dann würde sie ihren Vater anrufen, der erst einmal ewig mit ihr streiten würde, bis er seine Tochter gründlich zusammenstauchen würde. Über die Strafe wagte sie gar nicht nachzudenken. Hausarrest? Sie wusste es nicht. Sie holte ihr Handy aus der Tasche und wählte Fabians Nummer. Was hatte er neulich erst gesagt? „Ich bin immer für dich da“ Jetzt konnte er es beweisen. Er meldete sich, etwas erstaunt klag seine Stimme. Sie sprudelte los. Das sie eigentlich krank war und sich nun ausgesperrt hatte, dass sie am Bahnhof stand und Angst hatte. Angst vor dem was kommen würde, Angst vor dem was war. Sie fühlte sich besser. Sehr viel besser. Als sie beendet hatte, schwieg er eine Weile. Dann meinte er „du, das ist alles ganz schlimm und furchtbar, aber ich muss jetzt schnell….“ Seine Stimme wurde undeutlich. „ja.. ist schon okay“ sie musste mit sich kämpfen um die Tränen zurückzuhalten „das schaffst du schon… ja ich komm gleich, Moment noch“ Er klang genervt „ Ich muss Schluss machen, schön das du angerufen hast, tschüss“ Es klickte in der Leitung. Sie ließ ihr Handy sinken. Sie brauchte sich nichts mehr vorzumachen. Das Mädchen hatte zu real geklungen. Sie blinzelte. Sie biss sich auf die Lippen. Das Salz brannte, sie schmeckte Blut. Die Häuser verschwammen vor ihren Augen. Es fing an zu schneien. Genau hier hatte sie gestern gestanden. In drei Minuten kam der nächste Zug. Er würde aber nicht anhalten, hier hielt nur jeder zweite. Langsam ließ sie einen Blick über das kleine Dorf wandern. Manche Dächer hatten schon eine kleine weiße Mütze. Die Schneeflocken tanzen vor ihren Augen und kühlten ihre Wangen. Sie ließ ihr Handy in ihre Tasche gleiten. Ob es im Himmel wohl auch Schnee gab? Langsam schlenderte sie auf die Gleise zu.
In der Ferne, hörte man den Zug.
Danke, fürs lesen und kommentieren...
Gestern Abend wusste ich nichts mit mir anzufangen. Die Auswirkungen sind nicht gerade vorbildlich, aber was solls...
Ich würde gerne wissen was ihr davon haltet, meine Meinung dürfte ich im Titel verdeutlicht haben. Ich hab einfach mal was ausprobiert...
Es war kalt für November.
So kalt dass sie sich auf die Lippen beißen musste um ein klappern ihrer Zähne zu verhindern. Sie zog die Mütze weiter ins Gesicht und begann auf der Stelle zu treten, damit wenigstens ihre Füße warm wurden. Sie fröstelte. „Geh nach hause. Er kommt nicht mehr“ Es tat weh so zu denken, doch im Innersten wusste sie, dass sie recht hatte. Nur noch zwei Minuten. Dann würde sie gehen. Sie versuchte ihre Zehen zu bewegen, die kalt und steif in dicken Socken steckten. Sie begann zu laufen, hin und her, hin und her. „Sollte mich jemand beobachten, denkt er ich bin nicht mehr ganz richtig im Kopf“ Der Atem gefror in der Luft und hinterließ einen weißen Nebel. „Vielleicht hat er es ja vergessen…“ Sie verzog die Mundwinkel zu einem kalten Lächeln. Nicht er, nicht Fabian. Dazu war er zu, ja sie wusste es selber nicht. Er war eben anders. Das was ihr besonders an ihm gefiel. Er drängte sich nie in den Vordergrund, hatte aber immer ein paar flotte Sprüche auf den Lippen. Sie selbst hatte schon so mache Kostprobe bekommen.
„So, jetzt gehe Ich“ Sie ließ einen flüchtigen Blick über den Parkplatz schweifen und blieb dann an der Bahnhofsuhr hängen. Es war kurz vor halb vier. Um halb drei waren sie verabredet gewesen. Nicht dass sie irgendetwas vorgehabt hätten. Das hatten sie so gut wie nie. „Gehabt?“ Sie wusste es nicht und hatte auch nicht vor, sich diese Frage selbst zu stellen. Das würde sie ihm überlassen. Oder auch nicht. Je nachdem. Es war halb vier. Sie schob entschlossen ihr markantes Kinn vor. „So nicht“, nicht mit mir. Sie zwang sich an etwas anderes zu denken. Morgen hatte ihre Tante Geburtstag. Nicht das sie sie besonders gut leiden mochte – nein. Aber sie hasste sie auch nicht. Sie war einfach da, fertig. Ein Teil der Familie nicht mehr und nicht weniger. Das Geschenk besorgten ihre Eltern, sie würde nur auf einer dieser kitschigen Glückwunschkarten unterschreiben müssen. Wie immer.
Sie kam an dem kleinen Supermarkt vorbei und beschloss die Gelegenheit zu nutzen, um ins Warme zu kommen. Die Türen öffneten und im selben Augenblick schlug ihr ein Geruch von Kerzen, Lebensmitteln und Wärme entgegen. Sie musste über sich selbst schmunzeln. Konnte man Wärme riechen? Es tat gut zu lachen, die Verkrampfung die sie draußen noch empfunden hatte löste sich. Sie schlenderte die Regale entlang und lies ihren Blick über den ein oder anderen Artikel schweifen. Langsam taute sie auf. Schließlich entschloss sie sich, eine Tafel Schokolade mitzunehmen. Schokolade machte ja bekanntlich glücklich. Sie steckte das Päckchen in die Jackentasche, sah sich kurz um, grüßte freundlich zur Kassiererin und schlenderte pfeifend durch die Absperrung. Die Kälte schlug ihr ins Gesicht wie eine Faust. Es hatte angefangen zu schneien. Einen Moment stand sie nur da und beobachtete die Schneeflocken, die langsam zu Boden schwebten. Sie schmolzen auf ihren Wangen und auf ihren Haaren. Sie streckte die Zunge gen Himmel und kostete. Es war der erste Schnee dieses Jahr. Bedächtig schlenderte sie die Straße entlang, warf hier und da einen Blick in eines der Schaufenster und lies ihre Gedanken schweifen. An der Abbiegung blieb sie für einen Moment stehen. Es war hier gewesen. Für einen Moment glaubte Sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite zwei Personen stehen zu sehen. Doch es war nur der Schnee, der nun immer dichter werdend, die Umrisse der Autos verzerrten. Sie atmete die eisige Winterluft ein. Es tat fast ein bisschen weh. Als würde ein kaltes Messer durch ihren Mund in ihre Lunge gestoßen werden. Sie schauderte und setzte ihren Weg fort. Doch die gute Laune war schlagartig verflogen. Mit klammen Fingern schloss sie die Haustüre auf und begab sich ins innere des Gebäudes. Zwei Treppen weiter fingerte sie erneut nach ihrem Schlüssel. Die Tür hinter sich zuziehend, rief sie ein undeutliches „hallo“ in das innere der Wohnung. Um gut gemeinten Fragen aus dem Weg zu gehen, begab sie sich gleich, nachdem sie ihre Jacke aufgehängt hatte in ihr Zimmer. Sie ließ die Tasche in die gewohnte Ecke fliegen, legte sich auf ihr Bett und dachte nach. Sollte sie ihn anrufen? Ein Recht dazu hatte sie ja wohl. Wenn nicht sie, wer dann? Immerhin hatte er sie versetzt. Sie schloss die Augen. Es war schön so zu liegen, auf dem Bauch und den Kopf in den Händen. Sie würde sich schon nicht unterkriegen lassen. Das konnte er nicht mit ihr machen, nicht mit ihr. Unwillkürlich presste sie die Zähne zusammen. Wenn es das erste Mal gewesen wäre. Sie musste schon wieder lachen. Was war nur mit ihr los? Sie erinnerte sich daran wie sie enttäuscht nach hause gekommen war, sich auf ihr Bett geschmissen hatte und hemmungslos angefangen hatte zu schluchzen. Sie dachte es wäre zu Ende. Schluss, aus, finite. Damals. Wie sich das anhörte. Aber dann war er einfach am nächsten Tag vorbeigekommen, hatte sich entschuldigt und sie auf ein Eis eingeladen. Jetzt war Winter. Was er sich wohl für heute einfallen lies? Sie setzte sich auf und zog die Knie an ihren Körper. War sie wirklich traurig? Nein, wohl eher nicht. Sie hatte nie geglaubt dass man sich an Enttäuschungen gewöhnen könnte. Anscheinend wurde man mit der Zeit immun dagegen. Aber sie konnte sich einreden was sie wollte, der nagende Schmerz blieb. „Wieso sagst du mir nicht einfach, dass du keine Zeit mehr für mich hast?“ Sie stellte die Frage der Wand. Sie schloss die Augen. Ein altbekannter Film spielte sich vor ihren Augen ab. „Nein“ Sie unterdrückte ein Schluchzen und merkte wie ihre Augen feucht wurden. „ Ach verdammt“ unwirsch wischte sie mit ihrem Ärmel die Tränen weg. Er hatte es nicht verdient dass sie hier saß und sich gehen ließ. Überhaupt nicht.
Sie betrachtete sich in dem großen Spiegel, der an der Wand neben ihrem Kleiderschrank hing. Seltsam, dachte sie, wie so ein bisschen Wasser einen verändern konnte. Sie wand sich ab und warf einen Blick auf die Uhr. Zwanzig nach fünf. Abendessen würde es erst in einer Stunde geben. Ihre Mutter hatte einen Pünktlichkeits-Tick. Vielleicht war sie selbst deswegen immer spät dran.
Sie hatte noch genug Zeit. Trauen würde sie sich – oft genug hatte sie ihn schon angerufen, wesentlich öfter als er sie. Nur was sie sagen wollte, dass wusste sie noch nicht. Dass sie etwas unternehmen musste stand außer Frage. Sie setzte sich an ihren Schreibtischstuhl und nahm den Hörer von der Station. Zu ihrem sechzehnten Geburtstag hatte Sie ein eigenes Telefon bekommen. Etwas, dass sie sehr überraschte. Oder auch nicht. Je nachdem wie man’s sah. Seine Nummer kannte sie auswendig.
Es klingelte.
Zwei Mal.
Drei Mal.
Fünf Mal.
Dann schaltete sich der Anrufbeantworter ein.
Sie hatte schlecht geschlafen. Als der Wecker rasselte fühlte sie sich wie zerschlagen. Es war kalt in ihrem Zimmer, gestern musste sie vergessen haben, dass Fenster zu schließen. Sie könnte einfach liegen bleiben. Wie lange war sie schon nicht mehr krank gewesen? Sie wusste es nicht. Körperlich ging es ihr prima. Eigentlich sollte sie jetzt aufstehen. Sie schaffte es nicht. Erneut schloss sie die Augen. Es tat gut, alles war schwarz. Ihre Hand tastete nach dem Lichtschalter, als sie ihn fand verharrte sie einen Moment darauf. Dann löschte sie das Licht und lehnte sich entspannt in ihr Kissen zurück. In der Küche hörte sie Tellergeklapper. Ihre Mutter war also schon auf. Nur fünf Minuten noch. Es war so beruhigend im Bett zu liegen und alles andere seinen Weg gehen zu lassen.
„Katja?“ Sie wälzte sich auf die andere Seite. „Katja? Musst du nicht aufstehen?“ Sie öffnete die Augen und starrte in das besorgte Gesicht ihrer Mutter. „Mir is nich gut mum.“ Sie gähnte und fasste sich an den Kopf. Wenn sie sich ganz darauf konzentrierte tat er tatsächlich weh. Ein kritischer Blick ihrer Mutter streifte ihr Gesicht. „Schreibt ihr heute eine Arbeit?“ Soweit war es also schon gekommen. Vertrauen schien sie ja wohl nicht einmal mehr in ihre eigene Tochter zu haben. Sie gab ein undeutliches „Nein“ zur Antwort und zog sich die Bettdecke weiter über den Kopf. Ihre Mutter stand immer noch an derselben Stelle in der Tür. Eigentlich, dachte sie, sollte sie jetzt reinkommen, sich auf meine Bettkante setzen und mir über den Kopf streicheln. Aber sie wäre nicht ihre Mutter gewesen, hätte sie das getan. Außerdem glaubte sie nicht, dass sie ihre Hand nicht unwirsch abgewiesen hätte. Aber wenigstens hätte sie für einige Sekunden noch das Gefühl gehabt, für jemanden wichtig zu sein. „Ich geh dann, du weist ja wo alles ist…“ Ja geh nur… Tschüß mum, ich werd schon zurechtkommen. Irgendwie. Jetzt auf einmal wünschte sie sich nichts sehnlicher als wirklich krank zu sein. Todkrank. Alle würden sich um sie kümmern, Ihre Mutter würde sich frei nehmen um sie zu besuchen und Fabian würde an ihrem Bett sitzen und ihre Hand halten. Fabian. Ihr fiel der gestrige Nachmittag wieder ein. Sie wusste nicht, ob sie ihm noch einmal vertrauen konnte. Aber sie hatte dieses Gefühl, dass das sich wiederholen würde, wieder und immer wieder. Bestimmt, dachte sie, hat er eine neue. Eine die viel besser aussieht wie ich. Eine die nicht schon um Elf-Uhr zuhause sein muss. Eine die ihm schöne Komplimente macht. Genau so eine brauchte er. Und nicht so ein schüchternes, verträumtes kleines Mädchen, das immer im Schatten ihrer Eltern stand. Hier brach sie gewaltsam ihre Gedanken ab. Jetzt war genug. Eigentlich machte sie sich nur selbst schlecht. Er wird schon einen Grund gehabt haben. Ja, einen Grund hatte er tatsächlich immer. Entweder sein Mofa war kaputt oder ein Kumpel steckte in Schwierigkeiten. Aber ob sie Probleme hatte, war ja anscheinend Nebensache. SIE war Nebensache. Warum macht er so was? Fragte sie sich. Bestimmt zum x-ten Mal. Warum sagte er ihr nicht einfach, dass er nicht mehr interessiert war, dass er kein Interesse mehr an ihrer Beziehung hatte. Wenn man das überhaupt noch Beziehung nennen konnte. Sie hörte die Haustüre ins Schloss fallen. Sie war alleine. Für kurze Zeit liebäugelte sie mit dem Gedanken nochmals die Augen zu schließen, dann richtete sie sich auf und schob die Füße in die eiskalten Hausschuhe. Mit einer gewissen Selbstüberwindung stand sie auf und schloss das Fenster. Es war noch relativ dunkel draußen. Sie ging in die Küche, in der ihre Mutter vergessen hatte das Licht auszumachen. Auf dem Tisch lag ein Zettel mit einer Aspirin-Tablette und einem Stift. „Gute Besserung, ma“ Sie nahm die Aspirin und aß eine Schüssel Cornflakes. Dann zog sie sich an, nahm die Jacke vom Haken und verließ das Haus. Sie wusste nicht, wohin sie gehen wollte, ihre Füße trugen sie ganz automatisch in Richtung Bahnhof. Sie setzte sich auf die Treppe und dachte nach. Sie wollte in die Jackentasche greifen und mit ihrem Schlüssel spielen, wie sie es sonst so gerne tat. Aber seltsamer Weise befand dieser sich nicht dort. Nur langsam wurde ihr klar, dass sie ihn auf dem Fensterbrett liegen lassen hatte. Was jetzt passieren würde, war klar. Sie war krank und verließ das Haus und lief spazieren. Ihre Mutter würde das sofort als schwänzen einordnen, sich belogen fühlen und umgehend dem Schuldirektor Mitteilung erstatten. Dann würde sie ihren Vater anrufen, der erst einmal ewig mit ihr streiten würde, bis er seine Tochter gründlich zusammenstauchen würde. Über die Strafe wagte sie gar nicht nachzudenken. Hausarrest? Sie wusste es nicht. Sie holte ihr Handy aus der Tasche und wählte Fabians Nummer. Was hatte er neulich erst gesagt? „Ich bin immer für dich da“ Jetzt konnte er es beweisen. Er meldete sich, etwas erstaunt klag seine Stimme. Sie sprudelte los. Das sie eigentlich krank war und sich nun ausgesperrt hatte, dass sie am Bahnhof stand und Angst hatte. Angst vor dem was kommen würde, Angst vor dem was war. Sie fühlte sich besser. Sehr viel besser. Als sie beendet hatte, schwieg er eine Weile. Dann meinte er „du, das ist alles ganz schlimm und furchtbar, aber ich muss jetzt schnell….“ Seine Stimme wurde undeutlich. „ja.. ist schon okay“ sie musste mit sich kämpfen um die Tränen zurückzuhalten „das schaffst du schon… ja ich komm gleich, Moment noch“ Er klang genervt „ Ich muss Schluss machen, schön das du angerufen hast, tschüss“ Es klickte in der Leitung. Sie ließ ihr Handy sinken. Sie brauchte sich nichts mehr vorzumachen. Das Mädchen hatte zu real geklungen. Sie blinzelte. Sie biss sich auf die Lippen. Das Salz brannte, sie schmeckte Blut. Die Häuser verschwammen vor ihren Augen. Es fing an zu schneien. Genau hier hatte sie gestern gestanden. In drei Minuten kam der nächste Zug. Er würde aber nicht anhalten, hier hielt nur jeder zweite. Langsam ließ sie einen Blick über das kleine Dorf wandern. Manche Dächer hatten schon eine kleine weiße Mütze. Die Schneeflocken tanzen vor ihren Augen und kühlten ihre Wangen. Sie ließ ihr Handy in ihre Tasche gleiten. Ob es im Himmel wohl auch Schnee gab? Langsam schlenderte sie auf die Gleise zu.
In der Ferne, hörte man den Zug.
Danke, fürs lesen und kommentieren...