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Nyuraa_ Nyuraa_ ist weiblich
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Dabei seit: 15.04.2009
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Mein Name ist Katie. Seit ich vierzehn bin, trage ich Scheuklappen, die ich nur dazu ablege, um die Menschen zu beobachten. Darüber mache ich mir Notizen, die in an Straßenlaternen klebe, an Parkbänke, Bäume, in oder auf die Kopien meiner Lieblingsbücher in Bibliotheken. Ich lerne viel. Wie man mit dem Tod und der Einsamkeit umgeht, wie man sich aus einem Tief zieht oder wie man es sich dort gemütlich macht. Glück ist nicht selbstverständlich, Pech keine Entschuldigung für Ausschwingungen der Persönlichkeit. Das Leben ist kein Rätsel. Resignation ist keine Krankheit. Aufmerksamkeit ist keine Medizin. Jeder braucht jemanden, dabei spielt es keine Rolle, in welcher Form man diese Person kennenlernt.


#1 - Heartache.

Sie hat ein Geheimnis. Sie glaubt, sie ist schwanger. Ich schreibe es auf. „Mach dir keinen Kopf, bevor du nicht weißt, ob es einen Ausweg gibt.“ Ich klebe den blass gelben Zettel mit dem Klebestreifen oben in mein Notizbuch. Der Einzige, für diesen Tag. Der Schulhof ist ein langweiliger Ort, um sich Notizen zu machen. Als die Glocke über das Schulgelände tönt, um alle Schüler wieder in die Klassenzimmer zu scheuchen, stehe ich auf, lasse mein beigefarbenes Notizbuch in die Tasche fallen und versuche, eine der Ersten im Schulhaus zu sein. Während ich rein laufe, rempelt mich versehentlich ein Mädchen an, entschuldigt sich kleinlaut, sieht mich nicht mal an. Christina. Sie war einst meine beste Freundin.
Ich ignoriere ihre gemurmelte Entschuldigung, sehe mir das Schwarze Brett an. Ich hoffe jeden Tag auf dasselbe. Während sich alle Schüler an den Vertretungsplänen sammeln, stehe ich bei dem Teil, an dem Events und Zeitungsausschnitte präsentiert werden.
Bald würde es einen freiwilligen Lehrgang zum Thema Drogen geben. Ich merke mir die Daten, im Klassenzimmer schreibe ich sie mir auf.
Im Klassenzimmer sitze ich alleine. Ich habe eine ganze Tischreihe für mich. Wir sind nur 21 Schüler, es fällt nicht auf, wenn ich alleine sitze. Jeder meidet mich, ich meide sie. Es gibt keine Probleme.
So sieht ein normaler Schultag aus. Einsam? Nein. Ich bin vielleicht einsam, aber Einsamkeit ist nur dann negativ, wenn man nicht damit umzugehen weiß. Ich kann es. Manche Menschen können gut mit Tieren, manche mit Kindern. Ich weiß, wie die Einsamkeit zu bändigen ist.
Ich laufe nach Hause, bleibe im Park stehen, hole den Klebezettel raus und drücke die Klebeseite gegen das raue Holz einer Bank. Direkt in die Mitte, unübersehbar.
Für einen Moment setze ich mich, sehe einem Pärchen dabei zu, wie sie versuchen, nicht zu streiten, da sitzen und stumm sind. Eine Mutter, die ihrem Kind ein Eis kauft. Ich sehe ihnen nach, wie sie sich Hand in Hand auf den Heimweg machen. Ich hasse sie innerlich dafür.

„Warum bist du zu spät?“ Meine Tante sieht aus wie die typische Hausfrau. Skeptisch betrachtet sie mich, wie ich im Türrahmen stehe. „Ich hab einen Umweg genommen.“ Ohne weitere Worte gehe ich die Treppen hoch und überhöre das, was meine Tante eben ruft. Sie meint es nur gut. Ich weiß, sie hat Mitleid mit mir, aber mit ihrer Kontrolle drückt sie nur ihre Sorge aus und will mich nicht ertränken in Verständnis. Ich glaube, sie denkt ich verarbeite es so besser. Ich streiche mir die blonden Haare aus dem Gesicht, lege die Tasche aufs Bett und lege mich hin.
Nicht immer hülle ich mich in mein Schweigen ein, spiele die Unnahbare und lasse keine Emotionen an die Oberfläche meiner Haut dringen, um sie meinen Mitmenschen zu offenbaren. Es sind nur diese Tage, an denen ich die Menschheit verachte, für ihre Art, die Weise, wie sie miteinander umgehen, wie sie ihre Probleme bewältigen.
Meine Mutter hat versucht, alles im Keim zu ersticken. Ihre Probleme, ihre Beziehungskonflikte, mich. Ja, ich weiß, ich bin da, blühe und lebe, aber ich weiß genau, wie oft meine Mutter geweint hat, sich die Broschüren über Abtreibungen ansah. Im Endeffekt hat sie es nicht getan, weil sie Angst hatte. Man hätte es ihr nicht verübeln können, ich war vielleicht das Endergebnis einer Vergewaltigung, einer schlechten Beziehung, nichts was Wiederholungsbedarf hätte.
Das Betäubungsmittel schlechthin für meine Mutter waren Drogen. Der Grund, warum ich Informationen sammle. Über Drogen, deren Konsumenten, Therapien, alles, was sich mit Rauschgift assoziieren lässt. Meine Mutter starb an einer Überdosis. Ich war vierzehn. Ich habe sie aufgefunden mit einer Spritze im Arm. Nichts, was ich meinen Mitmenschen erzähle.
Warum? Es führt zu nichts. Ich habe es Christina erzählt, sie redet nicht mehr mit mir. Für sie steht nicht im Vordergrund, dass ich meine Mutter verloren habe und jetzt jede Schulter gebrauchen kann, um den Verlust in meine Archive zu verbannen, sondern der Gedanke, dass sie etwas mit Drogenabhängigen zu tun hat. Was völliger Schwachsinn ist! Aber erzähl das einer mal meinen Freunden.
Mein Vater ist ein Spektrum meiner Erinnerung, welches sich jeden Tag ein wenig mehr in seine Einzelteile löst und mit jedem inhalierten Atemzug meinen Körper verlässt. Folglich kann ich nicht viel über ihn erzählen. Er ist das Ungewisse, der Urknall, der mich in meine Laufbahn warf, kein Gott, der mich erschuf und dann über mich zu hüten pflegt.
Die anderen Kinder, mit ihren göttlichen Vätern haben mich immer irgendwo neidisch gemacht. Deren Tagesablauf war strukturiert: Um 12:30 Uhr gab es Mittagessen, um 18:00 Uhr Abendbrot und um 9 Uhr ist Bettzeit. Gute Nacht-Geschichten, bunte Versperdosen, Drachen steigen lassen, Weihnachten. Alles Selbstverständlichkeiten, Galaxien, in die ich nie eindringen durfte.

Ich hasse Ferien. Heute Morgen hat mich nicht mein Wecker aus den Träumen gerissen, sondern Kitty, der Rauhaardackel meiner Tante. Kitty springt auf meine Bettdecke und platziert ihren Oberkörper auf meinem Rücken. Je nachdem, wo man den Körper eines Dackels teilt. Meine Tante liebt Katzen, aber aufgrund ihrer Allergie kommt sie nicht in den Genuss, sich eine zu halten. Um diesen Frust zu überleben, hat sie ihre Hündin kurzerhand Kitty getauft.
Wenn man aus meinem Fenster sieht, eröffnet sich einem eine Straße, deren Kopfsteinpflaster dicht von dunkel getretenen Kaugummis bemustert ist. Umzäunt von alten Gebäuden, aufgefrischt durch Spitzengardinen, Keramikkatzen und Kunststoffschwänen sieht die ruhige Gegend ausgelutscht, alt und ein wenig verlassen aus. Deshalb sehe ich nicht aus dem Fenster. Nie.
Ich lege meine Hand auf Kittys Kopf und lasse sie erst mal dort, während ich mich an das Licht gewöhne, das durch besagtes Fenster scheint. Mein Blick scannt mein Zimmer, sucht neue kleine Anhaltspunkte.
Meine Tante versucht, mich zu beschäftigen, meine alten Leidenschaften wieder zu entflammen. Neue Bleistifte, die auf meinem Schreibtisch liegen, damit ich zeichne. Bücher in meinen Regalen, damit ich lese, meine Gitarre zieht an Plätze, um von mir bemerkt zu werden, damit ich spiele.
Es ist nicht so als hätten ich und meine Mutter eine starke Verbindung gehabt, ich wusste nicht viel von ihr. Sie hat ihr Bestes gegeben. Wir waren nicht oft weg, aber wir lagen oft im Garten in Sommernächten und haben die Sterne angesehen. Sie hat nicht geraucht. Vielleicht war sie high, ich kann mich nicht daran erinnern.
Sie hat mir beigebracht, Gitarre zu spielen, hat mir gezeigt, dass es gut ist, anders zu sein und mir ihre Liebe für Details eingeimpft.
Das ist alles. Sie hat sich allerdings nicht viel um mich gekümmert. Essen gab es meist aus dem Gefrierfach oder fremden Küchen, bis ich lernte, selber zu kochen. Ihre Stiefschwester hat mir Kleidung gekauft. Während sie auf der Arbeit war, auf der Suche nach einem Dealer oder zugedröhnt in ihrem Zimmer hat mich der Fernseher unterhalten.
Sie war keine tolle Mutter, sie war eine tolle Frau, die von Heroin und Koks zerfressen wurde, in all ihre Einzelteile, Löcher in ihr Gehirn, ihr Herz, ihre Seele. Ich habe sie verehrt, sie war meine Heldin, das ist der Grund, warum es mich so mitnimmt.

Aus eigenem Interesse (oder vielleicht auch eher, um meine Tante glücklich zu machen) muss ich meine Lebensfreude oder wenigstens die Hülle, die ich abgestreift habe, wiederfinden. Diesen Sommer habe ich genug Zeit dafür.
Ich schlage das Telefonbuch auf, wähle Nummern von Malkursen, Chören, Yogagruppen, melde mich mit klopfendem Herzen an und zähle die Sekunden, bis mein Puls sich beruhigt.
82 Sekunden nach jedem Anruf.

__________________
inhale.

Dieser Beitrag wurde 1 mal editiert, zum letzten Mal von Nyuraa_: 08.08.2011 03:42.

06.08.2011 21:40 Nyuraa_ ist offline E-Mail an Nyuraa_ senden Beiträge von Nyuraa_ suchen Nehmen Sie Nyuraa_ in Ihre Freundesliste auf
Nanni Nanni ist weiblich
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Das liest sich... toll. Bei der kursiven Einleitung dachte ich nur leicht belustigt "Was?", aber wärhend des Lesens fand ich den Inhalt immer besser; es ist mal was anderes, ein bisschen außergewöhnlich, aber bleibt schön innerhalb der Grenzen dass es nicht unrealistisch und lächerlich wirkt und in finde alles relativ, nachvollziehbar. Dein Stil passt gut zur Handlung, finde ich, das einzige was mich stört ist dass du ab und zu in der Zeit springst (zum Beispiel wo ihre Tante ins Spiel kommt "sah", im Absatz danach im zweiten Satz "hat ... gerissen", während der Rest im Präsens geschrieben ist).
Ich würd jedenfalls gern mehr lesen (:

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07.08.2011 18:28 Nanni ist offline E-Mail an Nanni senden Homepage von Nanni Beiträge von Nanni suchen Nehmen Sie Nanni in Ihre Freundesliste auf Fügen Sie Nanni in Ihre Kontaktliste ein AIM-Name von Nanni: midnightlenii MSN Passport-Profil von Nanni anzeigen
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