LisaRM
Okay hey ihr Geschichtenschreiber! Ist das erste mal, dass ich etwss "veröffentliche". Ist alleridngs keine Geschichte sondern ein Bericht von meinem VRH... Aber auch ohne Vorgeschichte sollte man durchsteigen. Ich würde euch bitten, doch mal eure Meinungen dazu abzugeben. (jemanden, der meine schlechte Rechtschreibung korrigiert brauch ich nicht, macht euch deswegen keine Mühe.) Die vielen Absätze und Leerzeilen sind selbstverständlich mit Absicht gewählt.
Ich hoffe, dass ein paar von euch sich durchbeißen,
LG
LisaRM
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Meine Knie versanken leicht in dem klammen Boden.
Er zog sie magisch an, ließ nicht mehr los.
Meine Hände krallten sich in die schwarze Erde.
Wollten nicht loslassen, graben, Nähe.
Meine Augen waren auf ein Blumenmeer gesenkt.
Blumenmeer mit nur einer Welle. Die anderen waren verebbt oder grau.
Meine Tränen tropften herab.
Benetzten die blauen Blümchen mit kleinen Tropfen.
Meine Gefühle waren nicht mehr da.
Sie schienen wie weggewischt und ließen nur Platz für eines.
Es war DAS Gefühl in meinem Leben geworden. Von Morgen bis Abend, Sonnenauf- bis Untergang, früh bis spät,...
Die Traurigkeit verdrängte alles andere. Gedanken, Wahrnehmung und Selbsteinschätzung.
Ein groteskes Netz hatte sie sich gesponnen: Mit seidenen Fäden aus Einsamkeit und Verzweiflung.
Meine Tränen hielten inne.
Benetzten meine blauen Wangen und trockneten. Ließen einen kleinen Salzfilm zurück.
Meine Augen wanderten nach oben.
Starrten frontal auf kalten Stein.
Meine Hände ließen die Erde los.
Ließ sie verzweifelt zwischen den Fingern gerinnen. Auf die Vergiss-mein-nicht.
Nur meine Knie blieben dort wo sie waren.
Auf dem Boden. Hatten keine Kraft aufzustehen. Keine Lust, Motivation oder Ansporn.
Ich hasste es, hier zu sein.
Aber so war ich ihm am nächsten. Oder war er überall?
Mein Blick ging in die Leere, während ich mal wieder einen sinnlosen Gedanken nach dem anderen fasste. Gab es sinnlose Gedanken? Vielleicht schon. Wenn man Langeweile hatte. Hatte ich Langeweile? Nein. Also war es sinnvoll. Was war sinnvoll? Brachte es mir was?
Ich sollte nicht so egoistisch denken.
Mit einem Ruck stand ich auf, starrte den kleinen Grabstein an.
Dann die winzigen Blumen. Kein Meer.
Ich hatte sie rechts und links neben dem Stein gepflanzt und vorn noch eine kleine. Damit ich einen Grund hatte, zu weinen. Ich musste die Blume gießen.
Fast verärgert klopfte ich den schwarzen, klebrigen Sand von meinen Knien. Kleine Abdrücke von Steinen blieben zurück.
Heftig nahm ich die kleine Gieskanne in die eine, die Harke in die andere Hand.
Schwungvoll drehte ich mich um.
Die Bäume ließen keinen Lichtstrahl durch.
Es schien doch die Sonne – warum hier nicht?
Ich würde dem Friedhofsgärtner mal bescheid sagen, vielleicht ließe es sich einrichten, dass...
Was?
Vielleicht ging es, wenn...
Man könnte zumindest anfragen.
Ein kleiner Sonnenstrahl zur Mittagszeit wäre nicht schlecht.
Er hatte die Sonne geliebt.
Dort hinten auf dem Grab war schließlich auch einer.
Mit festen Schritten ging ich voran, stoppte aber etwas skeptisch wieder.
Der dort.
Der passte hier nicht her.
Vielleicht sah er so lebendig aus.
War ich das nicht auch?
Am Montag Mittag war normalerweise niemand hier.
Die älteren Damen oder Herren gingen gleich früh.
Die Berufstätigen kamen höchstens einmal die Woche... frühestens ab 16 Uhr.
Und ich war 13 Uhr hier.
Er auch.
Die Gieskanne fiel mit einem lauten Scheppern zu Boden.
Plastik auf Kieselstein.
Die Harke klirrte,
Metall auf Stein.
Holz auf Stein.
Lisa auf Stein?
Meine Beine hielten.
Langsam kam die Gestalt näher. Auf mich zu.
Angst war das nicht in mir. Es fühlte sich eher an wie Freude, unsagbare Freude und Verwunderung.
Die Tränen blieben nicht zurück, schossen in meine Augen und versperrten die halbe Sicht.
Meine Beine rasten los.
Auf und davon.
Nicht davon! Auf die Gestalt zu!
Ich stolperte mehrmals, der Mann war stehen geblieben.
Kurz vor ihm, wischte ich mir über die Augen, damit ich etwas sehen konnte.
Was machte ER denn hier?
Schwarze Haare, mediterraner Teint, Augen der Südsee, nicht zu groß, nicht zu kein, schlank, Lederjacke, die hellblaue Jeans auf den Hüften, Turnschuhe. Proll. Araber.
Ich stieß mich vom Boden ab, sprang in die Arme, die sich dort kurzerhand geöffnet hatten.
Und...?
...ich fiel nicht auf den Boden.
Es war keine Einbildung.
Er war Wirklichkeit. Er war meine Liebe, meine Trauer, Zuversicht – er war alles. Mein Leben. Meine Knie mit den Abdrücken. Meine Kleidung mit den Flecken der Erde. Meine Nase, in der noch immer der Duft der kleinen blauen Blümchen herumschwirrte.
Fest schlang ich meine Arme um den Hals, schloss die Augen und küsste nur noch.
Immer weiter haschte ich nach seinen Lippen, konnte von deren Geschmack nicht genug bekommen.
Seine warmen Hände leicht wie Federn auf meinem Rücken.
Arme wie Flügel.
Ich hustete und das Moment war vorbei.
Einfach weg. Fort für immer?
Mit der Reizung meiner Atemwege taumelte ich einen Schritt rückwärts, sah danach auf.
Obwohl es falsch gewesen war, errötete ich nicht.
Der fremde Mann sah mich verdutzt an, strich sich durch die gegelten Haare.
„Ouff...“, gab er nur von sich, starrte etwas verwirrt und verunsichert durch die Gegend.
Ja – Verunsicherung war das dort in seinen Augen. Ganz sicher.
Die Sonnenbrille lässig in seiner Hand.
Diese Ähnlichkeit.
„Es...“, brachte ich nur heraus.
„Ich habe Sie verwechselt...“ Ich hatte mich gefasst, ließ meine Gerätschaften einfach liegen und wollte an dem Mann vorbeistürmen. Doch eine Hand aus Stahl packte meinen Oberarm, riss mich herum.
Ich starrte ihn an, wollte mich losreißen und beherrschte mich doch.
Irgendwas hatte er. Aber ich wusste nicht was.
Er sah genau aus wie er.
Oder hatte ich ihn einfach vergessen?
Vielleicht wusste ich gar nicht mehr, wie er...
„Wer bist du?“, fragte ich leise.
Er sah mich nur mit seinen warmen, schwarzen Augen an.
„Wer soll ich denn sein?“
Seine Gegenfrage verwirrte, aber beunruhigte mich nicht.
Seltsam ruhig schaukelten meine Gefühle in mir herum. Wie auf hoher See. Warten auf Wind.
Er lächelte seltsam. Es war anders.
Gab etwas Wind in die Segel.
„Ich.. weiß nicht...“, murmelte ich, konnte seinem Blick nicht weiter standhalten.
„Du weißt ganz genau... ich weiß es auch.“
Ein Rätsel nach dem anderen?
Raterunde am frühen Nachmittag?
Auf dem Friedhof?
Einen tollen Platz hatte er sich ausgesucht.
Vielleicht sollten wir Tische aufstellen und Bingo spielen.
„Wenn du mir schon nicht sagst, wer du bist... WAS willst du dann?“
Er sah mich wieder so an.
Er lächelte.
War das ein überlegenes Lächeln?
Meinte er, er habe mich in der Tasche? Unterdrückt? Eingesteckt? Verpackt?
Paket Nummer 145843.
Doch zu meiner Verwunderung sagte er doch etwas.
„Was denkst du denn, was ich will?“
Jede Frage eine Gegenfrage?
Bestand nicht nur ich aus Fragen, sondern mein ganzes Leben? Alles?
Man sollte Fragezeichen abschaffen. Ausrufezeichen waren eh viel schöner!
„Kannst du noch etwas anderes als Fragen stellen?“
Ich ging einen Schritt Richtung ‚an ihm vorbei’.
Er lachte auf.
„Kannst du denn was anderes?“
Mein Atem blieb kurz stehen.
Konnte ich was anderes?
Fragen, Fragen, Fragen? Den ganzen Tag, die ganze Nacht?
Ja.
Ich konnte nichts anderes mehr. Oder?
Alles hinterfragen. Nur Fragen.
Fragen, auf die es eh keine Antworten gab.
Kleine Kinder fragten auch. Sie fragten alles.
Warum ist der Himmel blau?
Warum die Sonne hell?
Warum das Gras grün?
Kann man es wachsen hören?
Was war zuerst da? Das Huhn oder das Ei?
Warum wird es Tag?
Warum gibt es die Sonne?
Warum ist das Universum unendlich?
Das waren die Fragen, die Mütter ihren Kindern auf dem Spielplatz mit einem genervten „Ist eben so.“ beantworteten. Die Kinder waren zufrieden. Jedenfalls manche.
Im Endeffekt war keines zufrieden und würde sein Leben lang weiter Fragen stellen.
Das Ende dieses riesigen Gedankenganges?
Ich war wie er.
Nur ein kleines Kind.
Also ging ich. Einfach den Weg entlang auf das große Friedhofstor zu. Draußen schien die Sonne und hier nicht. Der Friedhofsgärtner würde für mich nicht die paar Äste wegen der Sonne zurückschneiden.
Weil ich ihn nicht fragen würde.
Es war mein letzter Besuch.
Schnelle Schritte hinter mir.
Leise und schnell, schließlich lauter und langsamer.
„Warum gehst du?“
„Dies ist nicht der Ort für solch alberne Unterhaltungen, wie wir sie geführt haben.“
„Warum nicht?“
„Hör auf zu Fragen.“
„Hast du was gegen Fragen?“
„Ja.“
„Du wirst auch mal eine Mutter, die ihren Kindern alle ihre Fragen mit ‚ist eben so’ beantwortet.“
Die Schritte verstummten und ich blieb ebenfalls abrupt stehen. Starrte gegen das schmiedeeiserne Tor, das sich nur noch einen Meter von mir entfernt befand.
„Woher willst du das wissen?“, fragte ich gegen die Eisenstäbe.
„Ist eben so.“
Ich drehte mich blitzschnell um.
„Willst du mich auf den Arm nehmen?“, fragte ich nun sauer.
Er kam den einen Schritt auf mich zu und ehe ich mich bewegen konnte, hatte er seine Arme um mich geschlossen und hob mich hoch.
„Verdammt was soll das?“
„Du hast doch gefragt, ob ich dich auf den Arm nehme, oder?“
Ich paddelte mit Armen und Beinen.
Kam doch nicht frei.
Paket Nummer 145843.
„Ich.. ich meinte das doch nicht so! Lass mich runter, verdammt!“
„Was ist, wenn ich nein sage?“
„Dann ruf ich die Polizei.“
„Und wie willst du das tun?“
„Hör auf zu fragen.“
„Soll ich dich runterlassen?“
„Ja.“
Endlich hatte ich wieder Boden unter den Füßen, sah empört zu dem Mann auf.
Nur ein Grinsen.
Er machte mich wahnsinnig. Rasend.
„Wer bist du?“
„Hatten wir das Thema nicht schon vorhin?“
„Okay, dann lassen wir es eben! Dann lass mich allein, in Ruhe! Lass mich einfach gehen.“
„Warum gehst du nicht? Du hättest doch die ganze Zeit gehen können. Aber du hast es nicht getan.“
„Hör auf mit deinen bekloppten Fragen!“
„Ich soll aufhören zu fragen? Warum?“
„Weil es mich irre macht!“
„Machen dich die Fragen irre oder macht es dich irre, dass jemand so viel Kontrolle über dich hat?“
„Kontrolle? Meinst du, dass du die Kontrolle über mich hast?“
„Warum würdest du sonst wütend werden?“
Ich sagte nichts, trat einen endgültigen Schritt aus dem Friedhof.
Ging mit langsamen Schritten zum Auto und durchsuchte meine Taschen nach dem Schlüssel.
Der Schlüssel war nicht da.
Aber er.
Stand gemütlich gegen den Wagen gelehnt in der Sonne, kaute auf einem Zahnstocher.
„Suchst du den hier?“
„Kannst du beamen?“, fragte ich missmutig, starrte auf meinen Autoschlüssel, der zwischen seinen Fingern durch die Luft baumelte.
„Bestiehlst du gern kleine Mädchen?“
Er grinste.
„Macht dir das Spaß?“
Er grinste weiter.
Mir platzte der Geduldsfaden. „Hast du nichts anderes zu tun, als dass du auf einem Friedhof rumstöberst und jungen Frauen den Wagen klaust? Hast du kein Zuhause? Oder keine Frau, an der du dich auslassen kannst? Vielleicht bist du ja ein Spanner und geilst dich an wütenden Frauen auf?“, schrie ich ihn an.
„Wenn ich das tun würde, hätte ich dann noch beide Hände aus der Hose?“
Verärgert trat ich nach einem kleinen Stein.
Dieser Kerl machte mich fertig.
Meine Körperhaltung sackte in sich zusammen, mein Blick hing am Boden.
„Ich hab ein paar Fragen...“, murmelte ich.
„Hm?“
„Warum bleibst du so ruhig? Warum stellst du nur Fragen? Wie schaffst du es, dass ich dir doch noch zuhöre? Und warum zum Teufel weißt du, was ich denke?“
Er lächelte leicht.
„Kannst du mir diese Fragen beantworten?“
„Bitte...?“, fügte ich leise hinzu.
„Okay, bei einem Eis.. ich lad dich auch ein...“
Er warf mir meinen Schlüssel zu, doch meine Reflexe waren gleich Null und so schlug der Anhänger erst mitten an meine Stirn und fiel dann auf dem Boden.
„Oh! ’Tschuldige!“, stammelte er, bückte sich nach dem Schlüssel und gab ihn mir in die Hand.
Verdammt unsicher.
„Wie lauteten deine Fragen?“
Der Kaffee dampfte und das Eis würde gleich kommen.
„Ich weiß es nicht mehr...“, murmelte ich.
Hatte eigentlich gar keine Lust mit diesem Mann hier zu sein. Ich wusste nicht, wer er war. Ich wusste nur, dass ich ihn nicht kannte und keine Ahnung hatte.
„Darf ich ein paar Fragen stellen?“
„Tust du was anderes außer das?“
„Musst du immer mit Gegenfragen antworten?“
„Tust du nicht genau das gleiche?“
Er lachte auf.
„Ich glaube, ich habe schon die Antworten auf meine Fragen.“
„Warum?“ Ich war kurz davor, mir selbst auf die Zunge zu beißen – nun war ich schon wie er. Fragte nur noch. Oder waren wie gleich? Schließlich stellte ich immer Fragen. Nur meist an mich selbst. Innen drin.
„Ich glaube unser Gespräch bis jetzt, hat viel über dich ausgesagt.“
Ich wurde skeptisch.
„Wie kommst du darauf?“
„Jetzt willst du mich aber verarschen, oder?“
„Kann sein.“
Ich grinste.
Er schüttelte leicht den Kopf.
Der Kellner kam, stellte die Eisbecher ab und wir aßen.
Schweigend.
Jeder mit tausend Fragen im Kopf.
„Ist dir irgendwas aufgefallen? Ich mein, waren irgendwelche fremden Gestalten auf dem Hof?“
Ich verschluckte mich an dem Eis, jappste nach Luft.
Es schüttelte mich und mit Tränen in den Augen sah ich schließlich auf.
„Woher weißt du...?“
„Ich weiß ziemlich viel...“
„Wer...?“
„Okay, ich gebe zu... ich bin gemein.“
Ich nickte zustimmend.
„Hast du Angst?“
Ich nickte, wusste nicht einmal warum.
„Musst du nicht haben.“ Wie selbstverständlich ergriff er meine Hand, die auf dem Tisch lag. Seine warme Handfläche schmiegte sich an meinen Handrücken.
„Mir ist das zu unheimlich... Sag mir einfach was los ist...“
Erst ignorierte ich das Zittern in meiner Stimme, doch nach diesen zwei Sätzen rollten Tränen wie die Sinnflut über meine Wangen.
Noah! Rette die Tiere! Von jedem Tier ein Paar!
Die Flut strömte über mein Kinn, tropfte von dort aus auf meine kurze Hose.
Zu spät. Alle Tiere ertrunken.
Der Mann war mit einem seltsamen Gesichtsausdruck aufgesprungen.
Nicht sehr angenehm, wenn mitten im Eiscafé eine junge Frau anfing zu weinen und man der Mann in ihrer Begleitung war.
Die anderen Gäste konnten nicht wissen, dass wir uns nicht kannten.
Für sie hatten wir ausgesehen wie ein...
„Hey, hey...“, flüsterte er mir ins Ohr. Doch dadurch wurde es nicht besser: Ich zitterte und heulte nur noch mehr.
Er hatte seinen Arm um mich gelegt, doch ich empfand nur Kälte.
Und Angst.
„Was ist Angst?“
Er hatte mich losgelassen.
Unwillkürlich fing ich heftig an zu zittern.
Mein Atem ging immer schneller, ich spürte ihn bald nicht mehr.
Keine Luft, wo war die Luft geblieben? Da musste Sauerstoff in meine Lungen.
Die Welt um mich herum ging nicht mehr.
Sie kippte um, lief zu langsam, spulte sich zurück und vor – willkürlich.
Leute, die wie in einer Anreihung von Bildern in hektische Bewegungen ausbrachen. Unscharf und verwischt.
Ich saß nur da.
Wie eingefroren.
Was friert, taut auch wieder auf.
Aber ist es danach noch wie davor?
Ich hoffe, dass ein paar von euch sich durchbeißen,
LG
LisaRM
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Meine Knie versanken leicht in dem klammen Boden.
Er zog sie magisch an, ließ nicht mehr los.
Meine Hände krallten sich in die schwarze Erde.
Wollten nicht loslassen, graben, Nähe.
Meine Augen waren auf ein Blumenmeer gesenkt.
Blumenmeer mit nur einer Welle. Die anderen waren verebbt oder grau.
Meine Tränen tropften herab.
Benetzten die blauen Blümchen mit kleinen Tropfen.
Meine Gefühle waren nicht mehr da.
Sie schienen wie weggewischt und ließen nur Platz für eines.
Es war DAS Gefühl in meinem Leben geworden. Von Morgen bis Abend, Sonnenauf- bis Untergang, früh bis spät,...
Die Traurigkeit verdrängte alles andere. Gedanken, Wahrnehmung und Selbsteinschätzung.
Ein groteskes Netz hatte sie sich gesponnen: Mit seidenen Fäden aus Einsamkeit und Verzweiflung.
Meine Tränen hielten inne.
Benetzten meine blauen Wangen und trockneten. Ließen einen kleinen Salzfilm zurück.
Meine Augen wanderten nach oben.
Starrten frontal auf kalten Stein.
Meine Hände ließen die Erde los.
Ließ sie verzweifelt zwischen den Fingern gerinnen. Auf die Vergiss-mein-nicht.
Nur meine Knie blieben dort wo sie waren.
Auf dem Boden. Hatten keine Kraft aufzustehen. Keine Lust, Motivation oder Ansporn.
Ich hasste es, hier zu sein.
Aber so war ich ihm am nächsten. Oder war er überall?
Mein Blick ging in die Leere, während ich mal wieder einen sinnlosen Gedanken nach dem anderen fasste. Gab es sinnlose Gedanken? Vielleicht schon. Wenn man Langeweile hatte. Hatte ich Langeweile? Nein. Also war es sinnvoll. Was war sinnvoll? Brachte es mir was?
Ich sollte nicht so egoistisch denken.
Mit einem Ruck stand ich auf, starrte den kleinen Grabstein an.
Dann die winzigen Blumen. Kein Meer.
Ich hatte sie rechts und links neben dem Stein gepflanzt und vorn noch eine kleine. Damit ich einen Grund hatte, zu weinen. Ich musste die Blume gießen.
Fast verärgert klopfte ich den schwarzen, klebrigen Sand von meinen Knien. Kleine Abdrücke von Steinen blieben zurück.
Heftig nahm ich die kleine Gieskanne in die eine, die Harke in die andere Hand.
Schwungvoll drehte ich mich um.
Die Bäume ließen keinen Lichtstrahl durch.
Es schien doch die Sonne – warum hier nicht?
Ich würde dem Friedhofsgärtner mal bescheid sagen, vielleicht ließe es sich einrichten, dass...
Was?
Vielleicht ging es, wenn...
Man könnte zumindest anfragen.
Ein kleiner Sonnenstrahl zur Mittagszeit wäre nicht schlecht.
Er hatte die Sonne geliebt.
Dort hinten auf dem Grab war schließlich auch einer.
Mit festen Schritten ging ich voran, stoppte aber etwas skeptisch wieder.
Der dort.
Der passte hier nicht her.
Vielleicht sah er so lebendig aus.
War ich das nicht auch?
Am Montag Mittag war normalerweise niemand hier.
Die älteren Damen oder Herren gingen gleich früh.
Die Berufstätigen kamen höchstens einmal die Woche... frühestens ab 16 Uhr.
Und ich war 13 Uhr hier.
Er auch.
Die Gieskanne fiel mit einem lauten Scheppern zu Boden.
Plastik auf Kieselstein.
Die Harke klirrte,
Metall auf Stein.
Holz auf Stein.
Lisa auf Stein?
Meine Beine hielten.
Langsam kam die Gestalt näher. Auf mich zu.
Angst war das nicht in mir. Es fühlte sich eher an wie Freude, unsagbare Freude und Verwunderung.
Die Tränen blieben nicht zurück, schossen in meine Augen und versperrten die halbe Sicht.
Meine Beine rasten los.
Auf und davon.
Nicht davon! Auf die Gestalt zu!
Ich stolperte mehrmals, der Mann war stehen geblieben.
Kurz vor ihm, wischte ich mir über die Augen, damit ich etwas sehen konnte.
Was machte ER denn hier?
Schwarze Haare, mediterraner Teint, Augen der Südsee, nicht zu groß, nicht zu kein, schlank, Lederjacke, die hellblaue Jeans auf den Hüften, Turnschuhe. Proll. Araber.
Ich stieß mich vom Boden ab, sprang in die Arme, die sich dort kurzerhand geöffnet hatten.
Und...?
...ich fiel nicht auf den Boden.
Es war keine Einbildung.
Er war Wirklichkeit. Er war meine Liebe, meine Trauer, Zuversicht – er war alles. Mein Leben. Meine Knie mit den Abdrücken. Meine Kleidung mit den Flecken der Erde. Meine Nase, in der noch immer der Duft der kleinen blauen Blümchen herumschwirrte.
Fest schlang ich meine Arme um den Hals, schloss die Augen und küsste nur noch.
Immer weiter haschte ich nach seinen Lippen, konnte von deren Geschmack nicht genug bekommen.
Seine warmen Hände leicht wie Federn auf meinem Rücken.
Arme wie Flügel.
Ich hustete und das Moment war vorbei.
Einfach weg. Fort für immer?
Mit der Reizung meiner Atemwege taumelte ich einen Schritt rückwärts, sah danach auf.
Obwohl es falsch gewesen war, errötete ich nicht.
Der fremde Mann sah mich verdutzt an, strich sich durch die gegelten Haare.
„Ouff...“, gab er nur von sich, starrte etwas verwirrt und verunsichert durch die Gegend.
Ja – Verunsicherung war das dort in seinen Augen. Ganz sicher.
Die Sonnenbrille lässig in seiner Hand.
Diese Ähnlichkeit.
„Es...“, brachte ich nur heraus.
„Ich habe Sie verwechselt...“ Ich hatte mich gefasst, ließ meine Gerätschaften einfach liegen und wollte an dem Mann vorbeistürmen. Doch eine Hand aus Stahl packte meinen Oberarm, riss mich herum.
Ich starrte ihn an, wollte mich losreißen und beherrschte mich doch.
Irgendwas hatte er. Aber ich wusste nicht was.
Er sah genau aus wie er.
Oder hatte ich ihn einfach vergessen?
Vielleicht wusste ich gar nicht mehr, wie er...
„Wer bist du?“, fragte ich leise.
Er sah mich nur mit seinen warmen, schwarzen Augen an.
„Wer soll ich denn sein?“
Seine Gegenfrage verwirrte, aber beunruhigte mich nicht.
Seltsam ruhig schaukelten meine Gefühle in mir herum. Wie auf hoher See. Warten auf Wind.
Er lächelte seltsam. Es war anders.
Gab etwas Wind in die Segel.
„Ich.. weiß nicht...“, murmelte ich, konnte seinem Blick nicht weiter standhalten.
„Du weißt ganz genau... ich weiß es auch.“
Ein Rätsel nach dem anderen?
Raterunde am frühen Nachmittag?
Auf dem Friedhof?
Einen tollen Platz hatte er sich ausgesucht.
Vielleicht sollten wir Tische aufstellen und Bingo spielen.
„Wenn du mir schon nicht sagst, wer du bist... WAS willst du dann?“
Er sah mich wieder so an.
Er lächelte.
War das ein überlegenes Lächeln?
Meinte er, er habe mich in der Tasche? Unterdrückt? Eingesteckt? Verpackt?
Paket Nummer 145843.
Doch zu meiner Verwunderung sagte er doch etwas.
„Was denkst du denn, was ich will?“
Jede Frage eine Gegenfrage?
Bestand nicht nur ich aus Fragen, sondern mein ganzes Leben? Alles?
Man sollte Fragezeichen abschaffen. Ausrufezeichen waren eh viel schöner!
„Kannst du noch etwas anderes als Fragen stellen?“
Ich ging einen Schritt Richtung ‚an ihm vorbei’.
Er lachte auf.
„Kannst du denn was anderes?“
Mein Atem blieb kurz stehen.
Konnte ich was anderes?
Fragen, Fragen, Fragen? Den ganzen Tag, die ganze Nacht?
Ja.
Ich konnte nichts anderes mehr. Oder?
Alles hinterfragen. Nur Fragen.
Fragen, auf die es eh keine Antworten gab.
Kleine Kinder fragten auch. Sie fragten alles.
Warum ist der Himmel blau?
Warum die Sonne hell?
Warum das Gras grün?
Kann man es wachsen hören?
Was war zuerst da? Das Huhn oder das Ei?
Warum wird es Tag?
Warum gibt es die Sonne?
Warum ist das Universum unendlich?
Das waren die Fragen, die Mütter ihren Kindern auf dem Spielplatz mit einem genervten „Ist eben so.“ beantworteten. Die Kinder waren zufrieden. Jedenfalls manche.
Im Endeffekt war keines zufrieden und würde sein Leben lang weiter Fragen stellen.
Das Ende dieses riesigen Gedankenganges?
Ich war wie er.
Nur ein kleines Kind.
Also ging ich. Einfach den Weg entlang auf das große Friedhofstor zu. Draußen schien die Sonne und hier nicht. Der Friedhofsgärtner würde für mich nicht die paar Äste wegen der Sonne zurückschneiden.
Weil ich ihn nicht fragen würde.
Es war mein letzter Besuch.
Schnelle Schritte hinter mir.
Leise und schnell, schließlich lauter und langsamer.
„Warum gehst du?“
„Dies ist nicht der Ort für solch alberne Unterhaltungen, wie wir sie geführt haben.“
„Warum nicht?“
„Hör auf zu Fragen.“
„Hast du was gegen Fragen?“
„Ja.“
„Du wirst auch mal eine Mutter, die ihren Kindern alle ihre Fragen mit ‚ist eben so’ beantwortet.“
Die Schritte verstummten und ich blieb ebenfalls abrupt stehen. Starrte gegen das schmiedeeiserne Tor, das sich nur noch einen Meter von mir entfernt befand.
„Woher willst du das wissen?“, fragte ich gegen die Eisenstäbe.
„Ist eben so.“
Ich drehte mich blitzschnell um.
„Willst du mich auf den Arm nehmen?“, fragte ich nun sauer.
Er kam den einen Schritt auf mich zu und ehe ich mich bewegen konnte, hatte er seine Arme um mich geschlossen und hob mich hoch.
„Verdammt was soll das?“
„Du hast doch gefragt, ob ich dich auf den Arm nehme, oder?“
Ich paddelte mit Armen und Beinen.
Kam doch nicht frei.
Paket Nummer 145843.
„Ich.. ich meinte das doch nicht so! Lass mich runter, verdammt!“
„Was ist, wenn ich nein sage?“
„Dann ruf ich die Polizei.“
„Und wie willst du das tun?“
„Hör auf zu fragen.“
„Soll ich dich runterlassen?“
„Ja.“
Endlich hatte ich wieder Boden unter den Füßen, sah empört zu dem Mann auf.
Nur ein Grinsen.
Er machte mich wahnsinnig. Rasend.
„Wer bist du?“
„Hatten wir das Thema nicht schon vorhin?“
„Okay, dann lassen wir es eben! Dann lass mich allein, in Ruhe! Lass mich einfach gehen.“
„Warum gehst du nicht? Du hättest doch die ganze Zeit gehen können. Aber du hast es nicht getan.“
„Hör auf mit deinen bekloppten Fragen!“
„Ich soll aufhören zu fragen? Warum?“
„Weil es mich irre macht!“
„Machen dich die Fragen irre oder macht es dich irre, dass jemand so viel Kontrolle über dich hat?“
„Kontrolle? Meinst du, dass du die Kontrolle über mich hast?“
„Warum würdest du sonst wütend werden?“
Ich sagte nichts, trat einen endgültigen Schritt aus dem Friedhof.
Ging mit langsamen Schritten zum Auto und durchsuchte meine Taschen nach dem Schlüssel.
Der Schlüssel war nicht da.
Aber er.
Stand gemütlich gegen den Wagen gelehnt in der Sonne, kaute auf einem Zahnstocher.
„Suchst du den hier?“
„Kannst du beamen?“, fragte ich missmutig, starrte auf meinen Autoschlüssel, der zwischen seinen Fingern durch die Luft baumelte.
„Bestiehlst du gern kleine Mädchen?“
Er grinste.
„Macht dir das Spaß?“
Er grinste weiter.
Mir platzte der Geduldsfaden. „Hast du nichts anderes zu tun, als dass du auf einem Friedhof rumstöberst und jungen Frauen den Wagen klaust? Hast du kein Zuhause? Oder keine Frau, an der du dich auslassen kannst? Vielleicht bist du ja ein Spanner und geilst dich an wütenden Frauen auf?“, schrie ich ihn an.
„Wenn ich das tun würde, hätte ich dann noch beide Hände aus der Hose?“
Verärgert trat ich nach einem kleinen Stein.
Dieser Kerl machte mich fertig.
Meine Körperhaltung sackte in sich zusammen, mein Blick hing am Boden.
„Ich hab ein paar Fragen...“, murmelte ich.
„Hm?“
„Warum bleibst du so ruhig? Warum stellst du nur Fragen? Wie schaffst du es, dass ich dir doch noch zuhöre? Und warum zum Teufel weißt du, was ich denke?“
Er lächelte leicht.
„Kannst du mir diese Fragen beantworten?“
„Bitte...?“, fügte ich leise hinzu.
„Okay, bei einem Eis.. ich lad dich auch ein...“
Er warf mir meinen Schlüssel zu, doch meine Reflexe waren gleich Null und so schlug der Anhänger erst mitten an meine Stirn und fiel dann auf dem Boden.
„Oh! ’Tschuldige!“, stammelte er, bückte sich nach dem Schlüssel und gab ihn mir in die Hand.
Verdammt unsicher.
„Wie lauteten deine Fragen?“
Der Kaffee dampfte und das Eis würde gleich kommen.
„Ich weiß es nicht mehr...“, murmelte ich.
Hatte eigentlich gar keine Lust mit diesem Mann hier zu sein. Ich wusste nicht, wer er war. Ich wusste nur, dass ich ihn nicht kannte und keine Ahnung hatte.
„Darf ich ein paar Fragen stellen?“
„Tust du was anderes außer das?“
„Musst du immer mit Gegenfragen antworten?“
„Tust du nicht genau das gleiche?“
Er lachte auf.
„Ich glaube, ich habe schon die Antworten auf meine Fragen.“
„Warum?“ Ich war kurz davor, mir selbst auf die Zunge zu beißen – nun war ich schon wie er. Fragte nur noch. Oder waren wie gleich? Schließlich stellte ich immer Fragen. Nur meist an mich selbst. Innen drin.
„Ich glaube unser Gespräch bis jetzt, hat viel über dich ausgesagt.“
Ich wurde skeptisch.
„Wie kommst du darauf?“
„Jetzt willst du mich aber verarschen, oder?“
„Kann sein.“
Ich grinste.
Er schüttelte leicht den Kopf.
Der Kellner kam, stellte die Eisbecher ab und wir aßen.
Schweigend.
Jeder mit tausend Fragen im Kopf.
„Ist dir irgendwas aufgefallen? Ich mein, waren irgendwelche fremden Gestalten auf dem Hof?“
Ich verschluckte mich an dem Eis, jappste nach Luft.
Es schüttelte mich und mit Tränen in den Augen sah ich schließlich auf.
„Woher weißt du...?“
„Ich weiß ziemlich viel...“
„Wer...?“
„Okay, ich gebe zu... ich bin gemein.“
Ich nickte zustimmend.
„Hast du Angst?“
Ich nickte, wusste nicht einmal warum.
„Musst du nicht haben.“ Wie selbstverständlich ergriff er meine Hand, die auf dem Tisch lag. Seine warme Handfläche schmiegte sich an meinen Handrücken.
„Mir ist das zu unheimlich... Sag mir einfach was los ist...“
Erst ignorierte ich das Zittern in meiner Stimme, doch nach diesen zwei Sätzen rollten Tränen wie die Sinnflut über meine Wangen.
Noah! Rette die Tiere! Von jedem Tier ein Paar!
Die Flut strömte über mein Kinn, tropfte von dort aus auf meine kurze Hose.
Zu spät. Alle Tiere ertrunken.
Der Mann war mit einem seltsamen Gesichtsausdruck aufgesprungen.
Nicht sehr angenehm, wenn mitten im Eiscafé eine junge Frau anfing zu weinen und man der Mann in ihrer Begleitung war.
Die anderen Gäste konnten nicht wissen, dass wir uns nicht kannten.
Für sie hatten wir ausgesehen wie ein...
„Hey, hey...“, flüsterte er mir ins Ohr. Doch dadurch wurde es nicht besser: Ich zitterte und heulte nur noch mehr.
Er hatte seinen Arm um mich gelegt, doch ich empfand nur Kälte.
Und Angst.
„Was ist Angst?“
Er hatte mich losgelassen.
Unwillkürlich fing ich heftig an zu zittern.
Mein Atem ging immer schneller, ich spürte ihn bald nicht mehr.
Keine Luft, wo war die Luft geblieben? Da musste Sauerstoff in meine Lungen.
Die Welt um mich herum ging nicht mehr.
Sie kippte um, lief zu langsam, spulte sich zurück und vor – willkürlich.
Leute, die wie in einer Anreihung von Bildern in hektische Bewegungen ausbrachen. Unscharf und verwischt.
Ich saß nur da.
Wie eingefroren.
Was friert, taut auch wieder auf.
Aber ist es danach noch wie davor?