Snowi
Da ich mit meiner Geschichte „Verfallen“ im Moment nicht weiterkomme, aber auch nicht so einrosten wollte, gibt es hier nun eine neue Geschichte von mir. Ich habe schon etwas mehr vorbereitet, als ich ausstelle, aber weil ich bei „Verfallen“ festgestellt habe, dass mein Schreibstil anstrengend zu lesen ist, werde ich nur kleinere Teile online stellen. Bitte habt Verständnis.
Ich würde mich über zahlreiche Kommentare & sachliche Kritik sehr, sehr freuen & halte auch gerne Gegenbewertungen ab.
& nun genug der Vorrede, viel Spaß beim Lesen!
Ich würde mich über zahlreiche Kommentare & sachliche Kritik sehr, sehr freuen & halte auch gerne Gegenbewertungen ab.
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1. Teil
„Bleib steh’n, du verdammte Schlampe! Bleib steh’n hab ich gesagt!“
Lilly stolperte und es hätte sie beinahe von den Füßen gerissen. Hinter sich hörte sie ihn stöhnen, wusste, dass er zwischen den beiden Optionen, die sich im boten, hin- und herschwankte wie ein Schiff auf offener See. Die eine davon verlangte, dass er sich wie ein Verlierer dem Schmerz ergab. Die andere befahl ihm ihr hinterherzulaufen. Während sich das Mädchen nicht darum scherte, dass sich der gesamte Inhalt ihrer geöffneten und wild an ihrem Körper hin- und herschlackernden Tasche auf den asphaltierten Boden entleerte, hoffte sie verzweifelt, der Mistkerl würde sich für seine erste Möglichkeit entscheiden.
Sie rannte nun. Dafür, dass sie nur ihre leichten Ballerinas trug, verursachte sie ein recht lautes, klatschendes Geräusch mit ihren Schritten, doch sie hatte kein Ohr dafür. Nur ein Außenstehender hätte das in diesem Moment als bemerkenswert auffassen können.
Hatte Lilly jegliches Zeit- und Raumgefühl verloren, während sie wie um ihr Leben – wer wusste das schon – gerannt war, kehrte dies nun augenblicklich zurück. Sie hatte die große Kreuzung erreicht, wo selbst um diese Nachtzeit noch Passanten unterwegs waren. Sie war in Sicherheit.
Das grelle Licht einer wild flackernden Straßenlaterne blendete das Mädchen, als sie bei rotem Licht, ungeachtet des fließenden Verkehrs, die Straße überquerte, die rettende nächste Bushaltestelle immer im Blick. Ihr Atem ging schnell, ihre Brust hob und senkte sich sehr rasch und die Gedanken veranstalteten ein Inferno in ihrem Kopf, unfähig einen klaren Gehirnstrom zu formen, der dem Mädchen ungeklärte Fragen beantworten würde. Fragen nach dem "Warum?", dem großen, unermesslich mächtigen "Warum?", das keiner der Könige, Päpste und Fürsten je zu beantworten gewusst hatte. Und die Frage nach der Zukunft, nach dem, was geschehen würde, wenn sie zu Hause in ihrem Bett lag. Nackt und schutzlos dieser Nacht ausgeliefert. Sie schüttelte energisch ihren Kopf, sodass ihre Haare im kühlen Abendwind gespenstisch umherflatterten und steckte ihre zitternden, schweißnassen Hände in die Hosentaschen. Fernab von ihrem Standpunkt schlug irgendeine Kirchenglocke in irgendeinem Teil der Stadt Mitternacht.
Der Bus kam.
Die Straße, in der Lillys Wohnort sich befand, war in schwaches, gelbliches Licht getaucht. Es war ihr nicht einmal gegönnt mehr als ein paar wenige Meter weit zu sehen. Trotzdem wusste sie, wo sie hin musste – schließlich lebte sie hier seit ihrer Geburt, bei ihren Eltern, ihrem Bruder und ihrer erst kürzlich erhaltenen Babykatze Lou. Sie würde von Glück reden können, wenn ihre Eltern immer noch im Theater waren oder - noch besser - sich nach dem Stück entschlossen hatten noch eine Kleinigkeit trinken zu gehen. Das letzte, was sie jetzt noch gebrauchen konnte, war eine spitzfindige Mutter, die ihr garantiert ansehen würde, dass etwas nicht stimmte.
Als sie den knirschenden Kies des Zuwegs zu ihrem Haus unter den Schuhen spürte und mit klopfendem Herzen zur Garage blickte, stellte sie mit Erleichterung fest, dass das Tor geöffnet und ein Auto nicht zu sehen war. Sie griff in ihre Hosentasche und zog den Schlüssel hervor. Sekunden später glitt er wie geölt in seine Fassung. Die Tür gab ein leises Klicken von sich und schwang auf.
Die unverkennbare Wärme und der Duft ihres Heims schwangen Lilly entgegen. Sie trat ein, sah sich kurz um und ließ die Tür wieder ins Schloss fallen. Kurz darauf fand sie sich am Boden zusammengesunken wieder, den Kopf in den zarten Händen vergraben. Genau das, wovor sie sich so geängstigt hatte, war eingetreten, wenn auch etwas früher als erwartet.
Die Macht der Ereignisse der letzten Stunden strömte auf sie ein wie ein Orkan, riss sie von den kleinen Füßen und machte sie dem Erdboden gleich. Es schien, als hätte man sie an die Bushaltestelle zurückgebeamt, als stände sie wieder an jenem Pfeiler. Als käme der Bus, als fragte man sie nach einer Zigarette und ihrer Handynummer. Als gäbe sie erneut jene freche Antwort.
Sie spürte den widerlichen Atem des jungen Mannes in ihrem Nacken, spürte seine Zähne, wie sie sich in ihr Fleisch gruben und kurz darauf seine Zunge ihren Gaumen wie ein tödlicher Virus befallen. Lilly konnte die Hände der anderen überall an ihrem Körper fühlen. Erneut kam sie sich vor, als wäre ihr Körper von widerlichen Krabbeltieren befallen.
„Buh!“
Lilly zuckte heftig zusammen und riss sich die Finger vom Gesicht. Ihr zwei Jahre älterer Bruder Max hatte sich vor ihr aufgebaut. Ein breites Grinsen spielte um seine vollen Lippen.
„Ich hab dich doch nicht etwa erschreckt?!“
Das Mädchen entspannte sich wieder.
„Du weißt doch, wie ich es hasse, erschreckt zu werden.“
„Eben deshalb.“
Sein Grinsen wurde noch breiter, doch als seine kleine Schwester nicht wie erwartet auch schwach wurde und begann zu lachen, erstarb es schlagartig. Er ging in die Hocke, bis er auf Augenhöhe mit der Sechzehnjährigen war. Der Ausdruck in seinen Augen hatte etwas Forschendes.
„Was ist los mit dir? Stimmt irgendwas nicht?“
Lilly schob seine Hand weg.
„Ist alles in Ordnung. Ich bin nur müde.“
Der Junge wandte sich ab, hielt dann jedoch noch einmal inne und drehte sich erneut zu ihr um.
„Du bist blass …“, sagte er leise und seine Stimmlage glitt in ein Flüstern über. Langsam streckte er die Hand nach ihrer Wange aus, ganz sachte strich er darüber und ein besorgter Blick hatte sich wie ein grauer Dunstschleier über seine azurblauen Augen gelegt.
Unwirsch stieß Lilly seine Hand weg.
„Lass das!“
Sie stand auf, griff nach ihrer Tasche und rannte die Treppen zu ihrem Schlafzimmer hinauf.