Blümchen
Kapitel II
Noemie zog sich die Bettdecke bis über die Brust. Sie wusste, dass für heute alles vorbei war. Endlich alleine und kein Grinsen vor Augen sehen, welches in verschwiegener Vorlaune war, ES wieder zu tun. Diese Warnhinweise kannte das Mädchen inzwischen besser, als ihre eigenen und als überhaupt sich selbst. Es schien in den Sternen zu stehen, wer sie wirklich war. Wie sie was erreichen wollte oder wonach sie strebte. Früher, in solch jungen Jahren, hatte sie den Wunsch geäußert einmal etwas mit Tieren zu machen. Seither änderte sich ihre Meinung bishin dazu, dass sie die Wesen in ihrer Vielfalt verabscheute.
Es ist alles gut, alles wird wieder normal.
Ein Rumpeln durchschnitt die Stille und das Kind zuckte zusammen, zog die Decke über den Mund und spürte wie der Stoff ihre gefeuchteten Lippen strriff. Es wa ein hässliches Gefühl, sie mochte es nicht. Und sie hasste auch das Geräusch, welches dieser Moment mit sich brachte. Wenn Haut an irgendetwas rieb, entstand immer dieses Rauschen, als welches sie es bezeichnete. Es gefiel ihr nicht und sie hat einen Ekel davor aufgebaut, dennoch blieb Noemie nun nicht viel Zeit sich davor zu scheuen, denn ein lautes Gepolter zog nun ihre Aufmerksamkeit auf sich.
Das ist sie. Sie hat getrunken. Es ist schon Alltag, Noemie beruhig dich, du kennst sie gar nicht mehr anders.
Und ob sie sie anders kannte. Früher als Kind, als sie noch zu geregelten Zeiten nach Hause kam, hatte sie es kaum abwarten können, ihre Mutter in die Arme zu schließen. Doch nun empfand sie nichts als Abscheu. Einerseits weil sie trank und sie es hasste, wie sie sie aus diesen abwesenden Augen ansah, andererseits aus dem schlichten Grund, dass Karl ihr Freund war. Der Karl, welcher sie Tag für Tag auf ein Neues mit seinen lustvollen Blicken verzerrte.
Ich darf nicht daran denken, das ist nicht gut. Es wird alles wie früher, außerdem muss ich schlafen. Ich will schlafen, denn da vergesse ich mich für Augenblicke. Ich will es.
Doch sie konnte einfach nicht vegessen, wie er ihre Beine auf ein Neues auseinander presste, sie schrie, als würde er ihr das Leben rauben wollene. Auch jetzt, wo sie allein daran dachte, begann ihr Herz zu rasen, ganz holprig und unkonrolliert, so mochte sie es beschreiben. Es tat so weh all dies ertragen zu müssen. Und es war nicht allein Mareike, die ihr Sorgen machte. Im Gegenteil, sie war ihr beinahe egal geworden, seitdem Schlimmeres in ihr Leben getreten war. Karl, sollte sie das Unheil nennen, hatte ihr Mareike gesagt und dabei herzlich gelächelt. Verdammt, sie ist nicht unschuldig, dass Karl mich jeden Tag vergewaltigt, sie missbraucht, verletzt und benutzt. Es ist reine Machtausnutzung, doch was würde es bringen, diese Erkenntnis an ihn weiterzugeben? Vermutlich nichts. Alles würde bleiben wie es ist, denn ein Mensch, der über die Rechte hinwegsieht und seine eigenen verwendet um Andere zu missbrauchen, würde nie auf Worte hören, wenn er nicht einmal auf die Todesschreie reagiert, dachte Noemie stumm und ballte ihre Hand zu einer Faust.
Dann erlosch das Licht im Flur und allein der fahle Einfall des Mondes spendete Noemie ein wenig Licht um Unsichtbares sichtbar zu machen. Leise seufzend wandte sich das Mädchen auf die linke Seite und legte die Knie aufeinander. Ein schallender Schmerz ließ sie schnell bemerken, dass diese Bewegung und Handlung die falsche war, denn die blau überzogenen Knie taten höllisch weh, sobald sie in Berührung mit etwas anderem kamen. Das Mädchen schluchzte leise, zog erneut die Bettdecke in die Höhe, obwohl sie in solch heißer Sommernacht schwitzte. Ihre Haut wurde schon von einem Film dünstrigen Schweißes überzogen, doch man könnte meinen, dass sie diesem keine Beachtung schenkte. Alles war gut, alles war besser, als das, was sie heute Mittag durchlebt hatte. Wie es morgen in der Schule werden würde, wusste sie nicht. Ohnehin wusste Noemie nicht, ob sie hinging oder schwänzte. Doch letzteres wäre fatal wie immer, denn ihr Lehrer wartete nur hinterlistig hinter dem Telefon, um ihren Vater zu informieren, dass seine Schülerin auf ein Neues nicht die Schule besucht hatte. Das Mädchen würde es nicht schaffen, seine Lügen in dem dunklen Keller anzuhören, ohne sich die Hände an den Wänden blutig zu schlagen.
Irgendwann musste sie eingeschlafen sein, denn nun fand sie sich im Reich der Träume wieder und durchlebte eine Situation, die sie lange versucht hatte zu verdrängen. Es war zwölf Uhr Mittag und ihr Blick glitt zur Küchenuhr. Für sie war Schule ausgefallen, für den Rest der Klasse ebenso. Sie hatte nicht geschwänzt, hatte es noch nie getan. Als der Schlüssel im Schloss gedreht wurde, wurde sie hellhörig. Das ihre Mutter zu dieser Zeit auch heim kam, war selten geworden. Schon oft war es passiert, dass sie tief in der Nacht das Haus betrat und Noemie vermeinte ihre Fahne bishin in ihr Zimmer riechen zu können. Allein bei diesem Gedanken durchfuhr ihr ein Gefühl von Übelkeit. Doch nun musste sie sich wieder auf den Traum konzentieren, welcher auf realen Tatsachen beruhte. "Sieh mal Schatz." Das Mädchen liebte es, wenn Mutter eine Überraschung für sie hatte, doch von diesem Augenblick an, sollte sie es hassen lernen. "Gude." Es war eine Männerstimme gewesen, die dort hinter der ihrer Mutter hinterhergehechtet war. Mareike hatte nie Männer ins Haus gebracht, doch, dass dieser Tag Veränderungen mit sich bringen würde, war Noemie schon wenige Augenblicke später bewusst geworden.
"Das ist Karl. Er wird bei uns einziehen." Noemie überog ein Schauer, sie rollte sich in ihrem Bett zusammen und wimmerte leise. Ihre Gedanken schossen wie Waffenkugeln durch den Kopf, hämmerten dröhnend laut.
Einziehen!? So wie ein Vater!? Ist, ist sie des Wahnsinns? Er kann nie und nimmer mein Vater werden! Mama, nein!
Die Realität riss sie zurück, sie atmete schwer und befand sich dennoch im Traum. Denn der Traum war ihre Realität. Oder besser, der Alptraum. Mit dem kleinen Unterschied, dass sie nun nicht vermeinte zu antworten, sondern nur spürte, wie ihre Augen drohten aus den leicht hervorstehenden Augenhöhlen zu springen. Sie hatte doch schon längst realisiert, dass er kein guter Vater sein würde. Nicht nur seine von Tatoo's überfüllten Arme beeinflussten den ersten Eindruck im negativen. Er sah einfach so scheußlich aus und seine Art sich zu bewegen, machte ihr Angst und jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. Sein dicker, aufgeplusterter Bierbauch wippte bei jedem Schritt mit, genau wie das ausgeleierte Doppelkinn, welches er sich angefressen haben musste. Noemie war sofort klar, dass sie nicht nur sein Äußere hasste, sondern auch noch lernen würde, die Charakterzüge zu verabscheuen.
Doch sie kann ihn nicht zurück halten, als er von der Diele in das Wohnzimmer schreitet. Das Mädchen setzt sich nur reglos hin, starrt ihn an. Sie weiß nicht, was als nächstes auf sie zukommen wird, doch sie ahnt, dass dieser Mann etwas mit dem 'zu spät kommen' ihrer Mutter zu tun hat. Sie wird sie an ihn verlieren, nein, sie hatte es zu diesem Zeitpunkt schon längst getan. Und es tat weh mit ansehen zu müssen, wie die Hand des Mannes nun die Finger Mareike's umschlingt. Sie will ihn daran hindern, möchte nicht das alles innerlich gedachte nach Außen dringt, doch bleibt kein Weg es zu stoppen. "Möchtest du unserem neuen Mitbewohner nicht begrüßen?" Nein, Noemie möchte es nicht und doch ist sie ein wenig erleichtert, dass sie ihn nicht Vater nannte. Doch es sollte sich ebenso ändern, wie vieles andere. Es sollte alles ändern. Ihr Leben von heute auf morgen umkrämpeln, ohne dass man sie auch nur in einer Kleinigkeit eingebzogen wurde.
Sie stand da, in einer Welt nur zum Zusehen bestimmt. Sie konnte nur spüren, jedoch nicht sprechen, geschweigedenn sich gegen alldas wehren.
Bis vor kurzen war der Himmel noch sternenklar gewesen, doch nun war es sogar unmöglich geworden auch nur den Mond zu sehen. Alles verschwamm vor ihren Augen und die Welt englitt ihren Händen, ohne das sie irgendetwas hätte mitwirken können. Es war alles vorbei, vielleicht für immer, Noemie ahnte dergleiches von diesem Augenblick an. Und genau dies war auch der Grund, weswegen sie nun so gelähmt dort saß, nichts tat, nichts sprach. "Naja, du hast sie wasserfallartig beschrieben, dass ist sie nun wirklich nicht." Mareike hebt nach seinen gedrungenen Worten nur unschuldig die linke Hand und lässt sie dann wieder an ihren schmalen Leib sinken.
Halt die Klappe, du weißt nichts, du wirst nie etwas wissen.
Das Kind muss mitansehen, wie er abermals ihre Hand nimmt, er spielt mit ihren Fingern und sie muss daran denken, dass er schon einige Male mit etwas anderen an ihrem Körper gespielt hatte. Es tut weh so zu denken, es tut auch weh zu wissen, dass man nun einen der wichtigsten Menschen im Leben verliert. Noemie hatte sich doch soviele Ausreden zurecht gelegt, weswegen ihre Mutter kaum noch Zeit für sie hatte.
Stress auf der Arbeit, Berufsverkehr, ... All dies und jetzt das. Genau das, was sie nie wahrhaben wollte. Sie hatte sie an etwas verloren, von welchem sie Mareike nie wieder bekommen würde. Endlos ins Schwarze geworfen und nun war es vorbei. Alles war vorbei. Die ganze Hoffnung geschwunden und der Mut auf ein Minimum geschrumpft.
Als Noemie am Morgen erwachte, fühlte sie sich elendig. Diese wiederwertige Situation nochmals durchleben zu müssen, war ihr größter Horror gewesen, doch ihr Leben schien ihr nichts mehr zu ersparen. Das Mädchen hatte noch 2 Stunden Zeit, bevor sie in die Schule musste. Doch hatte sie schon beschlossen, dass sie heute nicht die Schulbank drücken würde, sondern irgendwo sonst versuchen wollte, ihren Kopf frei zu bekommen. Irgendwo und irgendwie musste sie eine Möglichkeit finden, sich von all dem zu erholen, was sie Tag für Tag durchlebte. Weglaufen würde keine Möglichkeit sein, Noemie kannte 2 Mädchen, welche es zusammen versucht hatten und letztendlich auf einem Internat landeten. Es musste die Hölle gewesen sein und auch wenn die Dunkelhaarige sich nichts Schlimmeres als Zuhause vorstellen konnte, hielt sie es dennoch für falsch sich in ein neues Abenteuer zu stürzen. Zumal sie keine Kraft mehr aufbringen könnte, sich durch ein neues Leben zu kämpfen. Doch dieser Begriff 'Neues Leben', klang so erlösend und frei, dass er sie berauschte wie eine Droge.
Noemie erhob sich aus ihrem Bett, versuchte die blau überzogenen Stellen ihres Körpers zu ignorieren, doch es gelang ihr nicht und erneut begannen sich ihre Tränendrüsen zu erwärmen, es fühlte sich an, als erröteten sich ihre Wangen und der Bereich umrund der Augen auf ein Maximum. Sie spürte das Prickeln auf ihren Gesicht und das Bedürfnis die Augen zu schließen. Doch auch dies war sie bemüht zu tolerieren, auch wenn sie schon zu oft feststellen musste, dass es ihr nicht gelang. Auch heute zog es sich zu einer weiteren, wiedrigen Enttäuschung und die Dunkelhaarige musste feststellen, wie zerschmetternd ihre Versuche etwas zu erreichen doch waren. Es fühlte sich selbst bei solch Kleinigkeiten nicht gut an, doch es gab nichts zu ändern. Sie konnte ihre Gedanken nicht ptimistischer stimmen, sich nicht einreden, dass sie wenigstens 2 Sekunden damit durchgehalten hatte, auch wenn es vielleicht ein hilfreicher Schritt zum Erfolg gewesen wäre. Sich selbst zu belügen oder sich etwas einzureden, hatte sie seit dem Tag, an welchem sie Karl das erste Mal sah, aufgegeben. Er hatte ihr den Mut genommen, ebenso wie Mareike.
Ein abgundtiefes Seufzen entwich ihrer Kehle, sie wusste nicht, ob sie überhaupt den Mut aufbringen konnte, das Haus zu verlassen. Die Blicke der anderen, welche ihr schmales, blasses Gesicht streifen konnten, waren unangenehm. Sie hasste das Gaffen, den Strick, welchen sie ihr unbewusst umblegten und sie daran baumeln ließen. Nichts anderes als losgelassen werden, nichts anderes als ein Gefühl von Freiheit erleben. Ist es ihr nicht zuzustehen, nur weil...? Weshalb?
"Sieh dich an Weib. Du bist nichts weiter als ein elendiges Stück."
Sie ist so viel mehr, ein kleines, freudiges Kind. Voller Elan und Energie, dennoch will es keiner wahrhaben. Niemand, nicht einmal sie selbst, steht zu Noemie. Allein und verlassen in der großen dunklen Welt. Gewiss und vollkommen nachvollziehbar, dass es keine schönen Emotionen regnen konnte, wenn man ohnehin schon in düsender Kälte durchnässt war.
Ihr Blick sinkt nun in sich zusammen, zuvor hatte er noch in den Spiegel gestarrt. Auge in Auge, sie und ihr Spiegelbild. Es gefiel nicht, es war ihr nicht recht jemanden zu sehen, der Karl zum Opfer fiel. Jemanden, der Tag für Tag gegen seinen Willen missbraucht wurde und nichts anderes tun konnte als zu zusehen. Dieses Gefühl, welches sie bei diesen lebhaften Gedanken empfand, kannte sie zu gut. Sie hatte es nie kennen wollen, nie erleben wollen, doch jetzt ist es wohl ihr täglicher Begleiter, der nie zu weichen scheint. Es ist die Angst. Die Angst vor allem, was sie im Laufe der Zeit begegnen könnte und das verletzte Vertrauen, welches sie verloren hat. Gegenüber Männer, Menschen, Tieren und allem was Versprechen oder Regeln brechen kann. Solange es nur ruhig daliegt, gefällt es ihr. In dieser seeligen Ruhe beweglos zu sein, ist ein Traum, der nur allzu weit fern ist und doch etwas, was einfach schön ist mitanzusehen. Doch sobald Leben in den Körper kommt, kann er gefährlich werden und einem im falschen Augenblick das Blut aus den Adern saugen.
Noemie hatte sich auf dem Bett niedergelassen, als sie sich nun den Schlaf aus den Augen reibt und verschlafen auf die Uhr sieht. Sie muss eingeschlafen gewesen sein, es bleiben nurnoch 5 Minuten, ehe ihr Bus abfährt. Doch es ist egal, wie schnell die Zeit davon rennt, sie hat ohnehin andere Pläne mit ihr. So erklärt es sich auch, wieso sie vollkommen langsam und gemütlich in das Badezimmer geht, die Zahnbürste mit Paste bestreicht und langsam beginnt die Zähne damit zu säubern. Ihr dürrer Leib sehnt sich nach etwas zu Essen, doch das Mädchen weiß, dass es durch diesen Akt vom Zähneputzen beschwichtigt werden würde. Das hohle Gefühl im Bauchraum würde jedoch erhalten bleiben, doch darüber konnte sie ohne Frage hinweg sehen.
Als sie das Bad verlässt und sich bereits in dunkler Kleidung bewegt, führt ihr Weg am Schlafzimmer ihrer Eltern vorbei. Stöhnen presst sich unter dem Schlitz der Tür hindurch, ein laues Quitschen entrinnt der Akt auf dem Bett. Noemie will nicht darüber nachdenken, dass er mit ihr gleiches tut. Das er mit ihrer Mutter genau das tut, was sie jeden Mittag erwartete. Dieser Gedanken schon treibt ihr Tränen ins Gesicht und sie wagt es nicht sich zu rühren.
Mareike musste es freiwillig tun, doch Noemie konnte sich nicht vorstellen, dass dies jemand willenlos über sich ergehen ließ. Es war das abartigste, perverste und entwürdigenste Gefühl, was in einem hervor gerufen wurde, wenn er eindrang. In harten Stößen ihr Becken bog und immerwieder den von Schweißperlen bedeckten Körper entgegen des Mädchens presste. Dieser abartige Geruch, welcher von ihm ausging, war in diesem Fall noch nicht einmal das wiederwertigste, auch wenn er kaum aushaltbar schien.
Da war diese Frage, wie um Gotteswillen konnte dies freiwillig geschehen, eine der schwersten, die sich das Kind stellte. Oder jemald gestellt hatte. Viel zu groß war doch die Angst, der Vertrauensbruch, alls dies. Wie nur, wie?
Noemie zog sich die Bettdecke bis über die Brust. Sie wusste, dass für heute alles vorbei war. Endlich alleine und kein Grinsen vor Augen sehen, welches in verschwiegener Vorlaune war, ES wieder zu tun. Diese Warnhinweise kannte das Mädchen inzwischen besser, als ihre eigenen und als überhaupt sich selbst. Es schien in den Sternen zu stehen, wer sie wirklich war. Wie sie was erreichen wollte oder wonach sie strebte. Früher, in solch jungen Jahren, hatte sie den Wunsch geäußert einmal etwas mit Tieren zu machen. Seither änderte sich ihre Meinung bishin dazu, dass sie die Wesen in ihrer Vielfalt verabscheute.
Es ist alles gut, alles wird wieder normal.
Ein Rumpeln durchschnitt die Stille und das Kind zuckte zusammen, zog die Decke über den Mund und spürte wie der Stoff ihre gefeuchteten Lippen strriff. Es wa ein hässliches Gefühl, sie mochte es nicht. Und sie hasste auch das Geräusch, welches dieser Moment mit sich brachte. Wenn Haut an irgendetwas rieb, entstand immer dieses Rauschen, als welches sie es bezeichnete. Es gefiel ihr nicht und sie hat einen Ekel davor aufgebaut, dennoch blieb Noemie nun nicht viel Zeit sich davor zu scheuen, denn ein lautes Gepolter zog nun ihre Aufmerksamkeit auf sich.
Das ist sie. Sie hat getrunken. Es ist schon Alltag, Noemie beruhig dich, du kennst sie gar nicht mehr anders.
Und ob sie sie anders kannte. Früher als Kind, als sie noch zu geregelten Zeiten nach Hause kam, hatte sie es kaum abwarten können, ihre Mutter in die Arme zu schließen. Doch nun empfand sie nichts als Abscheu. Einerseits weil sie trank und sie es hasste, wie sie sie aus diesen abwesenden Augen ansah, andererseits aus dem schlichten Grund, dass Karl ihr Freund war. Der Karl, welcher sie Tag für Tag auf ein Neues mit seinen lustvollen Blicken verzerrte.
Ich darf nicht daran denken, das ist nicht gut. Es wird alles wie früher, außerdem muss ich schlafen. Ich will schlafen, denn da vergesse ich mich für Augenblicke. Ich will es.
Doch sie konnte einfach nicht vegessen, wie er ihre Beine auf ein Neues auseinander presste, sie schrie, als würde er ihr das Leben rauben wollene. Auch jetzt, wo sie allein daran dachte, begann ihr Herz zu rasen, ganz holprig und unkonrolliert, so mochte sie es beschreiben. Es tat so weh all dies ertragen zu müssen. Und es war nicht allein Mareike, die ihr Sorgen machte. Im Gegenteil, sie war ihr beinahe egal geworden, seitdem Schlimmeres in ihr Leben getreten war. Karl, sollte sie das Unheil nennen, hatte ihr Mareike gesagt und dabei herzlich gelächelt. Verdammt, sie ist nicht unschuldig, dass Karl mich jeden Tag vergewaltigt, sie missbraucht, verletzt und benutzt. Es ist reine Machtausnutzung, doch was würde es bringen, diese Erkenntnis an ihn weiterzugeben? Vermutlich nichts. Alles würde bleiben wie es ist, denn ein Mensch, der über die Rechte hinwegsieht und seine eigenen verwendet um Andere zu missbrauchen, würde nie auf Worte hören, wenn er nicht einmal auf die Todesschreie reagiert, dachte Noemie stumm und ballte ihre Hand zu einer Faust.
Dann erlosch das Licht im Flur und allein der fahle Einfall des Mondes spendete Noemie ein wenig Licht um Unsichtbares sichtbar zu machen. Leise seufzend wandte sich das Mädchen auf die linke Seite und legte die Knie aufeinander. Ein schallender Schmerz ließ sie schnell bemerken, dass diese Bewegung und Handlung die falsche war, denn die blau überzogenen Knie taten höllisch weh, sobald sie in Berührung mit etwas anderem kamen. Das Mädchen schluchzte leise, zog erneut die Bettdecke in die Höhe, obwohl sie in solch heißer Sommernacht schwitzte. Ihre Haut wurde schon von einem Film dünstrigen Schweißes überzogen, doch man könnte meinen, dass sie diesem keine Beachtung schenkte. Alles war gut, alles war besser, als das, was sie heute Mittag durchlebt hatte. Wie es morgen in der Schule werden würde, wusste sie nicht. Ohnehin wusste Noemie nicht, ob sie hinging oder schwänzte. Doch letzteres wäre fatal wie immer, denn ihr Lehrer wartete nur hinterlistig hinter dem Telefon, um ihren Vater zu informieren, dass seine Schülerin auf ein Neues nicht die Schule besucht hatte. Das Mädchen würde es nicht schaffen, seine Lügen in dem dunklen Keller anzuhören, ohne sich die Hände an den Wänden blutig zu schlagen.
Irgendwann musste sie eingeschlafen sein, denn nun fand sie sich im Reich der Träume wieder und durchlebte eine Situation, die sie lange versucht hatte zu verdrängen. Es war zwölf Uhr Mittag und ihr Blick glitt zur Küchenuhr. Für sie war Schule ausgefallen, für den Rest der Klasse ebenso. Sie hatte nicht geschwänzt, hatte es noch nie getan. Als der Schlüssel im Schloss gedreht wurde, wurde sie hellhörig. Das ihre Mutter zu dieser Zeit auch heim kam, war selten geworden. Schon oft war es passiert, dass sie tief in der Nacht das Haus betrat und Noemie vermeinte ihre Fahne bishin in ihr Zimmer riechen zu können. Allein bei diesem Gedanken durchfuhr ihr ein Gefühl von Übelkeit. Doch nun musste sie sich wieder auf den Traum konzentieren, welcher auf realen Tatsachen beruhte. "Sieh mal Schatz." Das Mädchen liebte es, wenn Mutter eine Überraschung für sie hatte, doch von diesem Augenblick an, sollte sie es hassen lernen. "Gude." Es war eine Männerstimme gewesen, die dort hinter der ihrer Mutter hinterhergehechtet war. Mareike hatte nie Männer ins Haus gebracht, doch, dass dieser Tag Veränderungen mit sich bringen würde, war Noemie schon wenige Augenblicke später bewusst geworden.
"Das ist Karl. Er wird bei uns einziehen." Noemie überog ein Schauer, sie rollte sich in ihrem Bett zusammen und wimmerte leise. Ihre Gedanken schossen wie Waffenkugeln durch den Kopf, hämmerten dröhnend laut.
Einziehen!? So wie ein Vater!? Ist, ist sie des Wahnsinns? Er kann nie und nimmer mein Vater werden! Mama, nein!
Die Realität riss sie zurück, sie atmete schwer und befand sich dennoch im Traum. Denn der Traum war ihre Realität. Oder besser, der Alptraum. Mit dem kleinen Unterschied, dass sie nun nicht vermeinte zu antworten, sondern nur spürte, wie ihre Augen drohten aus den leicht hervorstehenden Augenhöhlen zu springen. Sie hatte doch schon längst realisiert, dass er kein guter Vater sein würde. Nicht nur seine von Tatoo's überfüllten Arme beeinflussten den ersten Eindruck im negativen. Er sah einfach so scheußlich aus und seine Art sich zu bewegen, machte ihr Angst und jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. Sein dicker, aufgeplusterter Bierbauch wippte bei jedem Schritt mit, genau wie das ausgeleierte Doppelkinn, welches er sich angefressen haben musste. Noemie war sofort klar, dass sie nicht nur sein Äußere hasste, sondern auch noch lernen würde, die Charakterzüge zu verabscheuen.
Doch sie kann ihn nicht zurück halten, als er von der Diele in das Wohnzimmer schreitet. Das Mädchen setzt sich nur reglos hin, starrt ihn an. Sie weiß nicht, was als nächstes auf sie zukommen wird, doch sie ahnt, dass dieser Mann etwas mit dem 'zu spät kommen' ihrer Mutter zu tun hat. Sie wird sie an ihn verlieren, nein, sie hatte es zu diesem Zeitpunkt schon längst getan. Und es tat weh mit ansehen zu müssen, wie die Hand des Mannes nun die Finger Mareike's umschlingt. Sie will ihn daran hindern, möchte nicht das alles innerlich gedachte nach Außen dringt, doch bleibt kein Weg es zu stoppen. "Möchtest du unserem neuen Mitbewohner nicht begrüßen?" Nein, Noemie möchte es nicht und doch ist sie ein wenig erleichtert, dass sie ihn nicht Vater nannte. Doch es sollte sich ebenso ändern, wie vieles andere. Es sollte alles ändern. Ihr Leben von heute auf morgen umkrämpeln, ohne dass man sie auch nur in einer Kleinigkeit eingebzogen wurde.
Sie stand da, in einer Welt nur zum Zusehen bestimmt. Sie konnte nur spüren, jedoch nicht sprechen, geschweigedenn sich gegen alldas wehren.
Bis vor kurzen war der Himmel noch sternenklar gewesen, doch nun war es sogar unmöglich geworden auch nur den Mond zu sehen. Alles verschwamm vor ihren Augen und die Welt englitt ihren Händen, ohne das sie irgendetwas hätte mitwirken können. Es war alles vorbei, vielleicht für immer, Noemie ahnte dergleiches von diesem Augenblick an. Und genau dies war auch der Grund, weswegen sie nun so gelähmt dort saß, nichts tat, nichts sprach. "Naja, du hast sie wasserfallartig beschrieben, dass ist sie nun wirklich nicht." Mareike hebt nach seinen gedrungenen Worten nur unschuldig die linke Hand und lässt sie dann wieder an ihren schmalen Leib sinken.
Halt die Klappe, du weißt nichts, du wirst nie etwas wissen.
Das Kind muss mitansehen, wie er abermals ihre Hand nimmt, er spielt mit ihren Fingern und sie muss daran denken, dass er schon einige Male mit etwas anderen an ihrem Körper gespielt hatte. Es tut weh so zu denken, es tut auch weh zu wissen, dass man nun einen der wichtigsten Menschen im Leben verliert. Noemie hatte sich doch soviele Ausreden zurecht gelegt, weswegen ihre Mutter kaum noch Zeit für sie hatte.
Stress auf der Arbeit, Berufsverkehr, ... All dies und jetzt das. Genau das, was sie nie wahrhaben wollte. Sie hatte sie an etwas verloren, von welchem sie Mareike nie wieder bekommen würde. Endlos ins Schwarze geworfen und nun war es vorbei. Alles war vorbei. Die ganze Hoffnung geschwunden und der Mut auf ein Minimum geschrumpft.
Als Noemie am Morgen erwachte, fühlte sie sich elendig. Diese wiederwertige Situation nochmals durchleben zu müssen, war ihr größter Horror gewesen, doch ihr Leben schien ihr nichts mehr zu ersparen. Das Mädchen hatte noch 2 Stunden Zeit, bevor sie in die Schule musste. Doch hatte sie schon beschlossen, dass sie heute nicht die Schulbank drücken würde, sondern irgendwo sonst versuchen wollte, ihren Kopf frei zu bekommen. Irgendwo und irgendwie musste sie eine Möglichkeit finden, sich von all dem zu erholen, was sie Tag für Tag durchlebte. Weglaufen würde keine Möglichkeit sein, Noemie kannte 2 Mädchen, welche es zusammen versucht hatten und letztendlich auf einem Internat landeten. Es musste die Hölle gewesen sein und auch wenn die Dunkelhaarige sich nichts Schlimmeres als Zuhause vorstellen konnte, hielt sie es dennoch für falsch sich in ein neues Abenteuer zu stürzen. Zumal sie keine Kraft mehr aufbringen könnte, sich durch ein neues Leben zu kämpfen. Doch dieser Begriff 'Neues Leben', klang so erlösend und frei, dass er sie berauschte wie eine Droge.
Noemie erhob sich aus ihrem Bett, versuchte die blau überzogenen Stellen ihres Körpers zu ignorieren, doch es gelang ihr nicht und erneut begannen sich ihre Tränendrüsen zu erwärmen, es fühlte sich an, als erröteten sich ihre Wangen und der Bereich umrund der Augen auf ein Maximum. Sie spürte das Prickeln auf ihren Gesicht und das Bedürfnis die Augen zu schließen. Doch auch dies war sie bemüht zu tolerieren, auch wenn sie schon zu oft feststellen musste, dass es ihr nicht gelang. Auch heute zog es sich zu einer weiteren, wiedrigen Enttäuschung und die Dunkelhaarige musste feststellen, wie zerschmetternd ihre Versuche etwas zu erreichen doch waren. Es fühlte sich selbst bei solch Kleinigkeiten nicht gut an, doch es gab nichts zu ändern. Sie konnte ihre Gedanken nicht ptimistischer stimmen, sich nicht einreden, dass sie wenigstens 2 Sekunden damit durchgehalten hatte, auch wenn es vielleicht ein hilfreicher Schritt zum Erfolg gewesen wäre. Sich selbst zu belügen oder sich etwas einzureden, hatte sie seit dem Tag, an welchem sie Karl das erste Mal sah, aufgegeben. Er hatte ihr den Mut genommen, ebenso wie Mareike.
Ein abgundtiefes Seufzen entwich ihrer Kehle, sie wusste nicht, ob sie überhaupt den Mut aufbringen konnte, das Haus zu verlassen. Die Blicke der anderen, welche ihr schmales, blasses Gesicht streifen konnten, waren unangenehm. Sie hasste das Gaffen, den Strick, welchen sie ihr unbewusst umblegten und sie daran baumeln ließen. Nichts anderes als losgelassen werden, nichts anderes als ein Gefühl von Freiheit erleben. Ist es ihr nicht zuzustehen, nur weil...? Weshalb?
"Sieh dich an Weib. Du bist nichts weiter als ein elendiges Stück."
Sie ist so viel mehr, ein kleines, freudiges Kind. Voller Elan und Energie, dennoch will es keiner wahrhaben. Niemand, nicht einmal sie selbst, steht zu Noemie. Allein und verlassen in der großen dunklen Welt. Gewiss und vollkommen nachvollziehbar, dass es keine schönen Emotionen regnen konnte, wenn man ohnehin schon in düsender Kälte durchnässt war.
Ihr Blick sinkt nun in sich zusammen, zuvor hatte er noch in den Spiegel gestarrt. Auge in Auge, sie und ihr Spiegelbild. Es gefiel nicht, es war ihr nicht recht jemanden zu sehen, der Karl zum Opfer fiel. Jemanden, der Tag für Tag gegen seinen Willen missbraucht wurde und nichts anderes tun konnte als zu zusehen. Dieses Gefühl, welches sie bei diesen lebhaften Gedanken empfand, kannte sie zu gut. Sie hatte es nie kennen wollen, nie erleben wollen, doch jetzt ist es wohl ihr täglicher Begleiter, der nie zu weichen scheint. Es ist die Angst. Die Angst vor allem, was sie im Laufe der Zeit begegnen könnte und das verletzte Vertrauen, welches sie verloren hat. Gegenüber Männer, Menschen, Tieren und allem was Versprechen oder Regeln brechen kann. Solange es nur ruhig daliegt, gefällt es ihr. In dieser seeligen Ruhe beweglos zu sein, ist ein Traum, der nur allzu weit fern ist und doch etwas, was einfach schön ist mitanzusehen. Doch sobald Leben in den Körper kommt, kann er gefährlich werden und einem im falschen Augenblick das Blut aus den Adern saugen.
Noemie hatte sich auf dem Bett niedergelassen, als sie sich nun den Schlaf aus den Augen reibt und verschlafen auf die Uhr sieht. Sie muss eingeschlafen gewesen sein, es bleiben nurnoch 5 Minuten, ehe ihr Bus abfährt. Doch es ist egal, wie schnell die Zeit davon rennt, sie hat ohnehin andere Pläne mit ihr. So erklärt es sich auch, wieso sie vollkommen langsam und gemütlich in das Badezimmer geht, die Zahnbürste mit Paste bestreicht und langsam beginnt die Zähne damit zu säubern. Ihr dürrer Leib sehnt sich nach etwas zu Essen, doch das Mädchen weiß, dass es durch diesen Akt vom Zähneputzen beschwichtigt werden würde. Das hohle Gefühl im Bauchraum würde jedoch erhalten bleiben, doch darüber konnte sie ohne Frage hinweg sehen.
Als sie das Bad verlässt und sich bereits in dunkler Kleidung bewegt, führt ihr Weg am Schlafzimmer ihrer Eltern vorbei. Stöhnen presst sich unter dem Schlitz der Tür hindurch, ein laues Quitschen entrinnt der Akt auf dem Bett. Noemie will nicht darüber nachdenken, dass er mit ihr gleiches tut. Das er mit ihrer Mutter genau das tut, was sie jeden Mittag erwartete. Dieser Gedanken schon treibt ihr Tränen ins Gesicht und sie wagt es nicht sich zu rühren.
Mareike musste es freiwillig tun, doch Noemie konnte sich nicht vorstellen, dass dies jemand willenlos über sich ergehen ließ. Es war das abartigste, perverste und entwürdigenste Gefühl, was in einem hervor gerufen wurde, wenn er eindrang. In harten Stößen ihr Becken bog und immerwieder den von Schweißperlen bedeckten Körper entgegen des Mädchens presste. Dieser abartige Geruch, welcher von ihm ausging, war in diesem Fall noch nicht einmal das wiederwertigste, auch wenn er kaum aushaltbar schien.
Da war diese Frage, wie um Gotteswillen konnte dies freiwillig geschehen, eine der schwersten, die sich das Kind stellte. Oder jemald gestellt hatte. Viel zu groß war doch die Angst, der Vertrauensbruch, alls dies. Wie nur, wie?